Zwangshaft gegen Amtsträger darf es nur mit einer präzisen Rechtsgrundlage geben, entschied der EuGH. Eine solche muss nun der BayVerfGH suchen. Finden wird er sie wohl nicht. Außerdem bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Auch die Richter beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erwägen ein letztes Mittel für deutsche Amtsträger, die hartnäckig ein Gerichtsurteil ignorieren: Die Zwangshaft. Sie haben am Donnerstag ihre Entscheidung in Sachen Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen den Freistaat Bayern verkündet.
Der EuGH bezeichnet das Verhalten der bayerischen Landesregierung als eine "beharrliche Weigerung", einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, mit der ihr aufgegeben werde, "eine klare, genaue und unbedingte Verpflichtung" zu erfüllen. Diese Pflicht ergebe sich aus Unionsrecht. Daher habe das nationale Gericht sogar Zwangshaft gegen die Verantwortlichen des Freistaats Bayern zu verhängen, entschied der EuGH (Urt. v. 19.12.2019, Az. C-752/18). Das allerdings nur unter zwei Voraussetzungen: Es bedürfe einer präzisen Rechtsgrundlage und der Freiheitsentzug müsse verhältnismäßig sein. Beides muss nun der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) prüfen.
Seit Jahren streiten sich DUH und der Freistaat, weil letzterer sich weigert, Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität zu ergreifen und – wie es der EuGH noch mal explizit vermerkt – "seine Vertreter öffentlich erklärt haben, dass er seinen Verpflichtungen nicht nachkommen". Dazu verpflichtet das Land aber seit dem Jahr 2012 ein Gerichtsurteil, das die bayerische Landesregierung seitdem ignoriert. Die festgesetzten Zwangsgelder werden zwar bezahlt, sorgen bei den Amtsträgern aber für wenig Leidensdruck. Denn das Geld wandert von einer Landeskasse in die andere - ohne eine Vermögenseinbuße für das Land. Die DUH beantragte daher ein weiteres Zwangsgeld und die Verhängung von Zwangshaft gegen Verantwortliche des Freistaates.
Ob Haft – insbesondere mit Blick auf das hier ausgehebelte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – verhängt werden kann oder in solchen Fällen gar verhängt werden muss, fragte der Bayerische Verfassungsgerichtshof den EuGH.
Keine Haft ohne präzise Rechtsgrundlage
Wie schon der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen fordert der EuGH jedoch eine klare Rechtsgrundlage für die Verhängung von Zwangshaft. Zwar sei sowohl in der EU-Grundrechtecharta als auch im für den Umweltbereich relevanten Aarhus-Übereinkommen das Recht auf effektiven Rechtsschutz verankert. Wenn nationale Regelungen dazu führten, dass dieses Recht verletzt wird, weil Urteile wirkungslos bleiben, so müssten die Gerichte die Normen weit auslegen und ggf. unangewendet lassen.
Allerdings sei das Recht auf effektiven Rechtsschutz kein absolutes Grundrecht – im Gegensatz zum Recht auf Freiheit, das nur aufgrund einer „Regelung eingeschränkt werden darf, die "hinreichend zugänglich, präzise und in ihrer Anwendung vorhersehbar" ist, so der EuGH. Jede Gefahr von Willkür sei zu vermeiden.
Dies zu beurteilen sei Sache des BayVerfGH, ebenso die Prüfung von verhältnismäßigeren Maßnahmen. Und der EuGH spart nicht mit Hinweisen zu verhältnismäßigen Alternativen: Denkbar seien z. B. mehrere hohe Geldbußen in kurzen Zeitabständen, die nicht dem Haushalt zufließen, aus dem sie stammen.
DUH-Anwalt Remo Klinger hatte bereits vor einigen Monaten vorgeschlagen, ein tägliches Zwangsgeld festzusetzen. Bei 10.000 Euro täglich wären das jährlich 3,65 Millionen Euro, die etwa an die DUH zu zahlen sein könnte. Die Rechnung zahlen über die Landeskasse allerdings die Bürger – so lange wie die Amtsträger nicht persönlich in die Pflicht genommen werden. Der politische Druck dürfte aber mit jedem "Zahltag" wachsen.
Es bleibt das Vertragsverletzungsverfahren
"Nur für den Fall, dass die mit der Verhängung von Zwangshaft verbundene Einschränkung des Rechts auf Freiheit diesen Voraussetzungen genügt, würde das Unionsrecht den Rückgriff auf eine solche Maßnahme nicht nur gestatten, sondern gebieten", teilte der EuGH mit. Und stellt in Aussicht, dass der Verstoß gegen die Luftqualitätsrichtlinie (RiLi 2008/50) über im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage festgestellt werden und zur Haftung des Staates für die daraus resultierenden Schäden führen kann.
EuGH zum Luftreinhalteplan in München: . In: Legal Tribune Online, 19.12.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39333 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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