Frauen in Hosen (sind dem Herrn ein Greuel), die seelenbildende Gewalt (der deutschen Rechtschreibung vor der Reform) und Tipps, um Reichsbürger endgültig in den Wahnsninn zu treiben – in Zehn-Jahres-Schritten gibt es viel zu sehen.
Die wichtigsten Toten des Jahres 2016 sind in den Medien bereits besungen, jedes Thema durch mindestens einen Jahresrückblick gelaufen. Natürlich spielt hier die nachrichtenarme Zeit zum Jahreswechsel eine Rolle.
Bei den juristischen Themen ist oft mehr als nur die Rückschau auf ein einzelnes Jahr nützlich. Dass beispielsweise ein gesellschaftlicher Konflikt um religiöse Textil-Vorschriften schon vor 30 Jahren zum Rechtsstreit führte – mit großzügiger Haltung bayerischer Richter –, mag etwas gegen die Aufgeregtheit in der Gegenwart weiterhelfen. In zehn Schritten: Ältere Neuigkeiten aus dem deutschen Recht der Jahre 2007 bis 1917.
2007 – Postmortaler Ehrenschutz in Karlsruhe
Im Roman "Esra" des TV-Literaturkritikers Maxim Biller entdeckten die Zivilgerichte und schließlich, mit Beschluss vom 13. Juni 2007 das Bundesverfassungsgericht, allzu leicht zu entschlüsselnde Szenen aus dem Privatleben von Ayşe Romey, der früheren Freundin Billers – Persönlichkeitsrecht schlägt Kunstfreiheit.
Später im Jahr schlägt das Pendel zur anderen Seite. Die Mutter eines 14-jährigen Mädchens, das im Jahr 2004 ermordet worden war, sah das postmortale Persönlichkeitsrecht der Tochter durch das Theaterstück "Ehrensache" verletzt, in dem seit 2005 ein ähnliches Delikt episodenhaft thematisiert wurde.
In der "Ehrensache"-Entscheidung halten die Karlsruher Richter dem Theater-Autor zugute, dass er Realitätsbezüge zum frischen Mordfall dadurch verwischt, dass einige Figuren, "deren Unzuverlässigkeit im Lauf des Stücks sogar ausführlich thematisiert wird, Handlungen und Eigenschaften" jener Figur "schildern und bewerten", die als mutmaßliches Abbild des Mordopfers dient (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, Az. 1 BvR 1533/07).
Nicht ganz zu Unrecht gilt das Bundesverfassungsgericht unter Künstlern seit 2007 selbst als eine etwas unzuverlässige Größe bei der Frage, wie weit sie Realitätsbezüge in ihren Werken tarnen müssen.
1997 – Orthografie: Bildungsbastion wird geschleift
FAZ, "Süddeutsche" und "Spiegel" kapitulierten erst zum 1. Januar 2007, nachdem einige der teils schier unfassbaren Mängel der sogenannten Orthografie-Reform ausgemerzt worden waren.
Zehn Jahre zuvor herrschte, was die neu regulierte Rechtsschreibung betrifft, noch das nackte Grauen vor. Ein hervorragendes Beispiel gab das Verwaltungsgericht Hannover mit Beschluss vom 7. August 1997 (Az. 6 B 4318/97), der dem niedersächsischen Kultusministerium vorläufig aufgab, die Tochter der Antragstellerin nicht nach der "Amtliche(n) Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" von 1996 unterrichten zu lassen.
Selten hat man einen Beschluss gelesen, in dem das Pathos derart dick aufgetragen wird. Das Gericht macht sich u.a. ein Wort der Präsidenten-Gattin Elly Heuß-Knapp zu eigen: "… ich glaube, daß ein Volk zur Einheit wird durch die gemeinsame Geschichte und die seelenbildende Gewalt der Sprache".
"Seelenbildende Gewalt der Sprache", man fragt sich, ob es nicht auch eine Nummer kleiner geht. Gesprochene und geschriebene Sprache sind dem Gericht eins: "Die Schreibung teilt Eigenart und Rechtsschicksal der Sprache. Beide gehören nach herkömmlicher pädagogischer Auffassung zusammen." Eigentlich sollte doch der berüchtigte "Lehrer mit Rechtsschutzversicherungen" die Juristen gelehrt haben, dass man nicht den unkritischen Schulterschluss mit der Pädagogen-Branche suchen sollte.
