Wichtige Klarstellung des BGH: Wer jemandem mit einer Pipette heimlich K.O.-Tropfen ins Getränk träufelt, um die Person sexuell gefügig zu machen, begeht zwar Gewalt. Aber er verwendet dabei kein "gefährliches Werkzeug" im Sinne des StGB.
Examensrelevant und für die Praxis von ebenso großer Relevanz dürfte dieser am Dienstag veröffentlichte Beschluss des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofs (BGH) allemal sein (Beschl. v. 08.10.24, Az. 5 StR 382/24): Die Verwendung von K.O.-Tropfen wirkt sich nicht deshalb strafverschärfend bei der Begehung einer Sexualstraftat aus, weil der Täter damit ein "gefährliches Werkzeug" im Sinne des Strafgesetzbuchs (StGB) verwendet.
Im konkreten Fall hatte ein Mann zwei Frauen, von denen eine im späteren Strafverfahren als Nebenklägerin auftrat, in seine Wohnung eingeladen und sich entschlossen, ihnen heimlich sogenanntes Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen, das im Körper zu Gamma-Hydroxybuttersäure (GHB; gemeinhin bekannt als "Liquid Ecstasy" oder auch "K.O.-Tropfen") umgewandelt wird. Laut BGH wollte er dadurch die Frauen sexuell enthemmen, um dann mit und an ihnen sexuelle Handlungen zu vollziehen und sich durch gegenseitige sexuelle Handlungen der Frauen sexuell zu erregen.
Der Mann träufelte also beiden das GBL in ihre jeweiligen Getränke und erzielte im Verlauf des Abends auch die von ihm erhoffte Wirkung: Die Frauen zogen sich gegenseitig aus, legten sich auf die Couch und küssten sich. Der Angeklagte trat hinzu und streichelte eine der Frauen, die spätere Nebenklägerin, "zumindest an ihrer mit einem BH bedeckten Brust und über ihrer mit einem Slip bedeckten Vulva", wie es in der Entscheidung heißt. "Er erkannte, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern. Ohne die heimliche Gabe der GBL-Tropfen hätte die Nebenklägerin sich nicht auf den erheblich älteren und ihr erst seit kurzer Zeit bekannten Angeklagten eingelassen."
Vorinstanz: Besonders schwerer sexueller Übergriff
Nach Beendigung dieser Handlungen verschwand die Nebenklägerin laut BGH plötzlich. Aufgefunden wurde sie schließlich im Garten des Wohngrundstückes auf der Erde liegend, schlafend, nicht ansprechbar und nur mit einem durchnässten Bademantel bekleidet.
Die Vorinstanz, das Landgericht (LG) Dresden, verurteilte den Mann unter anderem wegen eines besonders schweren sexuellen Übergriffs (§ 177 StGB) und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten unter Annahme eines minderschweren Falls. Mit der Verabreichung von K.O.-Tropfen habe der Angeklagte nicht nur Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB ausgeübt, sondern auch ein "gefährliches Werkzeug" nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 bei seiner Tat verwendet.
Dieser rechtlichen Würdigung erteilte der 5. Strafsenat nun eine Absage. Es halte der materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass die Strafkammer das Verabreichen von K.O.-Tropfen per Pipette als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestands § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewertet hat.
BGH: "Tropfen sind kein Gegenstand"
K.O.-Tropfen, so der BGH, stellten für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lasse sich ohne eine Verletzung des in Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz (GG) geregelten Bestimmtheitsgrundsatzes nicht mit dem Wortlaut der Norm vereinbaren. Dabei komme es auf die konkrete Dosierung oder die Gefährlichkeit des Mittels nicht an, so der 5. Strafsenat. "Bei einem Werkzeug handelt es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird. Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, sind sie keine Gegenstände und ihnen kann damit auch keine Werkzeugqualität zukommen."
Mit dieser Einschätzung widerspricht der 5. Strafsenat offenbar auch ein Stück weit früheren BGH-Beschlüssen, wie er selbst in seiner Entscheidung anmerkt (BGH, Beschl. v. 06.03.2018, Az. 2 StR 65/18 u. v. 15.07.1998, Az. 1 StR 309/98).
Im Übrigen, so der 5.Strafsenat in seinem Beschluss, würden auch systematische Gründe dagegensprechen, K.O.-Tropfen als "Werkzeug" im Sinne des StGB anzusehen. Im Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB habe der BGH bereits entschieden, "dass ein Mittel, das erst nach einem Stoffwechselprozess im Körper sedierend oder narkotisierend wirkt, kein (gefährliches) Werkzeug ist".
Pipette für sich genommen harmlos
Auch dass der Mann hier die Tropfen mittels eines Gegenstandes, nämlich einer Pipette, in ein Getränk geträufelt habe, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Vielmehr sei die Pipette im konkreten Fall nicht als "gefährliches Werkzeug", sondern als "Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes" anzusehen. Handlungen unter Ver-
wendung solcher Art Tatmittel unterfielen aber § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Gefährliche Körperverletzung).* "Die Pipette war hier lediglich ein Mittel, um die GBL-Tropfen mit dem Körper der Nebenklägerin mittelbar in Verbindung zu bringen, die ihre gesundheitsschädliche Wirkung – nach Konsum des Getränks über einen Stoffwechselprozess – erst noch entfalten mussten. Sie war daher nicht geeignet, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen; ihr haftete die erforderliche potenzielle Gefährlichkeit nicht an."
Eine Absage erteilte der BGH schließlich auch einer teleologischen Auslegung der Vorinstanz, die die Verwendung von K.O.-Tropfen mit dem Gebrauch eines "Holzknüppels" verglichen hatte. Diese Einschätzung, so der BGH, negiere die Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen könne insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden.
Erstickungsrisiko strafverschärfend?
Im Ergebnis muss sich jetzt eine andere Strafkammer des LG Dresden mit dem Fall erneut befassen. Die neue Kammer wird sich dann auch mit dem Hinweis des BGH befassen müssen, dass bei der Tat vielleicht aus einem anderen Grund eine Strafverschärfung geboten sein könnte.
So sei die Tatvariante des § 177 Abs. 8 Nr. 2b, "Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer", hier nicht ausgeschlossen: Es habe bei der im Garten aufgefundenen Frau "aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit wie das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens" möglicherweise eine konkrete Todesgefahr bestanden.
*Präzisiert am 13.11.2024, 14.11 Uhr
BGH sieht kein "gefährliches Werkzeug": . In: Legal Tribune Online, 13.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55855 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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