Internationaler Strafgerichtshof: Haft­be­fehl gegen Ben­jamin Netan­jahu

21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Netanjahu, den früheren Verteidigungsminister Galant und gegen einen Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen erlassen. Wie reagieren die Staaten?

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren Verteidigungsminister Joav Galant und gegen einen Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen erlassen. Die Richter in Den Haag stimmten einem Antrag des Chefanklägers Karim Khan vom Mai zu, LTO berichtete. Netanjahu und Galant stehen danach unter dem Verdacht von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 8. Oktober 2023 im Gazastreifen. 

Chefankläger Khan ermittelt seit Monaten wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg. Israel hatte Beschwerde gegen die Beantragung der Haftbefehle eingereicht. Diese wiesen die Richter zurück. Hamas-Chef Al-Masri - bekannt unter dem Namen Deif - wird wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit seit dem 7. Oktober gesucht. Er soll bei einem israelischen Bombenangriff im Gazastreifen getötet worden sein. Eine offizielle Bestätigung für seinen Tod gab es jedoch nie.

Das Gericht sieht ausreichende Gründe für die Annahme, dass Netanjahu und Galant "absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben."

Getroffen hat die Entscheidung eine dafür zuständige Vorverfahrenskammer (Pre-Trial Chamber) des IStGH, besetzt ist sie mit zwei Richterinnen und einem Richter. 

Netanjahu: "Antisemitische Entscheidungen"

Der IStGH kennt keine Immunität von Staats- oder Regierungschefs. Bereits 2023 erließ es einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Das Gericht mit Sitz in Den Haag hat selbst keine Möglichkeiten, die Haftbefehle auch zu vollstrecken. Aber seine 124 Mitgliedsstaaten - darunter Deutschland - sind dazu verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden. Damit werden die Reisemöglichkeiten für die Gesuchten stark eingeschränkt. 

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die internationalen Haftbefehle gegen sich und Ex-Verteidigungsminister Joav Galant als “antisemitische Entscheidungen” bezeichnet. Sie sei von "voreingenommenen Richtern
getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel" getroffen worden, stand in einer Erklärung seines Büros.

Die islamistische Hamas feiert die Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den früheren Verteidigungsminister Joav Galant als einen historischen Schritt. Die Entscheidung sei ein “wichtiger historischer Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk”, teilte die Hamas mit.

Rechtsanwalt und Mitbegründer des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) Wolfgang Kaleck schrieb auf X: “Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich schützend vor die höchste Instanz des Völkerstrafrechts stellt und den IStGH gegen die zu erwartenden Angriffe aus den USA, aber auch aus Israel verteidigt - und seine Waffenlieferungen stoppt”.

Wie reagieren Deutschland und die EU-Staaten auf den Haftbefehl?

EU-Chefdiplomat Josep Borrell hat den internationalen Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu als bindend für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bezeichnet. Als Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) seien die EU-Länder verpflichtet, die vom Gericht gegen Netanjahu, den früheren Verteidigungsminister Joav Galant und Hamas-Militärchef Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri verhängten Haftbefehle umzusetzen, sagte er am Donnerstag während eines Besuchs in der jordanischen Hauptstadt Amman. Es handle sich nicht um eine politische, sondern eine Gerichtsentscheidung, betonte der Außenbeauftragte. "Die Entscheidung des Gerichtshofs muss respektiert und umgesetzt werden", so der Spanier. 

Aus den EU-Mitgliedstaaten kamen bislang eher zurückhaltende Reaktionen. Die Niederlande seien bereit, bezüglich des Haftbefehls gegen Netanjahu zu handeln, sollte dies nötig sein, zitierte die Nachrichtenagentur ANP Außenminister Caspar Veldkamp. Der französische Außenamtssprecher Christophe Lemoine wich einer Frage dazu aus, ob Netanjahu bei einer Einreise nach Frankreich festgenommen würde. Die Frage sei rechtlich kompliziert, sagte Lemoine. Er werde sich noch nicht dazu äußern. 

Auch das Auswärtige Amt in Berlin äußerte sich bisher nicht zu den Haftbefehlen.  

Weiteres Verfahren läuft vor dem IGH

Schon der Antrag des Chefanklägers auf die Haftbefehle löste international Schockwellen aus. Zahlreiche Staaten hatten juristische Stellungnahme zu dieser Frage dem Gericht übergeben. Diese hatten die Richter bei ihrer Entscheidung über den Antrag mitberücksichtigt. 

Im Mai hatte Netanjahu den Ankläger Khan einen "der großen Antisemiten der Moderne" genannt. Auch Israels wichtigster Verbündeter, die USA, hatten sich gegen die Haftbefehle ausgesprochen. Andere Länder wie etwa Frankreich stärkten dem Strafgerichtshof dagegen den Rücken. 

Die Ermittlungen des Weltstrafgerichts sind unabhängig von laufenden Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof. Dieses höchste UN-Gericht ebenfalls mit Sitz in Den Haag will Streitfälle zwischen Staaten lösen. Südafrika hatte Israel wegen Völkermordes vor diesem Gericht verklagt.

dpa/pdi/LTO-Redaktion

Der Artikel wird am Tag der Veröffentlichung fortlaufend aktualisiert.

Zitiervorschlag

Internationaler Strafgerichtshof: . In: Legal Tribune Online, 21.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55923 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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