Weibliche Arbeitnehmer hatten lange den gesetzlichen Anspruch, an einem Tag monatlich zur Führung des Haushalts ohne Lohnverlust von der Arbeit freigestellt zu werden. Am 14. Juli 1954 entschied das Bundesarbeitsgericht erstmals dazu.
Ein bezahlter freier Arbeitstag nur für Frauen? – Verstößt das denn nicht offenkundig gegen die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz bzw. die Gleichberechtigung von Frau und Mann, Artikel 3 Abs. 1 und 2 Grundgesetz (GG)?
Ja, aber auf diese Feststellung musste man(n) rund 30 Jahre lang warten.
Die kommunistische Abgeordnete Johanna "Hanna" Melzer (1904–1960) und ihre Fraktionsgenossen brachten im Jahr 1947 den Entwurf für ein "Gesetz über Freizeitgewährung für Frauen mit eigenem Hausstand" in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein, der im Folgejahr mit breiter Mehrheit angenommen wurde. Auch der Kommissar der britischen Besatzungsmacht, in London regierte ja die Labour-Partei, genehmigte das sogenannte Hausarbeitstagsgesetz (HATG NRW).
Damit war eine in mehrfacher Hinsicht über drei Jahrzehnte hinweg umstrittene Regelung in der Welt.
Ein arbeitsfreier Wochentag im Monat in NRW
§ 1 HATG NRW gab vor: "In Betrieben und Verwaltungen aller Art haben Frauen mit eigenem Hausstand, die im Durchschnitt wöchentlich mindestens 40 Stunden arbeiten, Anspruch auf einen arbeitsfreien Wochentag (Hausarbeitstag) in jedem Monat."
Nach § 2 HATG NRW war der "Hausarbeitstag mit dem Durchschnittslohn der vorhergehenden Lohnberechnungsperiode" zu entgelten, außerdem wurde die Anordnung untersagt, die Freizeit durch Vor- oder Nacharbeit zu kompensieren. Weitere materiell-rechtliche Regelungen enthielt das sehr knapp formulierte Gesetz nicht.
In einigen anderen Ländern, etwa Bremen und Niedersachsen, wurden ähnliche Gesetze geschaffen, die aber teils eine höhere wöchentliche Arbeitszeit voraussetzten oder den Kreis der begünstigten Frauen enger zogen. Im Übrigen galt die "Anordnung über Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerbeschädigte und minderleistungsfähige Personen (Freizeitanordnung)" vom 22. Oktober 1943 fort – bis 1945 kamen in deren Genuss selbstredend nur jene Arbeitnehmer, die der NS-Staat für "rassisch" wertvoll hielt.
Nach § 2 Freizeitanordnung 1943 war Frauen mit eigenem Hausstand, die wöchentlich mindestens 48 Stunden beschäftigt werden, bei engem Schichtdienst wöchentlich eine bezahlte Freizeit von vier Stunden, unter weiteren Bedingungen monatlich ein ganzer Tag einzuräumen.
Nipperdey-Senat des BAG nimmt sich der Sache an
Mit Urteil vom 14. Juli 1954 entschied der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) erstmals zum nordrhein-westfälischen Gesetz – unter dem Vorsitz von BAG-Präsident Hans Carl Nipperdey (1895–1968).
Als einer der wirkungsmächtigsten deutschen Juristen des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, ist Nipperdey heute manchen nur noch wegen seiner Rolle in der NS-Zeit bekannt. Er war fachlich federführend beim "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" – einem führerstaatlichen Betriebsverfassungs- und Tarifordnungsgesetz, das sich dann allerdings auch vielfach erstaunlich reibungslos in die Arbeitsrechtsordnung der Nachkriegszeit überführen ließ. Als erster Präsident des BAG prägte er das Arbeitskampfrecht der jungen Bundesrepublik entscheidend. Das stand bei den Gewerkschaften in keinem guten Ruf. In der Presse galt er aber als durchaus nicht arbeitnehmerunfreundlich.
Bei alledem lässt sich Nipperdey als gewitzter Kopf beschreiben. Sein Zugriff auf die Streitfragen war außergewöhnlich beherzt – was im demokratischen, also rechtspositivistischen Rechtsstaat ja nur bedingt ein Lob ist. Auch das Urteil vom 14. Juli 1954 mag manchen Juristen den Atem stocken lassen, die mit ausgefeilten Theorien zur Auslegung des Grundgesetzes aufgewachsen sind.
Aber der Reihe nach.
