Es kam wie vermutet: Am Dienstagmorgen hat das BVerfG das Betreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt. Dem Bund fehle es an der notwendigen Gesetzgebungskompetenz.
Dem Bundesgesetzgeber fehlt die Gesetzgebungskompetenz für das Betreuungsgeld. Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit am Dienstag verkündetem Urteil entschieden. Die §§ 4a bis 4d des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes, die einen Anspruch auf Betreuungsgeld begründen, sind daher nichtig.
Sie können zwar der öffentlichen Fürsorge nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz (GG) zugeordnet werden, auf die sich die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes erstreckt. Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Ausübung dieser Kompetenz durch den Bund liegen jedoch nicht vor. Das Urteil ist einstimmig ergangen.
Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse wird ohnehin nicht hergestellt
Art. 72 Abs. 2 GG setzt voraus, dass die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Rege-lung erforderlich machen - nur dann darf der Bund anstelle der Länder eine Regelung treffen.
Daran mangelt es nach Ansicht der Karlsruher Richter jedoch: Zwar gebe es in Bayern, Sachsen und Thüringen, nicht aber in den übrigen Ländern, dem Betreuungsgeld vergleichbare staatliche Leistungen. Dieser Umstand führe jedoch nicht zu einer so erheblichen Schlechterstellung von Eltern in den übrigen Bundesländern, dass eine bundesgesetzliche Regelung zum Ausgleich dieser Schlechterstellung erforderlich gewesen wäre. Dazu sei es zudem schon deshalb ungeeignet, weil in den betreffenden Ländern keine Anrechnungsregelung bestehe, die Eltern dort also sowohl das Betreuungsgeld als auch das Landeserziehungsgeld beziehen könnten. Aus denselben Erwägungen sei das Betreuungsgeld auch nicht zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit erforderlich.
Betreuungsgeld soll nicht fehlende Einrichtungen kompensieren
Eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes folge auch nicht daraus, dass der Ausbau der Kindertagesbetreuung von Bund und Ländern seit Jahren gefördert werde und es darum einer Alternative zur Inanspruchnahme von Betreuung durch Dritte bedürfte. Das Merkmal der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ziele auf den Ausgleich von Nachteilen für Einwohner einzelner Länder zur Vermeidung daraus resultierender Gefährdungen des bundesstaatlichen Sozialgefüges, nicht aber auf den Ausgleich sonstiger Ungleichheiten.
Der Mangel an Betreuungseinrichtungen innerhalb einiger Bundesländer könne daran nichts ändern. Das Betreuungsgeld sei nicht als Kompensation für faktisch nicht verfügbare Betreuungsplätze ausgestaltet, zumal es in solchen Fällen eine Klagemöglichkeit gebe.
Auch aus den Grundrechten der Bürger folge nichts anderes. Ein Anspruch auf Betreuungsgeld lasse sich daraus nicht ableiten. Das Angebot öffentlich geförderter Kinderbetreuung stehe allen Eltern offen. Nähmen sie es nicht in Anspruch, verzichteten sie freiwillig, ohne dass dies eine verfassungsrechtliche Kompensationspflicht auslösen würde.
Keine Bundeskompetenz kraft Verklammerung
Das Bundesverfassungsgericht stellt schließlich klar, dass sich das Betreuungsgeld nicht mit dem Kinderförderungsgesetz bzw. dem Elterngeld vergleichen lasse: Während jenes in einer Höhe gewährt werde, die es als ernstlich erwägenswert erscheinen lasse, die eigene Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinderpflege vorübergehnd zu unterbrechen, komme dies angesichts der nur 150 Euro Betreuungsgeld pro Monat nicht ernstlich in Betracht.
Schließlich stünde das Betreuungsgeld auch nicht in einem untrennbaren, inhaltlichen Zusammenhang mit dem Kinderförderungsgesetz; es spiele insoweit auch keine Rolle, ob der Gesetzgeber beide von Anfang an als gemeinsames Maßnahmenpaket geplant habe, sondern nur, ob sie objektiv untrennbar seien. Das Gericht gemahnt insoweit an die Verfassungsreform von 1994, indem es formuliert:
"Dem Bundesgesetzgeber hier eine nicht justitiable Verknüpfungskompetenz zu überlassen, verbietet sich nicht zuletzt angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG. Könnte er kraft politisch gewollter Verklammerung eine Kompetenz begründen, hätte er die tatbestandlichen Voraussetzungen selbst in der Hand. Dies wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber im Jahr 1994 durch die Reform des Art. 72 Abs. 2 GG ausschließen."
Constantin Baron van Lijnden, Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16299 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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