Gesetzentwurf zu gleichem Lohn für Männer und Frauen: "Lebens­f­remd, inef­fi­zient, sogar schäd­lich"

von Tanja Podolski

02.12.2016

3/3: Falsch vermutet: keine Diskriminierung bei Tarifregelungen

LTO: Es bleiben die tarifvertraglichen Regelungen. Ist den Tarifvertragsparteien nicht zuzutrauen, dass sie für Lohngleichheit sorgen?

Pfarr: Tarifvertragliche Regelungen werden nach dem neuen Entwurf überhaupt nicht auf Entgeltdiskriminierung überprüft. Es besteht vielmehr künftig eine gesetzliche Vermutung, dass sie nicht diskriminieren.  Dabei haben Gerichtsurteile und wissenschaftliche Untersuchungen das Diskriminierungspotenzial in Tarifverträgen hinreichend belegt. Und selbst die Begründung des Gesetzentwurfs geht davon aus, dass es auch in Betrieben mit Tarifbindung und betrieblicher Mitbestimmung eine, wenn auch geringere, aber dennoch vorhandene Entgeltlücke gibt.

Und dennoch gesteht der Gesetzentwurf diese Vermutung der Diskriminierungsfreiheit tarifvertraglicher Regelungen und die Einschränkung ihrer Überprüfbarkeit nicht nur tarifgebundenen Arbeitgebern zu, sondern sogar solchen, die lediglich Tarifregelungen verbindlich anwenden.

"Dieses Gesetz kann schädliche Wirkungen haben"

LTO: Welche Änderungen am Entwurf fordert der Juristinnenbund konkret?

Pfarr: In allen Fragen der Gleichstellung der Geschlechter hat es bisher nie ausgereicht, wenn die Arbeitgeber zu entsprechendem Handeln lediglich aufgefordert werden. Es bedürfte daher einer verbindlichen Pflicht für alle Unternehmen, einheitliche, von einer zentralen Stelle zertifizierte Prüfverfahren durchzuführen.

Darüber hinaus müssen staatliche oder zivilgesellschaftliche Institutionen ermächtigt werden, die Einhaltung dieser Pflicht durchzusetzen – durch Verbandsklagemöglichkeiten, und auch durch Verbesserung der Rechte der Interessenvertretungen von Beschäftigten wie Gewerkschaften, Betriebs- bzw. Personalräten. Denn erst über den Gang zu den Arbeitsgerichten kann man verbindlich klarstellen lassen, dass bestimmte Regelungen des Gesetzes europarechtswidrig sind und deshalb nicht gelten oder abweichend ausgelegt werden müssen. Dieses Risiko sollte nicht an einzelnen Beschäftigen hängen.

Würde ein Transparenzgesetz wie in dem Gesetzentwurf in Kraft treten, wäre es nicht nur notwendigerweise ineffektiv, sondern sogar schädlich. Denn so kann die Forderung von Frauen, endlich Entgeltgleichheit durchzusetzen, mit der Behauptung zurückgewiesen werden, die Forderung sei mit diesem Gesetz ja erfüllt. Quasi eine Einladung, die fordernden Frauen wieder auf die Position zu stellen, wo sie - immer voller Hoffnung - all die Jahrzehnte so schön standen: geduldig dazu bereit, geschlechtsbezogenes Unrecht hinzunehmen.

Professorin Dr. Heide Pfarr ist Rechtswissenschaftlerin, SPD-Politikerin und beim Deutschen Juristinnenbund Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht. Zum ersten Entwurf des Gesetzes für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern (Entgelttransparenzgesetz – EntgTransG) hat sie Familienministerin Manuela Schwesig beraten.

Das Gespräch führte Tanja Podolski.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, Gesetzentwurf zu gleichem Lohn für Männer und Frauen: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21331 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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