Feuilleton: Medi­ta­tion übers Recht beim Licht-Machen

von Martin Rath

23.10.2016

2/2: Christliche Fundamentalisten und die Hexen-Schule

Gegen diese strafrechtliche Inanspruchnahme beschwerten sich die Eltern beim Bundesverfassungsgericht. Als Grund für das gänzliche Fernhalten ihrer Töchter von der Gesamtschule gaben sie an, "allein auf Grund ihrer Glaubensüberzeugung gehandelt" zu haben: "Sowohl die Behandlung einzelner Unterrichtsthemen, namentlich der am Bild sexueller Freizügigkeit orientierte Sexualkundeunterricht, die Vermittlung der Evolutionstheorie und die Vornahme 'hypnotischer, buddhistischer und esoterischer (New Age) Praktiken als auch die Ausrichtung der Schule auf einen Werte- und Meinungspluralismus sei mit ihrem Erziehungsziel der Beachtung fundamentaler Glaubensgrundlagen und zwingender göttlicher Normen unvereinbar".

Kurz gesagt: Die Eltern hatten gewiss keine Neigung verspürt, den drei Töchtern all die modernen Ideen wieder auszutreiben, mit denen diese aus der Schule heimkamen – um dies nachzuvollziehen, braucht der Jurist nur mit dem Physiker über den Elektronendiebstahl zu diskutieren.

Besonders schön am Vorbringen der christlichen Karlsruhe-Gänger ist natürlich der Vorwurf, in der hessischen Gesamtschule würden "hypnotische, buddhistische und esoterische (New Age) Praktiken" verrichtet. Ob damit wohl Yoga-Übungen gemeint waren? Bevor wir an diesem 23. Oktober den Lichtschalter betätigen, nehmen wir doch zur Sicherheit gleich auch von Yoga-Übungen Abstand. Natürlich nur, damit an diesem Sonntag die "seelische Erhebung" unserer Verfassung nicht durch arbeitsähnliche Verrenkungen gestört wird. 

Die Schule schlägt die Eltern, jedenfalls hier

Die 1. Kammer des Zweiten Senats, seinerzeit besetzt mit Winfried Hassemer, Udo Di Fabio und Herbert Landau, machte sich die Arbeit, die Verfassungsbeschwerde gründlich abzulehnen – und dies, obwohl nach verfassungsrichterlichem Ermessen doch eigentlich keine neue Frage an das Gericht herangetragen worden war.

Die Schulpflicht als Teil eines staatlichen Erziehungsauftrags wird mit dem Elternrecht abgewogen. Die Schule gewinnt, um es kurz zu fassen.

Diese etwas telegrafische Auskunft gibt hier die Freiheit, auf einen interessanten Aspekt des Beschlusses einzugehen. Die drei Richter erklären aus ihrer Kammer heraus: "Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten 'Parallelgesellschaften' entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen."

Wurde nicht unlängst eine Lehrerin aus Nordrhein-Westfalen auf übelste Weise mit sprachlichem Unflat bedeckt, weil sie von einer "Bringschuld" der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der konfessionellen, ethnischen oder weltanschaulichen Minderheit sprach? 

Soziologen oder Ethnologen werden vielleicht die von der Lehrerin und den drei Verfassungsrichtern geäußerte Idee, man könne gesellschaftliche Prozesse größeren Formats unter dem Titel "Integration" wie schuldrechtliche Ansprüche verhandeln, als etwas größenwahnsinnig abtun, lässt man sich jedoch einmal darauf ein, hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss über die Schulpflicht in hessischen Fundamentalchristenkreisen doch eigentlich schon eine sehr hübsche Lösung gefunden, die der juristische Zivilist aus den §§ 294 ff. Bürgerliches Gesetzbuch  (BGB) kennt.

Integrationspflichten analog zum BGB diskutieren?

Das in § 294 BGB formulierte Gebot: " Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden", deklinierte das Gericht gleichermaßen aus: Man müsse, wenn man fundamentalistischen Überzeugungen anhänge, mit den anderen Leuten immerhin reden, um Leistungsstörungen im – hier: schulischen – Integrationssynallagma zu vermeiden.

Viel Raum erhält, neben dem Tadel, die strafgerichtlichen Entscheidungen aus Hessen nicht vollständig nach Karlsruhe geschickt zu haben, daher die Weigerung der fundamentalchristlichen Eltern, die Elternsprechtage der Gesamtschule zu frequentieren – spricht man nur mit ihm, kann der hessische Pädagoge, so scheint es, Schöpfungslehre und Evolutionstheorie in einer Form vermitteln, dass das Seelenheil fundamentalchristlicher Schülerinnen keinen Schaden nimmt.

Man muss darüber reden, aber hilft das?

Am 23. Oktober des Jahres 4004 vor Christus, so hat es der irisch-anglikanische Erzbischof James Ussher (1581–1656) in seinem 1650 herausgebrachten Werk "Annales veteris testamenti, a prima mundi origine" vorgerechnet, schuf der allmächtige Gott des jüdisch-christlichen Morgenlands (der Abend kam nach) die Welt.

Vermutlich würden sogar fundamentalistische Christinnen und Christen, die einzig dieser Schöpfungslehre anhängen, jeden der ihren schräg anschauen, der sich am heutigen 23. Oktober weigerte, einen Lichtschalter zu betätigen – um nicht in den Verdacht zu geraten, die göttliche Allmacht nachzuahmen.

Gleichwohl sollte man, auch als Außenstehender, derlei eher mit freundlichem Vergnügen denn mit intellektuellem Hochmut betrachten – und Bescheidenheit steht nicht nur Juristen nach einem ernsten Gespräch mit Physikern gut zu Gesicht. Denn beneiden wir die heiligen und scheinheiligen Närrinnen und Narren  nicht zum Beispiel dafür, dass sie eine Fundamentalopposition gegen die fortschreitende Verschulung und das Fertigmachen von Eltern für den Arbeitsmarkt (vergleiche oben: Tagessätze zu 10 Euro) vertreten – wenn auch unter dem Mantel der Bibelgläubigkeit?

Vor dem Lichtauschalten am Abend mag man vielleicht darüber meditieren. Es wird schon niemand daherkommen, um den Zweifel theologisch (korrekt) als Kennzeichen finsterer Mächte zu qualifizieren.

Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Feuilleton: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20942 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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