Neue Regeln im Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht: Bremst die Fami­li­en­mi­nis­terin die Fami­li­en­rechts­re­form?

von Hasso Suliak

07.10.2024

Umfassende Änderungen beim Unterhalt, bei Adoption und im Sorge- und Umgangsrecht: Marco Buschmann (FDP) hat den Ländern ein Gesetzespaket zur Modernisierung des Familienrechts zugeleitet. Im BMFSJ wundert man sich.

Es ist ein zentrales rechtspolitisches Vorhaben dieser Ampel und im Grundsatz auch im Koalitionsvertrag geregelt: Ein modernes Familienrecht zu schaffen, das u.a. der Realität vieler Familienmodelle (z.B. Regenbogen- oder Patchwork-Familien) gerecht wird. Hierzu hat der Bundesjustizminister nun drei Gesetzentwürfe ausgearbeitet, die das Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht teilweise fundamental ändern sollen. Die Entwürfe liegen LTO vor.

Bei dem ambitionierten Vorhaben drängt die Zeit. Schließlich muss die Reform noch vor der nächsten Bundestagswahl im September 2025 beschlossen werden. Eigentlich sollten die Gesetzentwürfe bereits vor der Sommerpause fertig sein und im Paket vorgestellt werden. Doch gegen die Entwürfe regte sich Widerstand. Das grün-geführte Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSJ) steht offenbar auf der Bremse. Dem Vernehmen nach hat Familienministerin Lisa Paus Bedenken bei einigen Regelungen im neuen Unterhaltsrecht. Nach diesen könnten Mütter, die Kinder betreuen, künftig mit weniger Unterhalt rechnen als bisher. Der Einleitung der Ressortabstimmung sei deshalb im Rahmen des sog. Vorhabenclearings vom grünen Koalitionspartner widersprochen worden, heißt aus Regierungskreisen.  

Gleichwohl leitete Buschmann nun sein unabgestimmtes Gesetzespaket an die Länder weiter. Ein Vorgehen, das im BMFSJ für Verwunderung sorgt: "Das im Vorfeld die Bundesländer konsultiert werden, ist eine ungewöhnliche Vorgehensweise, die wir intern besprechen werden", so ein BMFSJ-Ministeriumssprecher.  

Mitbetreuende Väter sollen beim Unterhalt entlastet werden  

Bei der geplanten Reform des Unterhaltsrechts soll u.a. der Kindesunterhalt reformiert werden. Dabei geht es Buschmann um Fälle, in denen das Kind im sog. asymmetrischen Wechselmodell betreut wird: Das Kind lebt dabei überwiegend (also zu mehr als 50 Prozent der Zeit) bei einem Elternteil (zumeist die Mutter), aber auch der andere Elternteil (zumeist der Vater) erbringt wesentliche Betreuungsleistungen. In solchen Konstellationen sollen die Unterhaltslasten künftig laut Gesetzentwurf "fairer verteilt" werden.  

Der mitbetreuende Vater soll im Vergleich zum gegenwärtigen Recht finanziell entlastet werden, wenn er sich erheblich in der Betreuung ihrer Kinder engagiert. Davon wird ausgegangen, wenn sein Mitbetreuungsanteil bei mehr als 29 Prozent (aber weniger als 50 Prozent) liegt. Für die Mutter gibt es dann weniger Unterhalt als bisher. Allerdings spart sie nach der FDP-Argumentation durch das stärkere Engagement des Vaters auch eigene Aufwendungen und hat mehr Freiraum, um einer eigenen Erwerbstätigkeit nachzugehen.  

Residenzmodell nicht mehr zeitgemäß?

Die aktuelle Rechtslage, so heißt es zur Begründung im Gesetzentwurf, gehe seit dem Jahr 1957 beim Recht für den Kindesunterhalt vom Leitbild des Residenzmodells aus, also von der Vorstellung, dass das Kind im Wesentlichen bei einem Elternteil lebt. Es gelte der Grundsatz: "Eine(r) betreut, eine(r) zahlt". Der Elternteil, bei dem das Kind im Wesentlichen lebt, erbringe seinen Unterhaltsbeitrag durch Pflege und Erziehung; der andere Elternteil erbringe seinen Unterhaltsbeitrag durch Geldzahlung (Barunterhalt). Nach der Gesetzesbegründung sei dieses Modell in vielen Fällen überholt. Dort heißt es: "Das Residenzmodell entspricht jedoch nicht mehr der Lebensrealität vieler Familien. So sind zum Beispiel etliche Kinder einige Tage und Nächte der Woche bei einem Elternteil und die anderen Tage und Nächte der Woche beim anderen Elternteil."

