NRW-Justizminister verteidigt Landesregierung im Fall Sami A.: "Kein Grund, per­ma­nent auf Herrn Reul rum­zu­ha­cken"

27.08.2018

Der Fall des mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächters Sami A. hat für große Kontroversen gesorgt - auch zwischen Justiz und Behörden. NRW-Justizminister Biesenbach will aber von Unverständnis gegenüber Gerichten nichts wissen.

Die unrechtmäßige Abschiebung des Islamisten Sami A. hat aus Sicht des nordrhein-westfälischen Justizministers Peter Biesenbach (CDU) keine Krise des Rechtsstaats ausgelöst. Die Landesregierung habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass höchstrichterliche Entscheidungen umgesetzt würden, sagte Biesenbach am Montag in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des Düsseldorfer Landtags.

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) habe mehrfach bekräftigt, dass die Landesregierung höchstrichterliche Entscheidungen ohne Wenn und Aber umsetze, sagte Biesenbach. SPD und Grünen reicht das nicht. SPD-Vizefraktionschef Sven Wolf forderte Laschet auf, sich öffentlich bei der Justiz zu entschuldigen. Biesenbach bezeichnete das als "Klamauk". "Es ging nur darum, einen Keil zwischen die Landesregierung zu treiben. Das ist unwürdig."

Der als islamistischer Gefährder eingestufte A. soll früher als Leibwächter des getöteten Terroristen Osama bin Laden tätig gewesen sein. Er war am 13. Juli nach Tunesien abgeschoben worden - zu Unrecht, wie das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) später entschied. Die dem entgegenstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) in Gelsenkirchen hätte nicht übergangen werden dürfen.

Dieses hatte am Tag vor der überstürzt durchgeführten Abschiebung entschieden, dass A. nicht nach Tunesien zurück verbracht werden dürfe, da ihm dort möglicherweise Folter drohe. Der Beschluss wurde dem zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nach dessen Angaben aber erst am 13. Juli zugestellt, als Sami A. bereits im Flugzeug nach Tunesien saß. Demgegenüber stellte das OVG aber fest, dass er durchaus noch rechtzeitig eingangen sei und die Abschiebung noch hätte abgebrochen werden können.

Heftige Debatte mit harschen Worten

Das VG hatte daraufhin angeordnet, den 42-Jährigen nach Deutschland zurückzuholen, wogegen sich die Stadt Bochum zur Wehr setzte. Weil die Stadt nicht Folge leistete, setzte das VG zudem ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro fest. Auch nach der jüngsten Entscheidung durch das OVG sind die Behörden dazu verpflichtet, Sami A. nach Deutschland zurückzuholen.

Die Geschehnisse lösten in der Folge eine scharfe Debatte über den Rechtsstaat - genauer: die Akzeptanz von Gerichtsentscheidungen - aus. Insbesondere Politiker von CDU und AfD hatten sich auf die Seite der Behörden gestellt und Unverständnis über die Entscheidung des VG Gelsenkirchen geäußert, darunter auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der gesagt hatte, die Justiz dürfe bei ihren Entscheidungen das "Rechtsempfinden der Bevölkerung" nicht aus dem Blick verlieren, dies aber später bedauerte.

OVG-Präsidentin Ricarda Brandts hatte den zuständigen Behörden vorgeworfen, der Justiz Informationen vorenthalten zu haben. Der Fall belaste das bisherige Vertrauensverhältnis zwischen Gerichten und Behörden. Und auch die Neue Richtervereinigung (NRV) kristisierte Justizminister Biesenbach persönlich mit harschen Worten: "Es geht nicht an, dass unabhängige Gerichte von einem Justizminister vertreten werden, der nicht den Mumm hat, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen – sei es in der Öffentlichkeit, sei es am Kabinettstisch".

Keine Erklärung, aber neuerliche Justizkritik

In mehreren Anläufen versuchten am Montag im Ausschuss Sozialdemokraten und Grüne, Biesenbach zu einer Bewertung zu drängen, wie er das Verhalten von Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) bei der voreiligen Abschiebung sowie die Äußerung von Innenminister Reul bewerte. "Es geht nicht, dass ich das Verhalten von Kollegen beurteile", gab Biesenbach zurück. "Wenn Sie dachten, dass Sie mir einen Knochen hinhalten und ich würde Ihnen sagen, was ich von denen denke, dann sehen Sie Ihre Hoffnungen getäuscht." Reul habe sich für seine Äußerung entschuldigt. "Ich kläre das mit ihm selber". Es gebe keinen Grund, "permanent auf Herrn Reul rumzuhacken".

Gleichzeitig betonte er, dass aus seiner Sicht kein Grund zur Sorge um die Akzeptanz richterlicher Entscheidungen bestehe. Allein die engagierte Kontroverse zeige, dass der Rechtsstaat in Deutschland funktioniere, sagte Biesenbach. "Wir haben eine gute, unabhängige Gerichtsbarkeit. Wir haben starke, unabhängige Richterpersönlichkeiten mit Rückgrat, die nach Recht und Gesetz entscheiden." Der Vorwurf, er habe sich im Fall Sami A. nicht hinter die Justiz gestellt, offenbare ein seltsames Rechtsstaatsverständnis, sagte Biesenbach. Ein Kommentar zu Gerichtsbeschlüssen stehe ihm nicht zu. "Der Minister leitet die Justizverwaltung, er ist nicht oberster Richter."

Gleichwohl holte Biesenbach aber zur nächsten Justizkritik aus und stellte grundsätzlichen politischen Handlungsbedarf fest. "Asylrecht hat in Deutschland oft etwas mit Glück zu tun." Anstelle einer einheitlichen Rechtsprechung gehe es bei den Asylrechtsentscheidungen "munter durcheinander". In vielen Fällen fehlten Leitentscheidungen. "Verwaltungsrichter müssen über Fragen entscheiden, für die manchmal der Sachverstand fehlt."

Oft recherchierten Richter selbst im Internet, wie sicher eine bestimmte Region im Ausland für bestimmte Bevölkerungsgruppen einzuschätzen sei. Derzeit diskutiere die Justizministerkonferenz kontrovers über die Frage, ob für solche Analysen nicht eine öffentliche Einrichtung geschaffen werden müsste, berichtete Biesenbach. Die Debatte über die Abschiebung von Sami A. müsse unabhängig davon versachlicht werden, forderte er.

dpa/mam/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

NRW-Justizminister verteidigt Landesregierung im Fall Sami A.: . In: Legal Tribune Online, 27.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30589 (abgerufen am: 19.11.2024 )

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