Die Drogeriemarktkette dm darf bestimmte Seifen nicht mehr als "klimaneutral" bewerben, entschied das LG Karlsruhe. Katjes-Fruchtgummis dürfen das Label aber tragen, so kürzlich ein OLG. Wie ist diese Ungleichbehandlung zu erklären?
Der Rechtsstreit um die Bezeichnung von dm-Produkten als "klimaneutral" und "umweltneutral" könnte in die nächste Instanz gehen. Die Drogeriemarktkette erwägt nach Auskunft vom Vorsitzenden der Geschäftsführung Christoph Werner, Rechtsmittel einzulegen. "Das Urteil werden wir uns genau anschauen. Dann prüfen wir, ob das sinnvoll ist", sagte Werner der dpa. Das Landgericht (LG) Karlsruhe hatte am Mittwoch auf eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hin entschieden, dass dm bestimmte Eigenmarkenprodukte wie Flüssigseifen und Spülmittel nicht mehr mit den zwei Begriffen bewerben darf (Az. 13 O 46/22 KfH).
Werner verwies auf ein Urteil des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) vom 6. Juli (Az. 20 U 152/22), das dem Fruchtgummihersteller Katjes hingegen erlaubt hatte, seine Produkte mit dem Label "klimaneutral" zu bewerben. "Die Rechtsauffassung, was deklariert werden kann und wie es deklariert werden kann, bildet sich noch", sagte der Manager. Es gehe dabei auch um einen Maßstab, wo das sogenannte Greenwashing anfängt, also das unbegründete Suggerieren, dass ein Unternehmen umweltfreundlich handele.
Sowohl dm als auch Katjes verweisen auf ihren Internetseiten auf Maßnahmen, die sie als Ausgleich etwa für CO₂-Emissionen während der Produktion ergreifen. Zudem enthalten die jeweiligen Werbeflächen (bei dm: die Seifenverpackung, bei Katjes: die in einer Zeitung inserierte Werbeanzeige) einen Hinweis auf den in beiden Fällen identischen Zertifizierer "ClimatePartner". Auf dessen Website sind die Kriterien für die Vergabe des Labels im Einzelnen genannt.
Katjes darf mit "Klimaneutralität" werben, dm nicht
Dass das LG Karlsruhe die Werbung auf den Seifen- und Cremetuben für unzulässig hielt, nachdem ein OLG dasselbe Label mit demselben Zertifizierungspartner in einer Zeitung abgesegnet hatte, überrascht auf den ersten Blick. Doch der zweite Blick auf die beiden Sachverhalte und Entscheidungsgründe offenbart zentrale Unterschiede:
Das LG Karlsruhe beanstandete zum einen eine "Irreführung durch Unterlassen" verkehrsrelevanter Angaben gemäß § 5a Abs. 1, 2 des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), das OLG Düsseldorf hingegen verneinte eine solche Irreführung im Fall von Katjes' "Grün-Ohr-Hasen".
§ 5a UWG verbietet Unternehmen, solche Informationen wegzulassen, die der Verbraucher "nach den jeweiligen Umständen benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten dazu geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte". Einigkeit besteht unter den beiden Gerichten (sowie anderen LG und OLG) darüber, dass die Angabe, "auf welche Weise die 'Klimaneutralität' eines beworbenen Produktes erreicht wird, eine wesentliche Information" im Sinne des § 5a UWG ist.
Was stand also genau auf den jeweiligen Werbeflächen?
Widersprechen sich die Gerichte?
Den Karlsruher Richtern reichte der auf den Seifen- bzw. Sonnencreme-Verpackungen abgedruckte Hinweis auf das Partnerunternehmen "ClimatePartner" nicht aus. Zwar sei es aus Platzgründen nicht erforderlich, dass die Kriterien für das Label "klimaneutral" auf der Verpackung aufgedruckt seien. Jedoch müsse die Verpackung einen Hinweis auf die Website des Zertifizierers enthalten. Weil die URL der "ClimatePartner"-Seite auf den Tuben fehlte, verurteilte das LG dm dazu, den Vertrieb der so verpackten Seifen und Sonnencremes zu unterlassen.
Der Fall von Katjes lag insofern anders: Die in der Zeitung geschaltete Werbeanzeige enthielt nämlich den Hinweis auf die Homepage von "ClimatePartner" - und das genügte den OLG-Richtern bereits: Dem Zeitungsleser sei "zuzumuten, für nähere Informationen eine ohne weiteres abrufbare Website aufzusuchen".
In dem Düsseldorfer Fall stritten Katjes und die in Frankfurt ansässige Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs* vor allem darüber, ob "Durchschnittsverbraucher" aus der Behauptung "klimaneutral" schließen, dass beim Produktionsprozess im Saldo gar kein CO₂ emittiert werde. Das verneinten die Richter: "Der Durchschnittsverbraucher wird den Begriff 'klimaneutral' im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens verstehen, wobei ihm bekannt ist, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden kann."
