Bald endet für Cannabis-Konsumenten die Kriminalisierung. Für die Autofahrer unter ihnen dürfte sich die Lage nur wenig entspannen. Eine Expertengruppe plädiert für einen THC-Grenzwert, der mit 0,2 Promille Alkohol vergleichbar ist.
Verkehrsrechtler und -politiker, Rechtsmediziner und zuletzt sogar der ADAC: Nicht erst im Zusammenhang mit der bevorstehenden Cannabis-Freigabe wird seit längerem gefordert, den derzeit geltenden Grenzwert von 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum anzuheben. Dieser dient als Nachweis für eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit im Zusammenhang mit dem Cannabis-Konsum. THC gilt als die psychoaktive Substanz des Hanfs und macht den Hauptteil der berauschenden Wirkung aus. Der aktuelle Grenzwert liege so niedrig, dass er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, "aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulässt", erklärten im August 2022 etwa die Verkehrsrechtler des 60. Deutschen Verkehrsgerichtstages.
Zum 1. April tritt das Cannabisgesetz (CanG) der Ampel in Kraft. Dieses weist in Sachen THC-Grenzwert im Straßenverkehr noch eine (geplante) Leerstelle auf: "Ein vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr eingesetzte Arbeitsgruppe schlägt bis zum 31. März 2024 den Wert einer Konzentration von Tetrahydrocannabinol im Blut vor, bei dessen Erreichen nach dem Stand der Wissenschaft das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr regelmäßig nicht mehr gewährleistet ist", heißt es noch in § 44 CanG.
Seit diesem Donnerstag steht der anvisierte Wert nun fest: Der Gesetzgeber wird ihn wohl alsbald von 1,0 auf 3,5 Nanogramm anheben und das Straßenverkehrsgesetz (StVG) entsprechend ändern. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) veröffentlichte am Donnerstag die Empfehlungen einer im Dezember von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) eingesetzten, interdisziplinär besetzten Arbeitsgruppe.
"Konservativer Ansatz"
Die wissenschaftlichen Experten aus den Bereichen Medizin, Recht und Verkehr sowie Polizei gaben danach die Empfehlung ab, im Rahmen des § 24a StVG einen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum zu bestimmen. "Bei Erreichen dieses THC-Grenzwertes ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht fernliegend, aber deutlich unterhalb der Schwelle, ab der ein allgemeines Unfallrisiko beginnt", teilte das Ministerium mit.
Bei dem Wert, so das BMDV, handele es sich nach Ansicht der Experten um einen konservativen Ansatz, der vom Risiko vergleichbar sei mit einer Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille. THC im Blutserum sei bei regelmäßigem Konsum noch mehrere Tage nach dem letzten Konsum nachweisbar. "Daher soll mit dem Vorschlag eines Grenzwertes von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter erreicht werden, dass – anders als bei dem analytischen Grenzwert von 1 Nanogramm THC pro Milliliter – nur diejenigen sanktioniert werden, bei denen der Cannabiskonsum in einem gewissen zeitlichen Bezug zum Führen eines Kraftfahrzeugs erfolgte und eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung beim Führen eines Kraftfahrzeugs möglich ist", heißt es in der Pressemitteilung des BMDV.
In der Arbeitsgruppe selbst gab ein Vertreter der Innenministerkonferenz für die Polizeien von Bund und Ländern zu Protokoll, dass er einen höheren Grenzwert als 1,0 Nanogramm ablehnt.*
"Mischkonsum von Cannabis und Alkohol für Fahranfänger verbieten"
Während mit einer moderaten Anhebung des THC-Grenzwertes gerechnet worden war, kommt eine andere Empfehlung der BMDV-Arbeitsgruppe eher überraschend: "Um der besonderen Gefährdung durch Mischkonsum von Cannabis und Alkohol gerecht zu werden, wird empfohlen, für Cannabiskonsumenten ein absolutes Alkoholverbot am Steuer entsprechend der Regelung des § 24c StVG vorzusehen." Heißt: Fahranfänger in Probezeit oder Personen unter 22 Jahren dürfen unter der gemeinsamen Wirkung von Cannabis und Alkohol gar nicht fahren.
Weiter empfahl die Arbeitsgruppe, zum Nachweis des aktuellen Konsums "Speicheltests mit hoher Empfindlichkeit als Vorscreening" vorzusehen. Damit dürfte allerdings nicht allzu schnell zu rechnen sein, da laut Expertenvorschlag die Details zur Umsetzung dieses Ansatzes erst unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Ausland geklärt werden sollen.
