Frau klagt auf Equal Pay: Wie viel Geld muss Daimler einer Abtei­lungs­lei­terin nach­zahlen?

von Tanja Podolski

30.09.2024

Frauen werden in Deutschland schlechter bezahlt als Männer – offenbar auch bei Daimler. Eine Führungskraft hat laut ArbG einen Anspruch auf Ausgleich. Wie der berechnet wird, soll nun das LAG klären.

Fast 30 Jahre arbeitet eine Frau bei Daimler, seit dreien davon stehen sie und ihr Arbeitgeber vor Gericht. Denn die Frau möchte für ihre Arbeit das gleiche Entgelt wie ihre männlichen Kollegen bekommen und verlangt eine entsprechende Nachzahlung. Am Dienstag wird sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg in Stuttgart mit dem Fall befassen (Az. 2 Sa 14/24).

Vor über 15 Jahren war die klagende Frau zur Abteilungsleiterin befördert worden. Aus der Elternzeit kehrte sie in Teilzeit zurück – und bekommt seitdem deutlich weniger Gehalt als ihre männlichen Kollegen auf gleicher Ebene. Sie klagte bereits teilweise erfolgreich vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Stuttgart: Das Gericht verurteilte Daimler (konkret Daimler Truck AG bis Ende 2021 ein Unternehmen), der Abteilungsleiterin die Differenz zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe nachzuzahlen (Urt. v. 22.11.2023, Az. 22 Ca 7069/21). Es geht um einen immerhin fünfstelligen Betrag für einen Zeitraum von fünf Jahren. Das Besondere an dem Fall: Die Differenz zum Gehalt ihres direkten Vergleichskollegen sprach das Gericht ihr jedoch nicht zu.

 Vor dem LAG wird es damit um die Frage gehen, ob Frauen sich mit dem Median der Vergleichsgehälter als Zielgröße für das eigene Gehalt zufriedengeben müssen oder sich doch mit direkten Kollegen vergleichen können. Beim LAG wird die Frau von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) begleitet. Vertreten wird sie – wie auch in der ersten Instanz – von dem renommierten Arbeitsrechtler Dr. Frank Hahn von der Stuttgarter Kanzlei Kasper Knacke. 

Worum es bei der Median-Frage geht 

Der Median beschreibt einen Mittelwert bei den Gehältern, es ist also nicht das durchschnittliche Einkommen der Kollegen in vergleichbarer Position, sondern genau die Mitte zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt unter vergleichbaren Beschäftigten. Mit Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) können Mitarbeitende über die Höhe dieses Medians Auskunft verlangen, vorausgesetzt, das Unternehmen beschäftigt mehr als 200 Personen. Zudem müssen Arbeitgebende Auskunft darüber erteilen, wie sie die Gehälter berechnen. Das heißt, auf Wunsch müssen sie die Kriterien und das Verfahren für die Entgeltfindung preisgeben.

Daimler äußert sich auf LTO-Anfrage nicht zu dem konkreten Verfahren. Allgemein teilt das Unternehmen mit, bei Daimler Truck seien die tariflichen und betrieblichen Entgelttabellen für alle Mitarbeiter:innen jederzeit abrufbar. Entsprechend dem EntgeltTranspG gebe es im Intranet ein Tool, mit dem die Beschäftigten sehen und nachvollziehen könnten, wie sich ihr individuelles Entgelt zur jeweiligen Vergleichsgruppe verhält. 

Die Kriterien und das konkrete Verfahren bilde dieses Dashboard allerdings nicht ab, so die GFF. Außerdem seien bei Daimler "zwei Befragungen unter den beschäftigten Frauen durchgeführt worden. Demnach liegen um die 90 Prozent der Frauen unter dem Median-Entgelt ihrer persönlichen männlichen Vergleichsgruppe", so GFF-Juristin Sarah Lincoln. Dass der direkte Kollege der klagenden Abteilungsleiterin ein höheres Gehalt bekommt als sie, habe Daimler im Lauf des Verfahrens bestätigt. 

Nach dem Urteil des ArbG gibt es eine Annäherung an dieses Gehalt – aber eben keine exakt gleiche Bezahlung. Das liegt nach der Einschätzung von Lincoln daran, dass einige Arbeitsgerichte bisher nicht umsetzten, was das Bundesarbeitsgericht (BAG) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Lohngleichheit vorgegeben hätten: "Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH genügt es, wenn eine weibliche Arbeitnehmerin darlegt und beweist, dass ein männlicher Arbeitnehmer eine gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichtet und ein höheres Arbeitsentgelt erhält", so Lincoln. Dann müsse der Arbeitgeber beweisen, dass es für diese Ungleichbehandlung sachliche Gründe gibt, die nicht ans Geschlecht anknüpfen. Dieser Paarvergleich sei auch in den deutschen Regelungen enthalten, § 3 Abs. 2 Satz 1 und § 7 EntgTranspG. 

Arbeitgeber seien – das betont auch die GFF - keineswegs verpflichtet, alle gleich zu bezahlen. Sie müssten aber nach objektiven, transparenten und überprüfbaren Kriterien differenzieren und diese in der Praxis diskriminierungsfrei anwenden. 

Lohndiskriminierung als strukturelles Problem? 

Die GFF möchte daher vor dem LAG die juristische Klarstellung erreichen, dass Frauen sich bei Equal-Pay-Forderungen nicht mit dem Unterschied zum Median der Vergleichsgruppe begnügen müssen, sondern den exakten Lohnunterschied zum direkten Kollegen einfordern können. "Es kommt nur darauf an, ob die Vergleichsperson die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet und dafür mehr Geld bekommt", so Lincoln. Weil die Daimler AG kein transparentes und nachvollziehbares Entgeltsystem für Führungskräfte habe, habe die klagende Frau entsprechend der EuGH-Rechtsprechung einen Anspruch auf Berechnung anhand des konkreten Verdiensts ihres direkten Kollegen. Bei Daimler entscheiden nach Auskunft der GFF die Vorgesetzten frei darüber, wie das Budget auf die Abteilungsleiter:innen verteilt wird. Kriterien oder Vorgaben dafür gebe es nicht. Das habe dazu geführt, dass die Gehälter auf der Führungsebene, auf der sich die klagende Frau befindet, im Jahr 2022 eine hohe Gehaltspreizung von annähernd 70 Prozent aufwiesen.

Daimer sieht das anders. Gegenüber LTO teilt das Unternehmen mit, die individuelle Bezahlung für außertariflich Beschäftigte richte sich entsprechend global einheitlicher Vergütungsgrundsätze nach objektiven Kriterien, wie zum Beispiel der jeweiligen Ebene und der Aufgabenschwierigkeit. Sie stelle somit die Angemessenheit der Vergütung im Marktvergleich dar – unabhängig vom Geschlecht. 

Im erstinstanzlichen Verfahren trug das Unternehmen – und das ist nach Angaben der GFF üblich in derartigen Verfahren – zudem als Grund für die geringere Bezahlung der klagenden Frau eine geringere Arbeitsqualität vor. Wörtlich heißt es im erstinstanzlichen Urteil, das LTO vorliegt: Die Differenz des Entgelts liege in der "persönlichen und fachlichen Eignung und den daraus resultierenden geringeren Wertbeiträgen" der Frau begründet. Die GFF hingegen teilte mit, die Arbeit der Klägerin im Feedbacksystem sowie von ihren Vorgesetzten sei "stets als gut bis sehr gut bewertet" worden. Erst seitdem die Klägerin versucht, ihren Anspruch auf Lohngleichheit durchzusetzen, stelle das Unternehmen die Leistungen infrage.

Der Fall ist nach Mitteilung der GFF bei Daimler kein Einzelfall. "Allein sechs weitere Abteilungsleiterinnen klagten oder klagen auf gleichen Lohn, teilweise schon in zweiter Instanz", so die GFF. Daimler betont, dass dies das einzige anhängige Verfahren gegen die Daimer Truck AG ist. Die anderen Verfahren richten sich gegen die Mercedes-Benz Group AG.

Die zuständige GFF-Juristin Sarah Lincoln hat bereits zwei Frauen in Equal-Pay-Fällen Frauen unterstützt, etwa die einstige ZDF-Redakteurin Birte Maier oder die Vertriebsmitarbeiterin Susanne Dumas.

Zitiervorschlag

Frau klagt auf Equal Pay: . In: Legal Tribune Online, 30.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55530 (abgerufen am: 01.10.2024 )

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