BVerwG urteilt spät zu "III.-Weg"-Jurist: Ver­fas­sungs­feinde müssen nicht zu Voll­ju­risten aus­ge­bildet werden

von Roman Fiedler

10.10.2024

Wegen langjähriger verfassungsfeindlicher Betätigung durfte ein Juraabsolvent und Funktionär einer Neonazi-Partei in Bayern nicht ins Referendariat. Zu Recht, entschied das BVerwG. Das Urteil kommt dennoch zu spät.

In einem dreiteiligen Anzug und mit geflochtenem Vollbart betrat der Kläger am Donnerstag kurz nach 10 Uhr den Gerichtssaal. Unauffällig schob sich Matthias B. durch die wartende Zuschauermenge vor dem Eingang des großen Sitzungsaals im Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und nahm Platz, ganz vorne. Mit einer selbstbewussten Bewegung warf er sich seine Robe über – ganz der Anwalt. Denn der ist der Kläger ja schließlich mittlerweile selbst auch.

Daran ändert auch das Urteil des BVerwG nichts mehr, das das Gericht einige Stunden später am Abend verkünden wird. Mindestanforderungen im Hinblick auf die Verfassungstreuepflicht muss auch der Bewerber für einen juristischen Vorbereitungsdienst erfüllen, auch wenn der nicht als Beamtenverhältnis ausgestaltet ist. Damit hat der Senat, die Klage von B. zurückgewiesen.

Eine lange "politische Vita"

Nach dem Abschluss seines Jurastudiums an der Universität Würzburg wollte B. in Bayern sein Referendariat absolvieren. Der Präsident des Oberlandesgerichts Bamberg lehnte im März 2020 seinen Antrag auf Zulassung jedoch ab – wegen seiner langjährigen verfassungsfeindlichen Betätigung sei er charakterlich ungeeignet.

B. war von 2005 bis 2012 als Mitglied in der NPD, zeitweise sogar als Kreisvorsitzender tätig. Ab 2009 gehörte er außerdem zur Kernstruktur einer Kameradschaft, die dem "Freien Netz Süd" zuzurechnen war. Das neonazistische Netzwerk wurde 2014 verboten – viele Mitglieder, so auch B., fanden danach ihren Weg in die Kleinstpartei "Der Dritte Weg". In der am historischen Nationalsozialismus orientierten Partei war B. eine prägende Figur mit herausgehobener Funktion, so der bayerische Verfassungsschutz. Nachdem B. nicht zum Referendariat zugelassen wurde, wehrte er sich dagegen beim Verwaltungsgericht (VG) Würzburg. Das Urteil des VG bezeichnete die politische Betätigung als "lückenlose Kette von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zielenden Aktivitäten".

Der lange Weg durch die Instanzen

Gegen die Nichtzulassung zum Referendariat ließ B. keine Rechtsschutzmöglichkeit ungenutzt. So bemühte er sich vergebens um Eilrechtschutz und blieb auch vor dem Verwaltungsgericht Würzburg, dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht erfolglos. LTO berichtete hierzu ausführlich

Nach der Ablehnung bewarb er sich ebenfalls in Thüringen und Sachsen zum juristischen Vorbereitungsdienst. Auch hier klagte er sich vergeblich durch die Instanzen – bis der sächsische Verfassungsgerichtshof (SächsVerfGH) zugunsten des Klägers entschied und anordnete, ihn rückwirkend in Sachsen als Referendar einzustellen (Beschluss v. 04.11.2021, Az. Vf. 96-IV-21). Dort hat er mittlerweile das zweite Staatsexamen absolviert und ist seitdem als Rechtsanwalt tätig. Und zwar in Bayern. 

Trotzdem will B. festgestellt wissen, dass er damals in Bayern zu Unrecht abgelehnt wurde. Das BVerwG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

"Die Todesstrafe. Gegen die bin ich immer gewesen."

Der altehrwürdige große Sitzungssaal des Bundesverwaltungsgerichts war an diesem Vormittag gut besucht. Auffallend viele Studierende und Referendarinnen und Referendare fanden sich unter den Zuschauern – manche vielleicht gar ehemalige Kollegen von Matthias B.

Gleich zu Beginn fragte der Vorsitzende Richter Markus Kenntner den Kläger, ob dieser sich mittlerweile von bestimmten Programmpunkten der Partei "Der Dritte Weg" distanzieren wolle. Etwas überrumpelt entgegnete dieser, ihm falle jedenfalls eine Sache ein: "Die Todesstrafe." Gegen die sei er immer gewesen, er wisse jedoch nicht, ob sie noch im Parteiprogramm stehe, schließlich habe er sich in den letzten Jahren nicht mehr in der Partei eingebracht. 
Die übrige Verhandlung verlief ausgesprochen nüchtern und höflich im Umgang. Der Vorsitzende betonte die Fülle an schwerwiegenden Rechtsfragen, die an diesem Tag zu erörtern seien.

Wie ein besonders kniffliger Lerngruppenfall

Fraglich war zunächst, ob es für die Nichtzulassung überhaupt eine ausreichende gesetzliche Grundlage gegeben hat. Das bayerische Ausbildungsgericht stützte sich landesrechtlich auf das Gesetz zur Sicherung des juristischen Vorbereitungsdienstes. Das Gesetz regelt die Aufnahme in das Referendariat, gibt aber keinerlei inhaltliche Vorgaben hierfür. Allerdings verweist es auf das Beamtenrecht des Bundes. Klarheit gibt also erst der § 7 Abs. 1 Nr. 2 Beamtenstatusgesetz, wonach in ein Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, wer "die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten". Fraglich aus Sicht des Senats war also zunächst, ob das Landesgesetz überhaupt hinreichend bestimmt ist.

Damit noch nicht genug, stellte der Vorsitzende die Frage in die Runde, ob das Landesgesetz durch seinen Verweis auf das Beamtenstatusgesetz selbst zu Beamtenrecht würde – das BVerwG als Revisionsgericht sei nämlich gar nicht für die Überprüfung der korrekten Anwendung von Landesrecht zuständig. Sowohl die Anwältin des Klägers, Rechtsanwältin Christina Reinhart aus der Kanzlei von Andreas Wölfel, der immer wieder Szenengrößen vertritt, als auch Anwaltsteam des beklagten Freistaates Bayern, mussten daraufhin den Vorsitzenden darum bitten, seine Ausführungen noch einmal zu wiederholen. Beamtenrecht sei sehr kompliziert, darüber waren sich alle Verfahrensbeteiligten einig.

Anwesende Juristen und Juristinnen im Publikum dürfte die heutige Verhandlung etwas an das gemeinsame Lösen besonders kniffliger Fälle in ihrer Examenslerngruppe erinnert haben.

Mindestmaß an Treuepflichten für Referendare

Der Senat interessierte sich auch für die Frage, welcher verfassungsrechtliche Mindestmaßstab an die Treuepflichten von Referendaren gegenüber dem Staat zu setzen sei. Die Anwältin des Klägers betonte, an das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis, in dem in Bayern das Referendariat absolviert wird, seien jedoch niedrigere Maßstäbe anzulegen, als diese für Beamte durch das BeamtStG vorgeschrieben würden. 

Die Vertreter des Beklagten unterstrichen, das verfassungsrechtliche Minimum sei, dass Referendare nicht aktiv die Verfassung bekämpften. Das dürfe man wohl erwarten. Aus der allgemeinen Loyalitätspflicht gegenüber dem Dienstherrn ergebe sich auch für nicht verbeamtete Referendare, dass sie zwar die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht verteidigen müssten, sie aber keinen Falls bekämpfen dürften. Die Wertentscheidungen der Verfassung verböten es, "dass der Staat seine Hand dazu leiht, diejenigen auszubilden, die auf die Zerstörung der Verfassungsordnung ausgingen", so die Verteter aus Bayern. Damit zitierten sie die Vorinstanz. 

Der Kläger und seine Anwältin stellten sich auf den Standpunkt, den auch der SächsVerfGH in seinem viel diskutierten Urteil vertrat. Demnach sei die Schwelle der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zu entnehmen sei. Nach § 7 S.1 Nr. 6 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft demjenigen zu versagen, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft. Für den Zugang ins Referendariat dürften keine strengeren Regeln gelten als für den Zugang in die Anwaltschaft.

Verfassungsfeinde als Volljuristen?

Es blieb die schwierige Frage, was daraus folge, dass auch angehende Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zunächst die "Befähigung zum Richteramt" durch das Referendariat erwerben müssten. Der Vorsitzende Richter Kenntner betonte zum Schluss der Sitzung am Mittag noch einmal, dass diese Regelungsbereiche nicht zueinander passen würden und hier Klärungsbedarf bestehe. 

Zuletzt wurde noch die Frage erörtert, ob Aktivitäten für eine verfassungsfeindliche, nicht aber bereits für verfassungswidrig erklärte Partei bei der Entscheidung über die Zulassung zum Referendariat berücksichtigt werden könnten. Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, dass die politische Betätigung für eine legale – also nicht verbotene – Partei hier zu einem "Berufsverbot" geführt habe. Der Senat ließ jedoch deutlich werden, dass zu dieser Frage eine gefestigte Rechtsprechungslinie bestehe und derartige Betätigungen bei der Einstellung berücksichtigt werden dürfen.

Als in der der Verhandlung dem Kläger eine Formulierung aus einem seiner Schriftsätze vorgehalten wurde, in dem es hieß, er könne "seine politische Überzeugung nicht wie ein benutztes Hemd ablegen" entgegnete B. schnell: Natürlich habe er seine Überzeugung behalten – er habe nur seine Tätigkeit geändert. Dies sei aber nicht entscheidend, da "wir nicht in einem Gesinnungsstaat leben". 

Mit seinem Urteil stellte das BVerwG nun aber fest, dass auch Referendare vorrübergehend Teil der Rechtspflege sind und sich somit nicht aktiv gegen die Grundwerte der Verfassung betätigen dürfen. 
Nun dürfte der Weg durch die Instanzen für B. zu Ende sein. Auch das Bundesverfassungsgericht hatte eine Verfassungsbeschwerde von ihm im Jahr 2020 bereits abgelehnt.
 

Roman Fiedler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Universität Leipzig.
 

Zitiervorschlag

BVerwG urteilt spät zu "III.-Weg"-Jurist: . In: Legal Tribune Online, 10.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55606 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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