Die Niederlande beliefern Israel mit Kampfjet-Ersatzteilen. Das muss aufhören, entschied ein Berufungsgericht. Es drohe eine Mitverantwortung für etwaige Völkerrechtsverstöße in Gaza. Die deutsche Regierung steht vor der gleichen Frage.
Auf einem Luftwaffenstützpunkt im Süden der Niederlande befindet sich das europäische Ersatzteillager des US-Herstellers von F-35-Kampfjets. Die Teile werden an verschiedene Staaten exportiert, darunter auch Israel. Diese Exporte muss die Regierung nun einstellen, entschied ein Berufungsgericht (Gerechtshof) in Den Haag am Montag.
Das Gericht gab damit einem Eilantrag dreier Menschenrechts- und Friedensorganisationen statt und hob die Entscheidung der Vorinstanz (Rechtbank Den Haag) auf. Es bestehe ein hohes Risiko, dass Israel mit seiner Kriegsführung im Gazastreifen das humanitäre Völkerrecht verletze, begründete der Gerechtshof seine Entscheidung. Er sieht viele Hinweise darauf, dass Israel in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen gegen das humanitäre Kriegsrecht verstoßen habe. Seiner Entscheidung legte das Gericht eine Vielzahl von Presse- und NGO-Berichten über die humanitäre Lage in Gaza zugrunde.
Mit seiner Entscheidung gab der Gerechtshof den Nichtregierungsorganisationen Oxfam Novib, Pax Niederlande und The Rights Forum Recht. Diese hatten den niederländischen Staat verklagt und auf möglichen Völkermord und Kriegsverbrechen durch Israel verwiesen. Der niederländische Staat sei durch die Rüstungsexporte mitverantwortlich für etwaige Völkerrechtsverstöße in Gaza.
Der Verteidiger des Staates hatte sich auf das Selbstverteidigungsrecht Israels berufen. Ein Verstoß gegen das Kriegsrecht sei nicht nachgewiesen.
Zulässigkeit von Kriegswaffenexporten auch in Deutschland umstritten
Die Rechtbank Den Haag entschied in der Vorinstanz Mitte Dezember noch umgekehrt und betonte, die Genehmigung von Rüstungsexporten stünde weitgehend im politischen Ermessen.
Die Frage, inwiefern es angesichts der Kriegsführung des israelischen Militärs im Gazastreifen zulässig ist, Israel mit Kriegswaffen zu beliefern bzw. derartige Exporte zu genehmigen, stellt sich auch in Deutschland. Die Bundesregierung hat im Jahr 2023 Exporte von Kriegswaffen im Wert von 20 Millionen Euro an Israel genehmigt, darunter 3.000 tragbare Panzerabwehrwaffen und 500.000 Schuss Munition für Pistolen und Gewehre. Die meisten Exporte entfallen auf die Zeit nach dem 7. Oktober.
An dieser Genehmigungspraxis gibt es insbesondere seit der Eilentscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in dem von Südafrika angestoßenen Völkermord-Verfahren Kritik. Am Montag nach der IGH-Entscheidung betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit auf der Bundespressekonferenz, es sei umstritten, inwiefern der Begründung der einstweiligen Anordnung durch den IGH überhaupt Aussagen zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der israelischen Kriegsführung zu entnehmen sind.
Was folgt aus der IGH-Entscheidung?
Der IGH hatte Israel u.a. aufgegeben, durch Sofortmaßnahmen sicherzustellen, dass es nicht gegen Art. II der Völkermord-Konvention verstößt. Welche Maßnahmen das sein sollen, sagte der IGH nicht; vielmehr überließ er die konkrete Auswahl Israel und seinem Militär.
Die Mehrheit der Richter hielten den von Südafrika erhobenen Genozid-Vorwurf zwar für plausibel. Sie betonten aber die im Vergleich zum Hauptsacheverfahren niedrigeren rechtlichen Hürden für einstweilige Anordnungen. Die Formulierungen hinsichtlich des Genozid-Vorwurfs sind äußerst zurückhaltend: Zur vorläufigen Prüfung, ob Israels militärische Handlungen unter die Genozid-Konvention fallen, nahm der IGH lediglich an, dies "erscheine möglich" ("appear to be capable of falling within...").
Zudem schlossen sich nicht alle Richter, die mit der Mehrheit für die Anordnung stimmten, dieser Bewertung an: Der deutsche Richter Georg Nolte etwa betonte in einer Art Sondervotum, dass Südafrikas Klage und der Vortrag in den Anhörungen Lücken aufwiesen. Das präsentierte Material an Zitaten israelischer Politiker und von Militärmitgliedern belege die für den Völkermord-Vorwurf essenzielle genozidale Absicht nicht.
Aus der IGH-Eilentscheidung folgt jedenfalls nicht unmittelbar eine Rechtspflicht Deutschlands, Exportgenehmigungen zu widerrufen. Unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung Exporte von Kriegswaffen genehmigen darf, ist vielmehr im Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) geregelt. Es kommt entscheidend darauf an, wie man Israels Kriegshandlungen in Gaza vor dem Hintergrund der §§ 6, 7 KrWaffKontrG bewertet.
Was sagt das Kriegswaffenkontrollgesetz?
§ 6 Abs. 3 Nr. 2 verbietet die Genehmigung von Exporten u.a. für den Fall, dass "Grund zu der Annahme besteht, daß die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde". Gemäß § 7 Abs. 2 ist eine bereits erteilte Genehmigung dann zu widerrufen. Die konkreten Voraussetzungen einer solchen völkerrechtlichen "Komplizenschaft" sind aber noch wenig geklärt.
Eine entscheidende Rolle hierbei könnte der Bericht spielen, den Israel bis Ende Februar über die in Gaza ergriffenen Sofortmaßnahmen ablegen muss. Der IGH hatte die Netanjahu-Regierung in seiner Eilentscheidung auch dazu verpflichtet, die Lage in Gaza und die ergriffenen Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung innerhalb eines Monats zu dokumentieren. Darauf wird die Bundesregierung ein Auge legen müssen.
Wahrscheinlich ist allerdings, dass Israel in dem Bericht – wie auch vor dem IGH – beteuern wird, das Völkerrecht schon durch die bisherigen Maßnahmen einzuhalten. Unklar ist, welche Detailtiefe der IGH von Israel erwartet. Sollte Südafrika mit dem Bericht nicht zufrieden sein, könnte es womöglich neue Eilanträge stellen.
Das niederländische Verfahren ist bei der Rechtbank schon Anfang Dezember anhängig gewesen – bevor Südafrika seine Genozid-Klage beim IGH einreichte. Die niederländische Regierung hat nach dem Urteil sieben Tage Zeit, die Ausfuhr der Ersatzteile nach Israel zu stoppen. Der Staat kann allerdings noch in Revision gehen. Eine entsprechende Absicht gab das niederländische Außenministerium noch am Montag bekannt. Man respektiere aber das Urteil und werde die Lieferungen vorerst einstellen.*
Mit Material der dpa
* Die letzten beiden Sätze wurden hinzugefügt am 13.02.2024, 12:55 Uhr.
Wegen möglicher Völkerrechtsverstöße: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53858 (abgerufen am: 22.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag