Das Tragen einer religiös bedingten Kopfbedeckung vor Gericht darf nicht bestraft werden, so der EGMR. Wer sich ansonsten anständig benehme, dürfe nicht bloß sanktioniert werden, weil er religiöse Kleidung nicht ablege.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine möglicherweise wegweisende Entscheidung zu religiösen Kopfbedeckungen getroffen. Nach seinem Urteil vom Dienstag verstößt es gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMKR), einem Bürger das Tragen einer solchen vor Gericht zu verbieten (Urt. v. 05.12.2017, Az. 57792/15).
In dem Fall ging es um einen Mann aus Bosnien-Herzegowina, der in einer Strafsache vor Gericht aussagen musste. Gegenstand des Verfahrens war ein Angriff auf die US-Botschaft in Sarajevo im Jahr 2011. Einer der Angeklagten wurde später wegen Terrorismus zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, zwei weitere dagegen freigesprochen.
Der Mann, um den sich der Fall vor dem EGMR drehte, war zu der Verhandlung als Zeuge geladen. Wie auch die Angeklagten gehört er zur religiösen Gruppe der Wahabiten, welche einer puristisch-traditionalistischen Auslegung des Islam folgen. Während die anderen sich aber mitunter respektlos gegenüber dem Gericht verhielten, sich etwa bei Aufforderung nicht erhoben, folgte der Mann allen Anweisungen und lieferte keinen Grund zur Beanstandung seines Verhaltens.
Verstoß gegen die Religionsfreiheit
Als das Gericht den Mann aufforderte, seine Kopfbedeckung abzulegen, weigerte er sich. Auf Ermahnung des Gerichtes hin erklärte er, es sei seine religiöse Pflicht, die Kopfbedeckung zu tragen. Daher wurde er wegen Missachtung des Gerichts zu einer Geldstrafe verurteilt, die auch die folgenden Instanzen bestätigten. Weil er die Geldstrafe nicht beglich, verbrachte er schließlich 30 Tage in Haft.
Auf seine Beschwerde hin entschied der EGMR nun mit sechs zu eins Stimmen, dass die Verurteilung gegen die in Art. 9 der EMRK verbürgte Religionsfreiheit verstoße.
Dabei führten die Richter zunächst, wie schon in einer früheren Entscheidung zur religiösen Verschleierung in der Öffentlichkeit, aus, dass die Nationalstaaten grundsätzlich einen weiten Einschätzungsspielraum betreffend Fragen des geordneten sozialen Zusammenlebens hätten. Sie wären grundsätzlich besser geeignet, um das Verhältnis von Staat und Religion in Einklang zu bringen, so der Gerichtshof.
Bloßes Tragen einer Kopfbedeckung darf nicht sanktioniert werden
Allerdings, führte die Kammer weiter aus, sei dieser Fall von anderen, in denen es beispielsweise um religiöse Bekleidung eines Staatsdieners gehe, zu unterscheiden. Schließlich gelte für Privatleute wie den Beschwerdeführer kein Neutralitätsgebot.
Im Übrigen habe der Mann durch sein Verhalten auch keinen Anlass zu der Annahme gegeben, dass er neben der Befolgung religiöser Gebote die Arbeit des Gerichts gestört oder die Rechte anderer verletzt haben könnte. Die Verurteilung bloß aufgrund seiner Weigerung, die Kopfbedeckung abzunehmen, sei nicht zu rechtfertigen, der Staat habe somit seinen weiten Einschätzungsspielraum überschritten.
Der EGMR verurteilte das Land daher, dem Mann 4.500 Euro zu zahlen.
mam/LTO-Redaktion
EGMR zur Kopfbedeckung vor Gericht: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25865 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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