2/2: Oberlandesgericht Kiel: Treuhänder ohne Ehrgefühl
"Der Antragsteller ist Jude. Er war Inhaber eines Konfektionsgeschäftes in B. Am 13.12.1938 wurde ihm durch Verfügung des RegPräs. in Sch. aufgegeben, seinen Gewerbebetrieb bis zum 15.1.1939 zu veräußern. Zur einstweiligen Fortführung des Betriebes und zur Herbeiführung der Veräußerung wurde gleichzeitig der Antragsgegner als Treuhänder eingesetzt. Dieser führte die Veräußerung des Gewerbebetriebes nach Maßgabe der ihm vom RegPräs. erteilten Weisungen durch."
In Kiel suchte ein Überlebender der Shoah rechtliches Gehör auf der Grundlage des Armenrechts, der Vorläuferin der heutigen Prozesskostenhilfe. Dazu hatte das OLG Kiel über die Erfolgsaussichten seines Anliegens zu befinden:
Zum Jahreswechsel 1938/39 war das Kleidungsgeschäft des Klägers jüdischer Herkunft in die Verwaltung eines Treuhänders geraten, der auf der Grundlage der "Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens" vom 3. Dezember 1938 eingesetzt worden war.
Von diesem Treuhänder begehrte der aus seinem Eigentum verdrängte Geschäftsmann nun Schadensersatz in Höhe von mindestens 15.000 Reichsmark, gestützt auf § 826 BGB mit der Begründung, dieser "habe gegen die guten Sitten verstoßen, indem er unsittliche Maßnahmen des Staates durchgeführt habe".
Das OLG Kiel verneinte einen Schadenersatzanspruch gegen den Treuhänder, da diesem nicht nachzuweisen sei, dass er das Geschäft zu Schleuderpreisen veräußert habe. Er habe vielmehr im Rahmen seiner Treuhänderpflichten gehandelt und komme daher – bei allen sittlichen Zweifeln an der offensichtlich jedem bürgerlichen Rechtsverständnis hohnsprechenden NS-Verordnung – in den Genuss des Beamtenprivilegs aus § 839 BGB, Art. 131 Reichsverfassung von 1919, das solcherart mit staatlichen Aufgaben beliehene Personen begünstigte.
Anderer Ansicht: Otto Küster
Der Stuttgarter Rechtsanwalt Otto Küster kommentierte den Kieler Beschluss (v. 10.07.1947, Az. 2 W 248/47) mit dem kühlem Wort: "Rez. glaubt nicht, daß damit Recht gesprochen ist."
Vorweg ist zu sagen: Anders als heute, war der Fiskus des Jahres 1947 kein solventer Schuldner. Dem faktisch enteigneten jüdischen Händler war daher nicht damit gedient, dass das OLG Kiel ihm den Staat als Ersatzadresse für Schadensersatzansprüche empfahl.
Köster bedauert, dass dem jüdischen Kläger durch den abweisenden Beschluss zur Prozesskostenhilfe der Weg abgeschnitten wurde, sein Vorbringen zu § 826 BGB prüfen zu lassen.
Die Haftung des Treuhänders nach den Grundsätzen der Beamtenhaftung negativ zu prognostizieren sei eine Sache. Auch sei das hilfsweise Vorbringen des Klägers, das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10, das rassistische Diskriminierungen aufhob, als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB heranzuziehen, vom OLG Kiel wohl zu Recht abgewiesen worden – 1938/39 habe es antirassistische Schutzgesetze in Deutschland nun einmal noch nicht gegeben.
Allerdings wäre es – so Küster – ein durchaus vertretbares Anliegen gewesen, den Treuhänder als Verursacher einer sittenwidrigen Schädigung in Anspruch zu nehmen – nicht, weil er in seiner Tätigkeit als Treuhänder das Eigentum des jüdischen Mitmenschen geschädigt habe – was wohl gar nicht zur Diskussion stand –, sondern bereits, weil er dieses Amt überhaupt übernommen hatte.
Anders als manchem Mitläufer und Mittäter in den mörderischen Gewaltapparaten des Nazi-Staates habe den nach NS-Recht legalisierten Räubern, Dieben und Betrügern regelmäßig die schlichte Alternative zur Wahl gestanden, nicht mitzumachen.
Helle Köpfe in der Nachkriegszeit
Während der hessische Beamte Adolf Arndt jedenfalls Kennern der jungen Bundesrepublik ein Begriff ist – der Jurist zählte als Bundestagsabgeordneter und als SPD-Vorstandsmitglied zu den wichtigen Stimmen dieser Zeit –, steht der Bekanntheitsgrad von Otto Küster (1907–1989) in einem denkbar ungünstigen Verhältnis zu dem Renommee, das sich die deutsche Anwaltschaft mit Köpfen wie ihm verdienen könnte.
Beide, Küster wie Arndt, zeigten bereits 1947, dass ein ethisch gut geeichter Kompass und das BGB für gutes Recht genügten – eine Botschaft, die vor allem der Zivil- und Arbeitsrechtler Bernd Rüthers (1930–) seit seiner Schrift "Die unbegrenzte Auslegung" (1968) immer wieder beredt, wenn auch nicht unbedingt erfolgreich verkündet.
Nicht zuletzt machen Köpfe wie Adolf Arndt auf die Defizite in unseren zeithistorischen Vorverständnissen aufmerksam – nicht nur in der Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts. Indem Arndt beispielsweise dafür eintrat, dass sich die SPD 1959 eindeutiger zum Grundgesetz bekannte, als sie es eigentlich vorhatte, führte das wohl mit zur Blutleere, mit der 1989/90 über die heutige Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands gesprochen wurde.
Es gibt gute Gründe, über die junge Bundesrepublik und ihre Vorgeschichte mindestens so viel wissen zu wollen wie über die Weimarer Republik oder die NS-Zeit.
Hinweis: Die Entscheidungen und ihre Besprechungen sind zu finden in der Süddeutschen Juristen-Zeitung von 1947, Spalten 511 bis 519.
Martin Rath, Nachkriegsrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23557 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag