Sollte die AfD als Partei verboten werden? Ein Gruppenantrag mehrerer Bundestagsabgeordneter könnte das zeitnah zum Thema im Bundestag machen. Innerhalb aller Parteien gehen die Meinungen darüber jedoch stark auseinander.
Schon seit einigen Monaten rumort es, dass es in Sachen AfD-Verbot zum "Aufstand der Hinterbänkler" kommen könnte. Wie unter anderem Welt und Spiegel berichten, haben sich mittlerweile weit mehr als die nötige Anzahl von 37 Bundestagsabgeordneten für einen sogenannten Gruppenantrag gefunden. Konkret will eine Gruppe von Abgeordneten der CDU/CSU, den Grünen, der SPD sowie der Linken zeitnah einen Antrag ins Plenum einbringen, der ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum Ziel hat.
Ob ein solcher Antrag im Bundestag, der diese und nächste Woche jeweils Sitzungswoche hat, mehrheitsfähig ist, ist – ganz unabhängig von Fraktionsgrenzen – sehr ungewiss. Denn die Meinungen darüber, ob ein AfD-Verbotsverfahren vor dem BVerfG angestrengt werden sollte, gehen innerhalb sämtlicher Parteien weit auseinander.
Die Initiatoren des Antrags, zu denen insbesondere der ehemalige Ost-Beauftragte Marco Wanderwitz (CDU/CSU) gilt, wollen ihren Vorschlag in dieser und der nächsten Woche in den Fraktionssitzungen vorstellen. Aus der Unionsfraktion stünden sieben Abgeordnete (von 196) hinter dem Antrag. Dazu sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei (CDU), er nehme in der Fraktion insgesamt "maximale Zurückhaltung" zum Thema AfD-Verbot wahr. Er selbst habe rechtliche und politische Bedenken gegen einen Verbotsantrag, der der AfD ermögliche, sich als "Märtyrer" in Szene zu setzen.
Kanzler: Verbotsverfahren "nicht auf der Tagesordnung"
Mit seinen Vorbehalten ist Frei ganz sicher nicht allein. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich kürzlich eher zurückhaltend hierzu, indem er sagte: "Da sind jetzt erst mal ganz andere Dinge angesagt". Der Kanzler appellierte vielmehr an die Bürger, sich mit der AfD auseinanderzusetzen. "Wir müssen klar sein in dem, was wir als Bürgerinnen und Bürger tun". Weil ein Verbotsverfahren sehr sorgfältig vorbereitet werden müsse, stehe "das jetzt nicht auf der Tagesordnung", so der Kanzler weiter.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) betonte kürzlich, man dürfe Täter nicht zu Opfern machen. Es brauche vielmehr eine andere Politik, meint Söder.
Auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hält derzeit nichts von einem Parteiverbotsverfahren. Auf die Frage, ob er dafür sei, ein solches anzustrengen, sagte der 84-Jährige den Zeitungen der Funke-Mediengruppe kürzlich: "Nein, überhaupt nicht. Mein Bauchgefühl würde der Partei das Verbot herzlich gönnen. Als Demokrat, der die offene Gesellschaft schätzt, regt es mich total auf, dass wir der Partei über die Parteienfinanzierung auch noch Mittel zuweisen müssen. Aber in der Politik darf man nicht nur fühlen."
Gegenüber LTO hatte auch Berlins Innensenatorin Felor Badenberg (CDU) gefordert, man müsse die AfD "inhaltlich stellen". Sahra Wagenknecht (BSW) bezeichnete das Vorhaben gegenüber t-online derweil schlicht als den "dümmsten Antrag des Jahres" sowie als "Wahlkampfgeschenk".
Vom thüringischen AfD-Landesverband um Björn Höcke war zuletzt zu hören, dass ein Parteiverbotsverfahren in erheblichem Umfang personelle und finanzielle Ressourcen binden würde. "Sollte es ein solches Verfahren geben, wird es für die Partei anstrengend", heißt es aus Kreisen des Landesverbandes.