Bei allen Ärgernissen, die mit der Reform-Schreibweise verbunden waren oder sind: Wer ein amtliches Dokument sucht, das im Abstand von 20 Jahren dazu dringend einlädt, kontroverse Themen ein wenig nüchterner zu diskutieren, wird beim Verwaltungsgericht Hannover fündig.
1987 – Männerkleider tragen - dem Herrn ein Greuel
Den Gläubigen ist es untersagt, "Strandbäder, Schwimmbäder und ähnliche Orte zu besu-chen, wo unanständige Kleidung getragen wird". Es "ist unter anderem für Frauen bestimmt, daß sie unter keinen Umständen und bei keiner Gelegenheit Hosen tragen dürfen". Auf die Geschlechterehre der Frau wird hoher Wert gelegt, gerade beim Hosen-Verbot: "Wenn man an den Schulen von den Mädchen solches verlangt, wie z.B. für Leibesübungen, so müssen sie das rundwegs verweigern."
Mit Hinweis auf die schweren Bußstrafen, die ihnen ihr Kult sonst auferlegte, verlangten die Eltern einer bayerischen Schülerin, dass diese vom Sportunterricht befreit werde.
Der Verwaltungsgerichtshof München gab ihnen Recht (Urt. v. 06.05.1987, Az. 7 B 86.01557), weil "die Kläger und ihre Tochter durch deren Teilnahme am Sport- und Schwimmunterricht wegen des dabei notwendigen Tragens von Sport- und Schwimmkleidung einem verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt ausgesetzt würden".
Nebenbei: Die Kläger und die in ihrer Sittlichkeit geschützte Tochter waren Angehörige der "Palmarischen Kirche", einer katholischen Sekte, deren religiösen Führern die römisch-katholische Kirche zu modern schien. Zu den unter den "Kulturvölkern" konsensfähigen Regeln, die ggf. von Staats wegen zu beachten seien, zählten die bayerischen Richter bei dieser Gelegenheit das 5. Buch Mose, Vers 22, 5: " Eine Frau soll nicht Männersachen tragen, und ein Mann soll nicht Frauenkleider anziehen; denn wer das tut, der ist dem HERRN, deinem Gott, ein Greuel."
1977 – Die Schleyer-Entführung und Sicherheit beim BVerfG
Die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer im Herbst des Jahres 1977 ist als einschneidendes Ereignis in Erinnerung geblieben.
Ende 2016, nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, wird Bundeskanzler Helmut Schmidt gern als jemand zitiert, der damals der Terror-Hysterie in Deutschland rhetorisch etwas entgegengesetzt habe. Vergessen sind darüber die Diskussionen im Krisenstab führender SPD-, CDU/CSU- und FDP-Politiker unter Kanzler Schmidt, gegen strafgefangene Terroristen rechtswidrige Repressalien zu erwägen.
1977 setzte das Bundesverfassungsgericht einerseits etwas fort, was von vielen als – inzwi-schen seit einem Vierteljahrhundert bewährte – liberale Umbau-Arbeit am deutschen Recht wahrgenommen wurde: Zum Beispiel mit dem etwas halbherzigen Urteil vom 21. Juni 1977, das verlangte, der lebenslangen Freiheitsstrafe Grenzen zu setzen (Az. 1 BvL 14/76). Seit jenem Jahr ist allen Strafvollzugs-Reformern, die mit dem Resozialisierungsgedanken ernstmachen wollten, eine Möglichkeit abhandengekommen, ihre Anliegen mit diesem starken Beispiel politisch zu thematisieren.
Im August 1978 sollte das Bundesverfassungsgericht andererseits dem sogenannten Kontaktsperregesetz seinen Segen geben, mit dem 1977 eilends die Kommunikation der RAF-Gefangenen eingeschränkt worden war (Beschl. v. 01.08.1978, Az. 2 BvR 1013/77 u.a.).