Um die Bestimmung des Grenzwertes tobte seit Monaten ein heftiger Streit. Die Union, aber auch die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) plädierte mit Blick auf die Verkehrssicherheit ("Vision zero") für die Beibehaltung von 1,0 Nanogramm. Rechtsmediziner und einige Verkehrsjuristen wie zum Beispiel Rechtsanwalt Andreas Krämer vom Deutschen Anwaltverein hielten dagegen: Mit dem Grenzwert 1,0 Nanogramm gehe eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit nicht einher", monierte Krämer. Wissenschaftliche Studien belegten vielmehr, "dass erst ab einem THC-Wert von 2–4 Nanogramm pro Milliliter überhaupt von einer Beeinträchtigung gesprochen werden könne. Eine im Vergleich zu der im Kontext Alkohol relevanten Promillegrenze von 0,5 Promille liege beim Cannabis erst bei einer Größenordnung von 4-16 Nanogramm vor.
BMDV anfänglich gegen Anhebung
Dass der Verkehrsminister sich überhaupt mit einer Anhebung des THC-Grenzwert befasste, ist dem Druck aus den Koalitionsfraktionen zu verdanken. Das BMDV hatte noch im Mai 2023 keinerlei Bereitschaft gezeigt, den geltenden THC-Grenzwert an die liberalisierte Rechtslage anzupassen. "Das BMDV sieht derzeit keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf für eine Änderung des § 24a Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz (StVG)", hatte das Ministerium auf LTO-Anfrage seinerzeit erklärt.
In der Praxis hat ein niedriger THC-Wert für die Betroffenen oft fatale Auswirkungen: Selbst Autofahrer, deren Cannabis-Konsum schon länger zurückliegt und die sich nicht im berauschten Zustand ans Steuer begeben, müssen aktuell mit empfindlichen Sanktionen rechnen. So ist nach § 24a StVG mit mindestens 500 Euro Bußgeld, Fahrverbot, Punkten in Flensburg und – wenn es ganz übel kommt – auch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen.
FDP und Grüne begeistert
In einer ersten Reaktion lobte am Donnerstag die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Kristine Lütke die Empfehlung der von ihrem Parteifreund gegründeten Expertenkommission als "wissenschaftlich fundierten Vorschlag". Der Grenzwert von 3,5 Nanogramm schütze die allgemeine Verkehrssicherheit, aber auch die Freiheit der Konsumenten. "Der Deutsche Bundestag sollte auf der Grundlage dieses ausgewogenen Vorschlags nun zügig das Gesetzgebungsverfahren für den neuen Grenzwert einleiten."
Auch der zuständige Berichterstatter für die Grünen im Rechtsausschuss, MdB Lukas Benner, begrüßte die Vorschläge der Kommission:* "Sie bringen die Regelung zu Cannabis-Grenzwerten auf den Stand der Wissenschaft und der Realität. Die bisherigen Regelungen wären einer Kriminalisierung durch die Hintertür gleichkommen. Nun gilt es, die entsprechenden Änderungen im Straßenverkehrsgesetz schnell umzusetzen." Benners Kollegin MdB Swantje Michaelsen, Berichterstatterin für Verkehrssicherheit von Bündnis 90/Die Grünen im Verkehrsausschuss*, ergänzte, man werde auch die Vorschläge der Arbeitsgruppe zu einer 0-Promille-Grenze bei gleichzeitig nachweisbarem THC im Blut und für Speicheltests "im Rahmen der Beratungen prüfen".
Keine kanadischen Verhältnisse in Deutschland
Unterdessen dürfte man beim Hanfverband, der die Interessen der Cannabis-Konsumenten vertritt, von einer Anhebung auf 3,5 Nanogramm eher enttäuscht sein. Der Verband hatte seinerzeit einen Vorschlag der SPD, den Wert auf 3,0 Nanogramm anzuheben, als "mutlos" kritisiert und darauf hingewiesen, dass dieser immer noch dazu führen würde, dass einigen nüchternen Fahrern eine Drogenfahrt unterstellt wird. Bei 3,5 Nanogramm düfte das ebenso gelten.
Hanfverband-Geschäftsführer Georg Wurth hatte sich dafür ausgesprochen, Kanada als Vorbild zu nehmen. Dort hatte man im Zuge der Legalisierung 2018 zwei Grenzwerte eingeführt. Unterhalb von 4,0 Nanogramm THC im Blutserum werde nicht von einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit ausgegangen, so Wurth. Und erst ab 10,0 Nanogramm könne eine Fahrt auch ohne Ausfallerscheinungen geahndet werden, weil dann von einem zeitnahen Konsum vor der Fahrt ausgegangen werde. Wie es ausschaut, wird es allerdings kanadische Verhältnisse in Deutschland so bald nicht geben.
*Anmerkung: Von der Redaktion am Tag des Erscheinens, 14:23 Uhr bzw. 14:58 Uhr, nachträglich ergänzt.
Votum der Expertengruppe Cannabis im Straßenverkehr: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54223 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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