Urteil vom 14. Juli 1954 – rustikale Auslegung
Klägerin war eine Bundesangestellte, die in den Jahren 1951 bis 1953 den arbeitsfreien Wochentag unter Entgeltfortzahlung reibungslos hatte in Anspruch nehmen können. Unstrittig lagen die Voraussetzungen nach § 1 HATG NRW vor. Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes galt es als sogenanntes partielles Bundesrecht – im Land Nordrhein-Westfalen – fort, weil es nach Artikel 125 Nr. 2 GG eine Materie früheren Reichsrechts regelte. Das traf schon wegen der Freizeitanordnung von 1943 zu.
Nun verweigerte ihr Dienstherr die Fortsetzung der Freistellung.
Das auf diesem Gebiet recht engagierte Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf vertrat die Auffassung, dass das Gesetz gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Artikel 3 Abs. 2 GG, und gegen das Verbot der Benachteiligung und der Bevorzugung aufgrund des Geschlechts, Artikel 3 Abs. 3 GG, verstoße, wenn es ausschließlich Frauen die Freistellung gewähre. Entsprechend hatte es die Klage abgewiesen, wie bisher den freien Tag zu gewähren.
Doch das BAG sah das anders: Weil es in dieser Frühzeit der Bundesrepublik noch an einer ausgearbeiteten Dogmatik und Methodenlehre zur Auslegung der Grundrechte fehlte, griff der 1. BAG-Senat beherzt auf § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurück und erklärte, den wirklichen Willen des Gesetzgebers, den Sinn und Zweck des Gesetzes ermitteln zu wollen. Leiten lassen müsse man sich hier vom "großen allgemeinen Grundsatz", dass "Gleiches gleich, Ungleiches, soweit es für wesentlich erachtet werden muss, verschieden, aber in verhältnismässiger Gleichheit zu behandeln ist".
Was die Gleichberechtigung von Mann und Frau betrifft, gelte im Anschluss an erste Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): "Nicht nur bestimmte biologische Unterschiede der Geschlechter gestatten eine verschiedene Regelung der Rechtslage. Vielmehr bleiben auch Differenzierungen, die auf anderen Unterschiedlichkeiten der Person oder auf Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände beruhen, von dem Differenzierungsverbot unberührt."
Soziale Konstrukte von Mann und Frau werden ins Normative gewendet
Bei evidenten Unterschieden zwischen Mann und Frau, zum Beispiel Fragen der Schwangerschaft, konnte rechtlich unbestritten bereits stark differenziert werden.
"Aber auch die Gewährung eines Hausarbeitstages", erklärte das BAG darüber hinaus in feinstem Sozialkonstruktivismus, "an die alleinstehende berufstätige Frau mit eigenem und von ihr selbst geführten Hausstand ist durch die Unterschiedlichkeit der Lebensumstände von beachtlicher Dauer und Festigkeit gerechtfertigt. Zu den Unterschiedlichkeiten der Lebensumstände gehört nicht nur eine arbeitsteilige funktionale Sonderstellung der Frau, insoweit Dritte, d. h. von ihr in ihrem Haushalt Betreute unmittelbar im Spiele sind, sondern die 'Rolle' schlechthin, die der Frau mit Haushalt typischerweise zufällt. Hier gilt immer noch für die Angehörigen des weiblichen Geschlechts, und zwar nicht nur nach einer nur traditionellen Vorstellung, sondern durchaus handfest und gegenwartsnah, daß es für sie typisch ist, bei eigenem Hausstand in ihm selbst tätig zu sein. Dagegen ist für Männer grundsätzlich und typisch das Gegenteil der Fall, mag es auch hier und dort mehr oder minder selten vorkommen, daß alleinstehende Männer ihren Haushalt selbst führen. Dieser Sachverhalt als solcher ist entscheidend und wesentlich, so daß es darauf, ob die Frau eine grössere Neigung zu Hausarbeiten kraft ihrer Veranlagung hat, gar nicht ankommt. Deshalb ist auch der Hinweis, daß Männer Hausarbeiten ebensogut oder besser als Frauen verrichten können, ebenfalls belanglos."
Überwältigt von der sozialen Realität, dass Frauen sich vorzugsweise selbst um ihren Haushalt kümmerten, während männliche Junggesellen sich etwa bei einer Wirtin einquartierten und versorgen ließen, habe der Gesetzgeber hier für eine Entlastung der weiblichen Arbeitnehmer votieren dürfen (BAG, Urt. v. 14.07.1954, Az. 1 AZR 89/54).
