Im Grunde hatte das Bundesverfassungsgericht schon vor zehn Jahren eine Erleuchtung zu Hol- und Bringschulden im Integrationschuldverhältnis. Ein Versuch über Fundamentalisten, Lichtschalter und juristische Elektrophysik.
Es lohnt sich an diesem heutigen Sonntag, vor der Bedienung des Lichtschalters ein wenig zu meditieren, gleichsam von Verfassungs wegen. Doch bevor wir dazu kommen, gilt es, ein bisschen über jene Polizeibeamten im Dienst des Freistaats Bayern zu schimpfen, die von ihrem Dienstherrn dieser Tage als sogenannte "Reichsbürger" identifiziert wurden.
Man fragt sich, wie sie das in ihren juristisch vorgebildeten Beamtenschädel bekommen: Da hat der beste bayerische Stammesführer aller Zeiten, König Ludwig II. (1845–1886), sich 1870/71 schlechten Gewissens und mit Nachhilfe nur durch Bestechungsgelder, die ihm Otto von Bismarck (1815–1898) auf Kosten des hannoverischen Königshauses zukommen ließ, überhaupt dazu animieren lassen, dem Deutschen Reich seinen bayernfürstlichen Beitritt zu gewähren – und seine nachgeborenen Landeskinder wollen gar nicht mehr fort von einer obskuren "Reichsbürgerschaft"?
Über dienstrechtswidrige Gesinnungen von Beamtinnen und Beamten sollte man ja nicht viele Worte verlieren müssen, aber diese Stillosigkeit mit Blick auf die große eigenköniglich-bayerische Stammes-, Reichs- und Verfassungsgeschichte macht beinah ganz sprachlos.
Juristen sollten bei Physikern beichten gehen
Und doch auch wieder nicht, denn eigentlich können Menschen mit skurrilen Weltanschauungen doch dazu einladen, sich über die Gewissheiten der eigenen ein wenig in gesunde Zweifel zu versetzen und ausführlich darüber zu reden. Kommen wir zunächst zum Lichtschalter.
Bekanntlich vermeiden es fromme Juden am Sabbat, dem letzten Tag ihrer konfessionellen Wochen-Einteilung, aus Gründen religiösen Rechts, den Lichtschalter zu benutzen, weil doch geschrieben steht, dass der Mensch an diesem Tage der göttlichen Schöpfung der Welt gedenken und daher ruhen solle – Feuer zu machen, gilt jedoch als Arbeit, den elektrischen Strom ins Leuchtmittel fließen zu lassen, zählt auch dazu. Mithin ist es verboten.
Diese rigide Wahrung der Feiertagsruhe wirkt etwas skurril, ist aber, in ihrer kompromisslerischen, also christlichen Form geltendes Verfassungsrecht: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt" (Artikel 138 Reichsverfassung von 1919 in Verbindung mit Artikel 140 Grundgesetz).
Ob es darüber hinaus albern ist, die Freigabe elektrischen Stroms in eine Glühbirne als "Feuermachen" zu bewerten, möge jeder mit der Rabbinerin oder dem Rabbiner seines Vertrauens besprechen – oder aber einen Physiker dazu konsultieren, ob der deutsche Gesetzgeber klug daran tat, mit "Gesetz, betreffend die Bestrafung elektrischer Arbeit" am 9. April 1900 den "Strom-Diebstahl" unter Strafe zu stellen, weil das juristisch irgendwie masselos gedachte Elektron nicht nach hergebrachtem Diebstahlsrecht zum Tatobjekt taugte.
Eigensinniger Glauben, wohin man nur schaut
Nach dieser – einem Sonntag nicht schädlichen – Entspannungsübung nun aber zu jenen sehr überzeugten Menschen, die von vielen, die anders überzeugt sind, irgendwo zwischen "Reichsbürgern" und frommen Juden vermutet werden: Schöpfungsgläubige Christinnen und Christen.
Aus Anlass des heutigen 23. Oktobers lag es nahe, noch einmal einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Hand zu nehmen (v. 31.05.2006, Az. 2 BvR 1693/04): Nach § 182 Absatz 1 Hessisches Schulgesetz war den Eltern von drei schulpflichtigen Mädchen eine "Verwarnung mit Strafvorbehalt in Höhe von 80 Tagessätzen zu je 10 Euro" zuteil geworden. Sie hatten ihre Töchter vom Besuch der örtlichen Gesamtschule abgehalten, stattdessen zuhause unterrichtet, wobei sie die Fernunterrichtsmaterialien eines "freien christlichen Heimschulwerkes" aus dem sauerländischen Siegen benutzten.
Martin Rath, Feuilleton: . In: Legal Tribune Online, 23.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20942 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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