Der Fall Laserstein: Tod eines unangepassten Juristen

von Martin Rath

14.11.2010

Im Frühjahr 1955 nahm sich in Düsseldorf ein Richter das Leben, kurz nachdem er aus dem Amt gedrängt worden war. Der Selbstmord des Juristen Botho Laserstein, der als rassisch Verfolgter die NS-Zeit überlebt hatte, schlägt nur kurz Wellen, der Fall gerät in Vergessenheit. Ein Versuch über eine vielleicht gelungene Aufarbeitung von Justizgeschichte von Martin Rath.

LasersteinDer Kölner Publizist Herbert Hoven hat ihm 1990 mit einer kleinen Dokumentensammlung ein Denkmal gesetzt. Doch ob sich die Justizbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen dem noch anschließen werden, darf bezweifelt werden. Zwar mag sich neuerdings vielleicht das Auswärtige Amt mit den wenigen Widerstandskämpfern schmücken, die es zwischen 1933 und 1945 in seinen Reihen hatte.

Doch dieser Botho Laserstein, der bis 1933 als Rechtsanwalt in Berlin gearbeitet hatte und nach dem Krieg für kurze Zeit als Staatsanwalt und Hilfsrichter in Nordrhein-Westfalen, ist kein Widerstandskämpfer gewesen. Er passte nur nicht in die Standesmoral und Staatstreue der westdeutschen Nachkriegsjustiz.

Verwendung im höheren Justizdienst

Kurz nachdem ihm der Berliner Kammergerichtspräsident im Sommer 1933 die Zulassung als Rechtsanwalt wegen seiner "nichtarischen" Herkunft entzogen hatte, war der Jurist und Schriftsteller Botho Laserstein nach Frankreich ins Exil gegangen. Die Zeit der deutschen Besatzung hatte er überlebt, doch seine Frau und seine Tochter wurden gefangen, deportiert und ermordet. Auch Lasersteins Eltern und Geschwister wurden getötet.

Als sich Laserstein 1950 von Frankreich aus um eine Anstellung im westdeutschen Staatsdienst bewarb, fiel die Antwort des Justizministers von Nordrhein-Westfalen sehr verhalten aus: Bei Neueinstellungen seien vorzugsweise die "aus dem Osten Deutschlands vertriebenen Beamten" zu berücksichtigen. Ein fast schon devoter Brief Lasersteins an Bundeskanzler Adenauer, in dem er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar belegte und auch auf seine Konversion zum Katholizismus hinwies, brachte Bewegung in sein Anliegen: 1951 wurde Laserstein probeweise und "jederzeit widerruflich" in den Justizdienst des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen.

Personal und Klima der Nachkriegsjustiz

Nach Inkrafttreten des Gesetzes zu Artikel 131 Grundgesetz im Jahr 1951 lag der Prozentsatz früherer NSDAP-Mitglieder in mancher westdeutschen Behörde bald schon über dem der "Parteigenossen" vor 1945. Schon deshalb wird der aus dem Exil heimgekehrte Laserstein unter den Juristen in Düsseldorf und Essen aufgefallen sein.

Lasersteins öffentliches Auftreten, mit dem er an sein liberales und pazifistisches Engagement vor 1933 anknüpfte, ließ ihn bald noch viel mehr auffällig werden.

War die Todesstrafe gerade erst 1949 durch Artikel 102 des Grundgesetzes abgeschafft worden, kurioserweise auf Antrag des späteren CDU-Rechtsaußen-Politikers Seebohm, fand 1952 ein Antrag auf Wiedereinführung im Bundestag starke Unterstützung, wenn auch keine verfassungsändernde Mehrheit. Auch in der Bevölkerung blieb die Todesstrafe noch bis in die 1970er-Jahre mehrheitsfähig.

In einem Vortrag hatte Laserstein gegen die Todesstrafe agitiert und die Vermutung geäußert, nach ihrer Wiedereinführung sei damit zu rechnen, dass bald auch wieder politische Straftaten mit dem Tod bestraft würden.

Neben dem Justizministerium in Nordrhein-Westfalen, das seit 1952 eine Akte über die politischen Aktivitäten Lasersteins zu führen begann – übrigens die Hauptquelle für Herbert Hovens Dokumentation von 1990 –, interessierte sich nun auch der Verfassungsschutz für den unbequemen Juristen.
Ihn aus dem Justizdienst zu beseitigen, wurde von einigen nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten gefordert, weil sich Laserstein bei einer öffentlichen Diskussion bei den damals berühmten "Kölner Mittwochsgesprächen" etwas unglücklich über die Reichweite des ministeriellen Weisungsrechts gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert hatte.

Ende einer kurzen Justizlaufbahn

Obwohl sonst eher wenig zimperlich in Methoden und Maßstäben musste das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz dem hellhörig gewordenen Justizminister von Nordrhein-Westfalen mitteilen, dass für eine Zusammenarbeit Lasersteins mit "kommunistischen Tarnorganisationen" keine Beweise vorlägen.

Für das finale Kesseltreiben gegen seine Person bot Laserstein aber schließlich einen denkbar gut geeigneten Stoff – mit seiner Broschüre "Stricherjunge Karl", einer literarisch wohl eher gut gemeinten Schrift, die an den öffentlichen Streit um den "Paragrafen 175" anknüpfte, der schon in den 1920er-Jahren heftig getobt hatte. Hatte es vor 1933 noch eine vergleichsweise starke Bewegung zur Entkriminalisierung männlicher Homosexualität gegeben, blieben sogar selbst die nationalsozialistischen Strafrechtsverschärfungen von 1935 bis 1969 in Kraft.

Laserstein wurde überwacht. Weil die Observation des Verdächtigen keinen "auffallenden Männerverkehr in seiner Wohnung" aufdeckte, musste es dem Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm genügen, Lasersteins unglückliche Broschüre als Beweisstück gegen ihn zu verwenden. Ihm wurde deutlich zu verstehen gegeben, dass er nicht länger im Justizdienst arbeiten könne. Zum 31. März 1955 wurde er als Richter mit dem dringenden Vorschlag entlassen, bis dahin Urlaub zu nehmen.

Für Laserstein war damit seine berufliche Existenz vernichtet, sah er für sich doch keine Aussichten, im Alter von 55 Jahren noch einmal als Rechtsanwalt zu reüssieren. Auch seinen privaten Hoffnungen war ein Ende gesetzt – es hatte Heiratspläne gegeben, Adoptionspläne für den Sohn der Frau.

Eine verzweifelte Bitte Lasersteins, in der Benediktinerabtei von Maria Laach Zuflucht zu erhalten, wies der Pater Prior ab. Der ablehnende Brief des Mönchs erreichte Laserstein am 9. März 1955.

Am gleichen Tag endete Lasersteins zweiter Suizidversuch des Jahres tödlich. Nicht zuletzt seine materielle Existenzangst wird ihn in den Tod getrieben haben. Im recht umfangreichen SPIEGEL-Artikel zum Fall Laserstein, erschienen am 27. April 1955, ist nachzulesen:

"Wenige Tage nach Lasersteins Tod teilte das Berliner Amt für Wiedergutmachung mit, daß Dr. Laserstein in Kürze mit der Auszahlung der ersten Wiedergutmachungsrate in Höhe von 30.000 Mark zu rechnen habe."

Nach-Leben: Zum Märtyrer ungeeignet

Die sozialdemokratische Presse nahm sich der Sache noch ein wenig an, danach geriet der Fall Laserstein weitgehend in Vergessenheit. Verdienstvoll, dass Herbert Hoven mit der Dokumentation von 1990 ein kleines Denkmal gesetzt hat.

Einerseits ist es schon ein bisschen traurig, dass Laserstein seither von keiner sozialen Bewegung oder Partei zur Ikone ihres Anliegens erklärt wurde – ob er Linken oder Liberalen zu devot gegenüber Adenauer war und "Christopher Street Day"-Apologeten zu bieder?

Andererseits verweist das ziemliche Desinteresse an einem Mann, der so tragisch noch an der westdeutschen Nachkriegsjustiz und -politik gescheitert ist, vielleicht auch auf eine gute Entwicklung: Man mag ja von der jüngsten Aufbereitung der NS-Geschichte von Auswärtigem Amt und des Reichsfinanzministeriums halten, was man will – die Justiz und die Juristen dürften sich ihrer bösen Vergangenheit insgesamt wohl stärker bewusst sein, als – sagen wir – die deutschen Diplomaten.

Beispielsweise erschien Bernd Rüthers' darin wegweisende Abrechnung mit der Perversion des Zivilrechts durch die NS-"Justiz" schon 1967 und sollte noch heute manchem Jurastudenten oder Rechtspraktiker die Augen öffnen. Von zahllosen weiteren Publikationen nicht zu reden.

Gut geöffnete Augen brauchen, so ist zu hoffen, keine Märtyrer.

Literatur:

Das schmale Bändchen "Der unaufhaltsame Selbstmord des Botho Laserstein" von Herbert Hoven, 1990 im Luchterhand-Literaturverlag erschienen, ist leider bestenfalls antiquarisch zu greifen.

Sehr lesenswert ist immer noch die Darstellung im SPIEGEL von 1955 unter dem Titel "Die Mönche lehnten ab", die online verfügbar ist.

 

Weitere Artikel des Autors auf LTO.de:

"Jura für Nichtjuristen" von Christian Fahl - Das Drama des unverstandenen Juristen

Grundrechte-Report 2010 - HüterInnen der Verfassung

Zitiervorschlag

Martin Rath, Der Fall Laserstein: . In: Legal Tribune Online, 14.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1931 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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