War die Rechtspolitik seit 1949 damit beschäftigt gewesen, dem deutschen (Straf-) Recht liberalere Züge zu geben, kann 1977 als das Jahr gelten, in dem die Wende zu immer noch mehr Sicherheit vollzogen wurde, von der sich die deutsche Rechtspolitik gar nicht mehr freimachen mag.
1967 – Die Sechziger konnten so putzig sein
Bis 1975 galten Menschen im freien Teil Deutschlands erst mit Vollendung des 21. Lebensjahrs als volljährig. In der DDR war das Volljährigkeitsalter bereits 1950 auf 18 Jahre gesenkt worden. Ob man dort viel davon hatte, sei dahingestellt.
Die vergleichsweise späte Volljährigkeit brachte ihre eigenen Schwierigkeiten mit sich. Mit Urteil vom 2. März 1967 (Az. VG IV E 16/67) befasste sich das Verwaltungsgericht Kassel beispielsweise mit der Frage, wie der Übergang vom Elternhaus zum Militär im Detail geregelt sei: Obwohl noch nicht 21-jährige Männer mit Blick auf den Vollzug der Wehrpflicht von Rechts wegen wie Erwachsene zu behandeln waren, klagten die Eltern eines vorzeitig Einberufenen erfolgreich – wobei das Gericht erstaunlich viel Verständnis für deren Lage als Eltern und zugleich Arbeitgeber des jungen Mannes aufbrachte: Offenbar hatte er der elterlichen Obhut zum Kommis entfliehen wollen.
Putzig: Das Bundesverfassungsgericht befand mit Beschluss vom 4. Juli 1967 (Az. 2 BvL 10/62), dass die gebührenpflichtige polizeiliche Verwarnung – 1945 zunächst von den Alliierten aufgehoben, dann schnell wieder eingeführt – verfassungsgemäß sei. Anlass gab ein jugendlicher Kfz-Fahrer, der monierte, die Polizei übe hier rechtsprechende Gewalt aus. Der Tarif lag übrigens bei 5 Mark.
1957 – "Reichsbürger" in den (völligen) Wahnsinn treiben?
Das 1914 aufgesetzte Testament des Landwirts Wilhelm B. und seiner Gattin Luise setzte Sohn Hinrich Karl B. als Erben, dessen Söhne als Nacherben ein, wohl schon mit Blick darauf, dass Ersterer – ohne die Beschränkungen des Vorerben-Status – den Hof an seine Alkoholsucht verlieren könnte.
Mit Urteil vom 16. April 1931 stellte das Landgericht Oldenburg fest, dass der Freistaat Oldenburg den Söhnen des Hinrich Karl alle Schäden zu erstatten habe, die durch einen Fehler beim Ausstellen des Erbscheins entstehe: Wilhelm und Luise waren 1921 und 1925 verstorben, im Erbschein war versäumt worden, die Nacherben einzutragen, der später wegen Trunksucht entmündigte Hinrich Karl B. belastete Haus und Hof mit Schulden.
Der Bundesgerichtshof befasst sich in seinem Urteil vom 20. Mai 1957 (Az. III ZR 118/56) ausführlich mit der Frage, ob das Staatshaftungsgesetz des Großherzogtums Oldenburg vom 22. Dezember 1908, das eine dreijährige Verjährungsfrist für geschädigte Dritte gegenüber dem Staat vorsah, anzuwenden ist.
Eine hübsche Diskussion entfaltet der BGH zur Frage, ob oldenburgisches Staatshaftungs-recht nach § 549 Zivilprozessordnung seiner Revision unterliegt: Weil der NS-Staat 1937 die vormals zu Oldenburg gehörenden Gebiete Lübeck und Birkenfeld an Preußen übertragen hatte, galt das Staatshaftungsrecht des inzwischen vom Land Niedersachsen abgelösten Freistaats Oldenburg nicht mehr allein im Gerichtssprengel des Oberlandesgerichts Oldenburg.
Für die paradoxe Therapie von "Reichsbürgern" zur Lektüre in der Langversion zu empfehlen.
1947 – Aufräumarbeiten an NS-Hinterlassenschaften
"N. ist nach meinen Feststellungen im Juli 1942 wegen Umganges mit Juden festgenommen und einem Konzentrationslager zugeführt worden. Durch dieses artfremde Verhalten hat er bewiesen, daß er nicht restlos gewillt ist, sich restlos den nationalsozialistischen Grundsätzen unterzuordnen, deshalb ihm in politischer und weltanschaulicher Beziehung die Zuverlässigkeit nicht zuerkannt werden kann. Der Genehmigung des Kaufvertrages steht somit ein öffentliches Interesse entgegen, das hier im gesunden Volksempfinden begründet liegt. Diese Entscheidung ist endgültig."
Mit dieser Begründung hatte ein Landrat 1942 die – gesetzlich vorgesehene – Genehmigung zur Übereignung eines Grundstücks verweigert. Zwar erklärten Landratsamt und Regierungspräsident 1946, dass die Entscheidung von 1942 "nach heutiger Rechtsauffassung als gegen die guten Sitten verstoßend" zu betrachten sei, doch weder das 1946 angerufene Landgericht noch das Oberlandesgericht Zweibrücken (Urt. v. 21.05.1947) waren bereit, die gescheiterten Käufer des Jahres 1942 in ihr damaliges Recht zu versetzen, also den Eigentümerwechsel am Grundstück zu befehlen – mit der Begründung, anderenfalls bräche allgemeine Rechtsunsicherheit aus.
Der Frankfurter Rechtsgelehrte Helmut Coing (1912–2000) kritisierte: Im Ergebnis sei das Urteil zwar richtig, korrekter wäre es aber, den Käufern nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Befriedigung ihres politisch verdorbenen Rechtsanspruchs zu verweigern. Nur mit der Rechtssicherheit zu argumentieren, hieße, auch Widerstandsakte gegen tyrannische Herrschaft "mit dem Makel der Rechtswidrigkeit" zu belegen.
1937 – Das Reichsgericht ganz sauber, Rassenschande im Bordell
Dass es nicht bereit war, der Verwaltung im NS-Staat jede Willkür durchgehen zu lassen, zeigte das Reichsgericht z.B. mit Urteil vom 29. Juni 1937 (Az. III 182/36): Ein württembergischer Polizei-Offizier hatte sich von einem seiner Muschkoten mit dem Dienst-Motorrad zu einer dienstlichen Besprechung kutschieren lassen. Einem dabei zu Schaden gekommenen Bürger wollte das Deutsche Reich, inzwischen Dienstherr, aber a) die Haftung aus Artikel 131 Reichsverfassung, § 839 Bürgerliches Gesetzbuch verweigern, weil hier keine "öffentliche Gewalt" ausgeübt worden sei, und b) einen Lebensversicherungsanspruch auf den Schadensersatz anrechnen.
Das machte das Reichsgericht nicht mit (Reichsgericht in Zivilsachen, Band 155, S. 186–192).
Ein paar Dienstzimmer weiter: "Der Angeklagte, der Volljude ist, ging am 22. November 1935 mit der deutschblütigen M., die der gewerbsmäßigen Unzucht nachgeht, in deren Schlafzimmer, um dort mit ihr den Beischlaf auszuüben. Die M. schloß die Zimmertür ab, nahm aus ihrem Nachttisch ein Schutzmittel, machte es gebrauchsfähig und begann, sich zu entkleiden. Auch der Angeklagte zog sich Rock, Weste, Schuhe und Strümpfe aus."
Als zehn Minuten später die Polizei eintrifft, hatten sich Prostituierte und Kunde nur unterhalten, eine Zigarette geraucht. – Die Verteidigung mühte sich, mit der Revision gegen das Urteil wegen versuchter "Rassenschande" vorzugehen, weil noch kein Körperkontakt zwischen den Beteiligten stattgefunden hatte. Das Reichsgericht exekutiert die Rassengesetzgebung im Sinne ihrer Erfinder: Weil das "Blutschutzgesetz" neben der Verhinderung von "Mischlingen" auch die "deutsche Ehre" schützen solle, genüge schon die Absicht des "Volljuden", mit der "deutschblütigen" Prostituierten zu verkehren, als Versuch.