Nach Buschmanns Plänen könnten Mütter künftig unter bestimmten Bedingungen weniger Unterhalt bekommen und betreuende Väter finanziell entlastet werden. Damit ist die grüne Familienministerin dem Vernehmen nach nicht vollumfänglich einverstanden – auch wenn das BMFSJ dies auf Nachfrage von LTO so nicht bestätigen will: Im Unterhaltsrecht bestehe in Konstellationen, bei denen beide Eltern die Kinder umfänglich betreuen, dringlicher Regelungsbedarf, so ein Sprecher des Ministeriums von Lisa Paus. "Dabei werden wir als Familienministerium strikt darauf achten, dass die Reform für Alleinerziehende alltagstaugliche Regelungen enthält, die die Erwerbsmöglichkeiten realistisch einschätzen und nicht unzumutbare finanzielle Einbußen geschultert werden müssen."

Elternschaft durch Vereinbarungen

Grundsätzlich einig sind sich BMJ und BMFSJ dagegen bei den zwei weiteren Gesetzentwürfen, die das Familienrecht erneuern sollen.  

Eines davon ist das Abstammungsrecht. Dieses bestimmt, wer die rechtlichen Eltern eines Kindes sind. Hier will die Ampel endlich die im Koalitionsvertrag verabredete Beendigung einer Diskriminierung lesbischer Mütter angehen. Das betrifft Kinder, die in einer Partnerschaft von zwei Frauen geboren werden. Dann soll auch die Partnerin der Gebärenden die Mutter des Kindes werden können, ohne es in einem umständlichen Verfahren adoptieren zu müssen. Für sie soll insoweit das Gleiche gelten wie bei verschiedengeschlechtlichen Paaren für den Partner der Mutter. Künftig soll gelten: Mutter des Kindes ist neben der Frau, die das Kind geboren hat, auch die Frau, die im Zeitpunkt der Geburt mit der Geburtsmutter verheiratet ist oder die die Mutterschaft anerkennt. Beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sind diverse Verfahren anhängig, die sich erledigen würden, wenn der Gesetzgeber in diesem Sinne handelt.    

Buschmanns Entwurf sieht vor, dass im Wege einer Elternschaftsvereinbarung schon vor der Geburt des Kindes Klarheit geschaffen werden kann, wer neben der Frau, die das Kind geboren hat, Vater oder Mutter eines Kindes werden soll. Dadurch soll insbesondere auch bei privaten Samenspenden (sog. Becherspenden) frühzeitig eine rechtssichere Eltern-Kind-Zuordnung ermöglicht werden. Durch die Vereinbarung sollen die Beteiligten vorab verbindlich bestimmen können, ob der leibliche Vater oder etwa der Partner/die Partnerin der Geburtsmutter rechtlicher Elternteil des Kindes werden soll.

Stärkung der Rechte leiblicher Väter

Schließlich ist im Rahmen der Abstammungsreform auch eine Stärkung der Rechtsposition für leibliche Väter vorgesehen, die als rechtlicher Vater Verantwortung für ihr Kind übernehmen wollen: Eine solche hatte bereits das BVerfG gefordert und angemahnt, dass die geltende Rechtslage leibliche Väter vor allem deshalb unangemessen in ihrem Elterngrundrecht beeinträchtige, weil gegenwärtige oder frühere eigene sozial-familiäre Beziehungen zu ihrem Kind ebenso wenig Berücksichtigung fänden wie ihr frühzeitiges sowie konstantes Bemühen um die rechtliche Vaterschaft.  

Künftig soll daher gelten: Solange ein gerichtliches Verfahren läuft, in dem ein Mann seine Vaterschaft feststellen lassen will, soll grundsätzlich kein anderer Mann die Vaterschaft für dieses Kind anerkennen können (Sperrwirkung eines anhängigen Feststellungsverfahrens). Und wer glaubt, leiblicher Vater zu sein, soll die Vaterschaft eines anderen Mannes künftig auch anfechten können, wenn bereits eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu dem anderen Mann besteht: Anders als derzeit soll also eine sozial-familiäre Beziehung die Anfechtung nicht kategorisch ausschließen.

Wechselmodell erstmals gesetzlich geregelt  

Im Rahmen der Kindschaftsrechtsreform sollen insbesondere die geplanten Novellierungen im Sorge- und Umgangsrecht künftig die Realität vieler Familienmodelle (z.B. Regenbogen- oder Patchwork-Familien) nach Ansicht des Justizministeriums besser abbilden.

So soll etwa das Wechselmodell erstmalig gesetzlich geregelt werden: In einem neuen § 1679 Abs.3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) soll klargestellt werden, dass das Familiengericht in einem Umgangsverfahren (nach Trennung) eine Betreuung durch beide Elternteile, insbesondere auch eine paritätische Betreuung, anordnen kann – wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Auch in diesem Kontext wird also das bisherige Residenzmodell aufgeweicht, wonach gemeinsame Kinder nach einer Trennung nur von einem Elternteil – zumeist der Mutter – betreut werden. Zur Begründung heißt es im Entwurf: "Eltern brechen vermehrt alte Rollenmuster auf und fühlen sich unabhängig vom Bestehen einer partnerschaftlichen Beziehung beide für die Entwicklung ihrer Kinder verantwortlich." Nach einer Studie der Uni Duisburg lag der Anteil der Trennungseltern, die ihre Kinder im Wechselmodell betreuen, im Jahr 2021 bei fünf Prozent.  