Schwierige Beweisführung und eine Frage des Timings
Bereits im Sommer 2023 hatte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) einen Bericht vorgestellt, der einem etwaigen Verbotsantrag hohe Erfolgschancen attestierte, LTO berichtete. Die Partei ziele auf die Abschaffung der in Art. 1 Abs.1 GG verbrieften Garantie der Menschenwürde ab, so das DIMR damals.
Bodo Ramelow (Linke), geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen, mahnt in der Debatte wiederum: "Entscheidend ist, was an beweisbaren und gerichtsfesten Unterlagen vorgelegt werden kann". Auch die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken hatte gegenüber dem Stern in Richtung der Innenminister der Länder gefordert, es müssten sämtliche sicherheitsbehördliche Erkenntnisse gegen die AfD als mögliche Beweise gesammelt werden.
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte auch der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers ebenfalls schon 2023 gesagt, es lägen "starke Anhaltspunkte für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei" vor. Gleichzeitig betonte er auch er die Schwierigkeiten bei der Beweisführung in einem solchen Verfahren.
Der scheidende Grünen-Chef Omid Nouripour sieht dies gegenüber Welt weniger skeptisch: "Alleine das, was an öffentlicher Beweislast gegen die AfD vorliegt, ist erdrückend groß. Eine wehrhafte Demokratie kann ihrer eigenen Zersetzung durch Antidemokraten nicht folgenlos zuschauen". Auch Antrags-Initiatior Wanderwitz ist überzeugt, die AfD werde sich sowieso stets als Opfer inszenieren und die liberale Demokratie weiter bekämpfen, ob mit oder ohne Verbotsverfahren.
In seiner Analyse für LTO kommt Dr. Christian Rath außerdem zu dem Schluss, dass es bei einem möglichen AfD-Verbotsverfahren nicht nur auf belastbare Inhalte, sondern auch Timing eines möglichen Verbotsantrags ankommt.
SRP, DKP, NPD: Welche Anforderungen das BVerfG an Parteiverbote stellt
Zuletzt war das BVerfG 2017 mit einem Parteiverbotsverfahren befasst. Im zweiten Anlauf wurde ein Verbot der NPD abgelehnt, weil diese zwar verfassungsfeindlich, aber zu klein sei, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele Realität werden zu lassen. Bereits 2003 war ein erstes Verfahren gegen die NPD gescheitert, weil drei Richter des Zweiten Senats in durchaus umstrittener Weise ein Verfahrenshindernis sahen. Zuvor hatte das BVerfG in den 1950er-Jahren zunächst die nationalsozialistisch ausgerichtete SRP und die marxistisch-leninistische KPD verboten.
Seit dem "NPD II"-Urteil 2017 sind die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein Parteiverbot einigermaßen deutlich konturiert: Gemäß Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Parteien verfassungswidrig, wenn sie "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden". Dabei bedeutet "darauf ausgehen" aus Sicht des Zweiten Senats, dass es neben verfassungsfeindlichen Ansichten, Bestrebungen und Zielen konkrete Anhaltspunkte dafür geben muss, dass diese Ziele auch erreicht werden könnten.
Wurde dieses Kriterium der Potenzialität bei der NPD unter anderem wegen mangelnder Wahlerfolge noch verneint, wäre dieser Aspekt angesichts der Wahl- und Umfrageergebnisse der AfD im zweistelligen Prozentbereich womöglich anders zu beurteilen.
Die Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde bereits in zwei Instanzen bestätigt, die Sache liegt derzeit noch beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), LTO berichtete umfassend, unter anderem hier und hier. Auch in zahlreichen Bundesländern wird die AfD von den dortigen Verfassungsschutzbehörden beobachtet, beispielsweise in Bayern und Sachsen, wobei die Partei jedenfalls teilweise als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wird.
jb/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
Gruppenantrag im Bundestag: . In: Legal Tribune Online, 08.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55579 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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