1927 – Aufmerksamkeit im Automobilverkehr wird erfunden
Autofahrer müssen auf ihre Mitmenschen Rücksicht nehmen und "unter Umständen auch mit einem unverständigen Benehmen anderer Personen auf der Straße" rechnen. "An dieser Auffassung muß festgehalten werden. Das ergibt sich schon daraus, daß der Kraftwagen als ein wuchtiger Körper und bei seiner gegenüber dem sonstigen Straßenverkehr hohen Geschwindigkeit notwendig eine Unsicherheit für den Verkehr in sich birgt, dann aber auch daraus, daß der Straßenverkehr jedem, auch dem geistig wenig Regsamen, dem Kinde wie gebrechlichen Personen, offen ist, so daß der Kraftfahrer, namentlich wenn er die ihm begegnenden oder von ihm zu überholenden Personen nicht kennt, immer damit rechnen muß, daß diese aus einer ihnen eigenen geistigen Schwerfälligkeit zu langsam die gegebenen Warnungszeichen aufnehmen und darauf ihren Entschluß fassen, oder daß sie in plötzlichem Erschrecken verkehrt handeln"
Im Urteil vom 4. Januar 1927 (Az. I 809/26) rasselte das Reichsgericht ordentlich mit den Kettensätzen, um zu begründen, warum auch strafrechtlich zu gelten habe, was die Zivilsenate schon oft entschieden hätten: Zu hupen und darauf zu hoffen, dass der gewarnte Fußgänger dem Fahrzeug korrekt ausweicht, genüge nicht unbedingt, um dem Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung zu entrinnen.
Sehr hübsch: In der Revisionsschrift scheint der Strafverteidiger das Urteil des Landgerichts Koblenz dahingehend zugespitzt zu haben, dass es angenommen hätte, "ein Fußgänger dürfe auf ein ertönendes Hupenzeichen 'beliebig auf der Straße herumspringen'". Darauf reagierte man in Leipzig natürlich kollegial gereizt.
1917 – Deutschland spielt Sozialismus, aber sehr legal
Im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs wurde ein Gericht ins Leben gerufen, das zu den wenig bekannten Einrichtungen des deutschen Wirtschaftsverwaltungsrechts zählt.
Mit der "Verordnung über die Sicherstellung von Kriegsbedarf" vom 26. April 1917 schuf der Gesetzgeber eine an Unklarheit kaum zu überbietende Ermächtigungsgrundlage für das, was man später den deutschen Kriegssozialismus genannt hat: "Während der Dauer des gegenwärtigen Krieges kann das Eigentum an Gegenständen des Kriegsbedarfs und an Gegenständen, die bei der Herstellung oder dem Betriebe von Kriegsbedarfsartikeln zur Verwendung kommen können, unbeschadet der Zuständigkeit der Militärbefehlshaber, auch durch Anordnung der Kriegsministerien oder des Reichs-Marineamts oder der von ihnen bezeichneten Behörden auf eine in der Anordnung zu bezeichnende Person übertragen werden."
Aus § 1 Absatz 1 der Verordnung spricht die kriegswirtschaftliche Lage: War es bisher üblich gewesen, dass sich das Militär gleichsam als Endverbraucher versorgte, unter Umständen zwangsweise über die Militärbefehlshaber, sah man jetzt das Erfordernis, an vielen Stellen der Wertschöpfungskette einzugreifen, z.B. um Rohstoffe für die Munitionsherstellung aus anderweitigen Verwendungen umzudirigieren.
Zur Festsetzung der Entschädigung – orientiert am "Friedenspreis" – war nach der Verord-nung ein "Reichsschiedsgericht für den Kriegsbedarf" zu gründen, das nach 1918/19 als Reichswirtschaftsgericht firmierte und beispielsweise für die Schadensregulierung nach "Tumulten", also den bürgerkriegsähnlichen Konflikten in Deutschland, zuständig war.
Martin Rath, Jahrhundert-Rückblick: Juristischer Zeitgeist, eingefangen . In: Legal Tribune Online, 01.01.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21627/ (abgerufen am: 03.07.2024 )
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