Bundesgerichtshof verwirft Revision von Ex-KZ-Sekretärin: Eine "zuver­läs­sige und gehor­same Unter­ge­bene"

20.08.2024

Eine ehemalige Schreibkraft aus dem KZ Stutthof war wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden. Zu Recht, entschied nun der BGH. Alltagscharakter habe ihre Bürotätigkeit längst nicht mehr gehabt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung einer früheren KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Massenmord bestätigt. Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig verwarf die Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Itzehoe. Dort war die inzwischen 99-jährige Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie zum versuchten Mord in fünf Fällen zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Diese Entscheidung ist mit dem Urteil des BGH vom Dienstag rechtskräftig (Urt. v. 20.08.2024, Az. 5 StR 326/23).

Der Fall könnte womöglich das letzte Strafverfahren zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenmorde sein, jedenfalls wurden wegen der historischen Bedeutung sowohl von der mündlichen Verhandlung als auch der Entscheidungsverkündung Aufzeichnungen für das Bundesarchiv angefertigt. F. war zwischen Juni 1943 bis April 1945 als Schreibkraft in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig beschäftigt. Damals war sie 18 bzw. 19 Jahre alt. Durch ihre Arbeit habe die junge Frau den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet, hatte das Landgericht geurteilt. Umstritten war insoweit auch im Rahmen der Revision, ob die Handlungen von F. den Beihilfeanforderungen von § 27 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genügen.

"Eine zuverlässige und gehorsame Untergebene"

Die Verteidigung von F. hatte Revision eingelegt. Der BGH hatte darüber Ende Juli im Leipziger Reichsgerichtsgebäude mündlich verhandelt, LTO berichtete ausführlich. Die Anwälte stellten unter anderem infrage, ob der Frau ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Es sei nicht erwiesen, dass sie wirklich wusste, was in dem Lager vor sich ging. Zudem habe sich ihre Arbeit als Schreibkraft nicht wesentlich von ihrem vorherigen Job in einer Bank unterschieden. Sie habe aus ihrer Sicht "neutrale Handlungen" ausgeführt. Diese Argumentation überzeugte den 5. Strafsenat des BGH aber nicht.

Vielmehr bestätigte der BGH die Einschätzung des Landgerichts Itzehoe, wonach F. durch ihre Dienstbereitschaft psychische Beihilfe zu den Mordtaten geleistet hat. Über den Schreibtisch der Stenotypistin war fast die gesamte Korrespondenz des Lagers gegangen, inklusive Bestellungen des Blausäuregases Zyklon B. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte F. auch den allgegenwärtigen Geruch von verbrannten Leichen zweifellos wahrnehmen müssen. In seiner Pressemitteilung stuft der BGH F., die eine enge Vertraute des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe war, als "zuverlässige und gehorsame Untergebene" ein.

Fast als 65.000 Menschen in Stutthof getötet

Im KZ Stutthof und seinen 39 Außenlagern waren nach Angaben des Dokumentationszentrums Arolsen Archives zwischen 1939 und 1945 etwa 110.000 Menschen aus 28 Ländern inhaftiert. Fast 65.000 von ihnen wurden dort getötet.

Der Fall reiht sich in die Rechtsprechung zur Beihilfe in Konzentrationslagern ein. 2011 wurde im Fall Demjanjuk entschieden, dass die Beihilfe zum Mord durch einen Wachmann als "Teil der Mordmaschinerie" insoweit auch ohne Nachweis eines konkreten Tatbeitrages bejaht werden kann. Unter dieser Maßgabe hatte 2016 auch die Verurteilung von Oskar Gröning, dem "Buchhalter von Ausschwitz", vor dem BGH Bestand. Gleichwohl spielten sich diese beiden Fälle in reinen Vernichtungslagern ab, während es bei F. um Schreibtischtätigkeiten als Zivilangestellte in einem Konzentrationslager ging. Doch auch insoweit wurde nun die zehntausendfache Beihilfe zum Mord bejaht.

Der BGH stellte dabei auf die in der Beihilfedogmatik entwickelte Figur der "berufstypisch neutralen Handlungen mit Alltagscharakter" ab. Er stellt klar, dass wegen des Wissens von F. um die Verbrechen ihrer Vorgesetzten und die mit den gleichwohl erbrachten Diensten einhergehende Solidarisierung mit diesen Taten jeglicher "Alltagscharakter" verloren gegangen sei.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte die Entscheidung: "Das Rechtssystem hat heute eine klare Botschaft gesendet: Auch fast 80 Jahre nach der Schoa darf kein Schlussstrich unter die NS-Verbrechen gezogen werden. Mord verjährt nicht - weder juristisch, noch moralisch."*

dpa/jb/LTO-Redaktion

*Artikel ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 14:33 Uhr

Zitiervorschlag

Bundesgerichtshof verwirft Revision von Ex-KZ-Sekretärin: . In: Legal Tribune Online, 20.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55235 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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