Angegangen werden im Gesetzentwurf diverse Aspekte des Sorgerechts. Als elterliche Sorge bezeichnet man die Pflicht und das Recht der Eltern, für das minderjährige Kind zu sorgen. Grundsätzlich sollen Eltern in Bezug auf ihr Sorgerecht künftig mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und zum Beispiel unter Einbeziehung des Jugendamts die Alleinsorge eines Elternteils vereinbaren können. Auch eine Übertragung der elterlichen Sorge von einem Elternteil auf den anderen soll leichter möglich sein.

"Kleines Sorgerecht" für neue Partner  

Gestärkt werden soll zudem auch die Alleinentscheidungsbefugnis von getrenntlebenden Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht. In Angelegenheiten des täglichen Lebens sollen sie in dem Zeitraum, in dem sich das Kind bei ihnen aufhält, allein entscheiden – und zwar unabhängig vom Betreuungsmodell.

Eine weitere Neuerung dürfte vor allem für Patchwork- und Regenbogenfamilien interessant werden: So sollen die Sorgeberechtigten (in der Regel die Eltern) künftig durch Vereinbarung bis zu zwei weiteren Personen – zum Beispiel ihren jeweils neuen Partner – sorgerechtliche Befugnisse bei Angelegenheiten des täglichen Lebens einräumen können (Kleines Sorgerecht).  

Bei aller geplanten Flexibilisierung im Bereich des Sorge- und Umgangsrecht stellt der Gesetzentwurf im Übrigen aber klar, dass bei allen Entscheidungen das Wohl des Kindes – unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten – ausschlaggebend sein muss.  

Adoptionsrecht für nichteheliche Paare

Der Entwurf sieht an diversen Stellen eine Stärkung der Kinderrechte vor. Neu eingeführt werden soll u.a. ein eigenes Recht des Kindes auf Umgang mit Großeltern und Geschwistern und ferner ein eigenes Umgangsrecht des Kindes mit anderen Bezugspersonen sowie mit leiblichen, nicht rechtlichen Elternteilen (§ 1684 BGB). Kinder sollen außerdem ab dem Alter von 14 Jahren Mitentscheidungsbefugnisse im Sorge- und Umgangsrecht bekommen. Sie sollen z.B. eine gerichtliche Entscheidung über die Sorgeregelung selbst beantragen können.

Im Adoptionsrecht kommt es zu einer grundlegenden Liberalisierung: So soll die Ehe für die gemeinsame Adoption minderjähriger Kinder keine Voraussetzung mehr sein, nichteheliche Paare sollen gemeinsam ein Kind adoptieren dürfen. Die Einzeladoption durch einen Ehegatten soll zugelassen werden.

DAV: "Reformstau immens"  

In einer ersten Einschätzung begrüßte der Deutschen Anwaltverein (DAV), dass es bei der Familienrechtsreform vorangeht: "Endlich liegen konkrete Gesetzentwürfe zu den wichtigsten reformbedürftigen Themen, Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht, im Familienrecht vor. Der Reformstau ist immens", so DAV-Vorstandsmitglied Eva Becker gegenüber LTO. Die Fachanwältin, auch Vorsitzende des Ausschusses Familienrecht im DAV, sieht vor allem die Reform des Abstammungsrecht als besonders dringlich an.

Der Gesetzgeber dürfe es nicht hinnehmen, dass das BVerfG beim Thema Mitmutterschaft ihm zuvorkommen und die aktuelle Gesetzeslage absehbar als verfassungswidrig qualifizieren werde. "Schon mit Blick auf die 'Ehe für alle' ist die Reform der Abstammungsregelungen zwingend geboten", so Becker.

Auch die Stoßrichtung der geplanten Reform im Kindschaftsrecht begrüßte die DAV-Familienrechtlerin: Das Recht sei an dieser Stelle durch viele kleine Reformen in den letzten Jahrzehnten inkohärent geworden und bedürfe der Neuordnung. "Ausgangspunkt sollte die Annahme der Gleichwertigkeit der Elternteile für das Kind sein, sei es bei der Erlangung der rechtlichen Elternschaft, sei es bei der Ausübung von elterlicher Sorge oder dem Kontakt mit dem Kind."

Beim Streit der Ressorts im Unterhaltsrecht mahnte Becker eine zügige Verständigung innerhalb der Bundesregierung an:  "Im Unterhaltsrecht hat der Reformstau ein Maß an Richterrecht und Unwägbarkeiten hervorgebracht, das den Mandanten nicht mehr vermittelbar ist. Recht muss sich im Gesetz finden und nicht in Einzelfallentscheidungen." 

Zitiervorschlag

Neue Regeln im Abstammungs-, Kindschafts- und Unterhaltsrecht: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55575 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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