Dazu stellt sich die Entscheidung des LG Karlsruhe vom Mittwoch nicht in Widerspruch. Die Richter wichen weder im maßgeblichen Verbraucherkreis noch in der Anwendung des § 5a UWG von der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und anderer OLG ab.
LG Karlsruhe: Waldschutz führt nicht zur Klimaneutralität
Sie stiegen allerdings deutlich tiefer in die Materie Umweltschutz ein, weil neben dem Unterlassensvorwurf auch eine aktive Irreführung gemäß § 5 Abs. 1, 2 UWG im Raum stand. Am Ende wurde dm hier zum Verhängnis, dass "ClimaPartner" Produkte u.a. deshalb als klimaneutral zertifiziert, weil sie Geld an ein umstrittenes Baumschutzprojekt in Peru zahlen. Derartige Projekte seien zwar ein wichtiges Instrument zur Einsparung von CO₂ und damit zum Klimaschutz. Aber: "Der Claim der Klimaneutralität des Produkts geht [...] prinzipiell über das hinaus, was mittels CO₂-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar ist", so das LG.
Das liegt an dem Verhältnis zwischen der Verweildauer von CO₂ in der Atmosphäre und der Laufzeit derartiger Waldschutzprojekte. Der vollständige Abbau des Treibhausgases dauere – gestützt auf Angaben des Umweltbundesamtes – mehrere Hunderttausend Jahre, Wald binde CO₂ dagegen nur vorübergehend und das konkrete Waldschutzprojekt sei nur bis 2040 ausgelegt. Durch das Label werde der "normal informierte und angemessen aufmerksame und kritische sowie an Umweltschutz interessierte Durchschnittsverbraucher" getäuscht, so das LG im Fall dm, denn dieser "erwartet nicht bloß eine Verzögerung der Klimaschädigung, sondern einen endgültigen, dauerhaften bilanziellen Ausgleich".
Eine vergleichbare Frage hatte das OLG Düsseldorf im Fall Katjes dagegen nicht zu entscheiden. Zwar hatte die Wettbewerbszentrale* auch eine aktive Irreführung der Verbraucher gerügt und dabei bestritten, dass Katjes "tatsächlich ausreichende Kompensationsleistungen erbringt". Jedoch war die Wettbewerbszentrale* einen substantiierten Vortrag dazu schuldig geblieben, sodass das OLG den Einwand verwarf.
Teuren Klimaschutz muss man sichtbar machen dürfen – aber wie?
Könnte ein Rechtsmittel gegen das Urteil des LG Karlsruhe mit Verweis auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf trotzdem Erfolg haben? Dm-Chef Werner wirf eine Frage auf, die womöglich auch rechtliche Relevanz hat: Wie darf ein Hersteller seine teils teuren Klimaschutz-Aufwendungen in der Produktwerbung dann überhaupt kenntlich machen?
Wenn Unternehmen Geld für Ausgleichsmaßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz ausgeben, wirke sich das auf den Preis der Produkte aus, so Werner. "Dann muss man das aber auch sagen dürfen." Es gehe nicht darum, Kunden und Kundinnen in die Irre zuführen. "Das war auch nie unsere Absicht", betonte er. Aber wenn zwei ähnliche Artikel unterschiedlich viel kosten, weil in einem Fall etwas für die Umwelt getan werde, seien sie eben nicht das Gleiche. "Wenn die Rechtssprechung dazu führt, dass Unternehmen nichts mehr in diese Richtung machen, haben wir als Gesellschaft nichts gewonnen."
Vor einigen Monaten hatte dm nach eigenen Angaben entschieden, auf das Label "klimaneutral" zu verzichten. Diese Produkte würden derzeit "abverkauft". Um einen umweltverträglichen Konsum zu ermöglichen, habe man die Produktserie "Pro Climate" eingeführt. Diese würden nun das neue Siegel "umweltneutral handeln" erhalten. Hierzu arbeitet dm mit dem Institut für Technischen Umweltschutz der TU Berlin zusammen.
Legt dm Berufung ein, wird erneut ein OLG über diese Labels entscheiden. Endgültige Klarheit wird aber mittelfristig nur der Bundesgerichtshof (BGH) schaffen können. Da bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen die Werbung mit dem Begriff "klimaneutral" zulässig ist, hatte das OLG Düsseldorf die Revision zum BGH zugelassen.
Die DUH betonte nach der mündlichen Verhandlung im Mai dagegen, dass der Gesetzgeber in der Pflicht sei, klare Vorgaben zur Vermeidung von Greenwashing zu machen. Ein Regulierungsvorschlag der EU-Kommission liegt bereits vor.
Mit Material der dpa
* In der urprünglichen Version des Artikels hieß es hier jeweils, die DUH hätte die Klage gegen Katjes geführt. Das trifft nicht zu und wurde richtiggestellt. (Red. 01.08.2023, 15:57 Uhr)
Mögliches Rechtsmittel gegen Greenwashing-Urteil: . In: Legal Tribune Online, 31.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52377 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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