"Arbeit versus Kapital" wichtiger als "Mann versus Frau"?
Insbesondere die frauenfreizeitfreundliche Regelung in Nordrhein-Westfalen führte zu weiteren Kontroversen. Während der "Hausfrauentag" nach der anderenorts greifenden Regelung von 1943 erst ab 48 Stunden Wochenarbeitszeit zu gewähren war, genügten im wichtigsten Wirtschaftsraum Deutschlands, an Rhein und Ruhr, schon 40 Stunden.
Zwar hatten sich im nordrhein-westfälischen Landtag noch im Jahr 1949 Stimmen geregt, die Hürden zum Hausarbeitstaganspruch zu erhöhen, doch war man damit zu spät gekommen – aus Artikel 125 GG folgte, dass nach dem 23. Mai 1949 nur der Bundesgesetzgeber das Hausarbeitstagsgesetz NRW ändern konnte, wenn er sich schon nicht dazu aufraffte, die Materie bundesweit einheitlich zu regeln.
Man stritt weiter.
In der juristischen Diskussion äußerte beispielsweise der Nipperdey-Schüler Herbert Monjau (1901–1975), erster Präsident des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, ein in der Sozial- und Arbeitsrechtsszene der jungen Republik ebenfalls stark engagierter (und biografisch bemerkenswerter) Kopf, wiederholt Bedenken gegen die großzügige NRW-Regelung. Monjau machte etwa darauf aufmerksam, dass bei den Kölner Ford-Werken von jeher die 40-Stunden-Woche mit großzügig bemessenen Wochenenden bestanden habe. Mit der zwischenzeitlichen Ausweitung der 40-Stunden-Woche auf nahezu alle Arbeitnehmer werde die Regelung noch fragwürdiger, als sie es 1947/48 bereits gewesen sei.
Während Vertreter der unternehmerischen Wirtschaft in NRW darauf drangen, den Standortnachteil des schon ab 40 Wochenarbeitsstunden zu gewährenden "Hausfrauentages" zu beseitigen, rief der SPD-Landtagsabgeordnete und DGB-Funktionär Wilhelm Haferkamp (1923–1995) im Jahr 1960 sehr erfolgreich zum breiten Protest auf, als sich im Bundestag eine engere Neuregelung des NRW-Gesetzes aus dem Jahr 1948 abzeichnete – potenziell betroffene Arbeitnehmerinnen gingen, wie der Spiegel berichtete, mit zum Teil drastischen Mitteln direkt gegen CDU-Abgeordnete vor.
Dass zirkulär die gesetzlich bedingten höheren Kosten für weibliche Arbeitnehmer am Faktormarkt Arbeit zu einer Verfestigung jener Geschlechterrollen beitrugen, die das Gesetz begründeten, interessierte seinerzeit kaum jemand – damals war in der öffentlichen Auseinandersetzung der Interessengegensatz von Arbeit und Kapital wichtiger als die heute im politischen Feuilleton oft end- und alternativlos diskutierten Gendergegensätze.
Benachteiligung des Mannes wird erst später gesehen
Den Anfang vom Ende des Frauen vorbehaltenen Hausarbeitstags läutete im Jahr 1977 Ferdinand Mück ein, tätig als Krankenpfleger im Dienst der Universitätsklinik Köln.
Ausgelastet auch von der Pflege seiner allein bewohnten 80-Quadratmeter-Wohnung begehrte er von seinem Arbeitgeber die Gewährung des "Hausfrauentages", später ersatzweise dessen Abgeltung. Mück erfüllte augenscheinlich alle Voraussetzungen, die nach § 1 HATG NRW und der zwischenzeitlich einschränkenden BAG-Rechtsprechung zu prüfen waren – abgesehen vom kleinen Detail, ein Mann zu sein.
Mit Beschluss vom 13. November 1979 (Az. 1 BvR 631/78) entschied das BVerfG in Mücks Sache, dass es mit Artikel 3 Abs. 2 GG unvereinbar sei, "wenn alleinstehenden Frauen mit eigenem Hausstand, nicht aber Männern in gleicher Lage ein Anspruch auf Hausarbeitstag gewährt wird".
Abgeschafft wurden die seit 1943 bestehenden Regelungen zum "Hausfrauentag" schließlich durch Artikel 19 Gesetz zur Vereinheitlichung und Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts vom 6. Juni 1994.
Der Hausarbeitstag für Frauen: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54989 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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