Dieser "Schluck aus der Pulle" war für Karlsruhe zu viel: Die von der GroKo beschlossene, millionenschwere Anhebung der staatlichen Parteienfinanzierung aus dem Jahr 2018 ist verfassungswidrig. Trotz Mehrkosten der Digitalisierung.
Parteien dürfen nicht so viel Geld vom Staat bekommen, wie es CDU/CSU und SPD 2018 im Bundestag beschlossen hatten. Die seinerzeit erfolgte Anhebung der Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung zum 1.Januar 2019 ist verfassungswidrig. Ein gegen die Anhebung gerichteter Normenkontrollantrag von FDP, Grüne und Linke hatte vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Erfolg.
Die Entscheidung verkündet am Dienstag früh die Vizepräsidentin und Vorsitzenden des Zweiten Senats, Prof. Dr. Doris König. In Ihrer Einführung führte sie aus, die Reform von 2018 genüge nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Anhebung der absoluten Obergrenze der staatlichen Parteienfinanzierung. Die Digitalisierung der Kommunikationswege sei zwar eine "einschneidende Veränderung der Verhältnisse", das allein rechtfertige aber nur eine Anhebung dem Grunde nach. Bei der Höhe bestehe ein Gestaltungsspielraum, der aber nachvollziehbar begründet werden müsse – die Gesetzesbegründung 2018 indes sei nicht ausreichend.
Das Urteil stellt eine Fortentwicklung des Grundsatzurteils aus dem Jahr 1992 dar. Dessen wesentliche Grundannahmen – wie die Erforderlichkeit nicht nur der relativen, sondern auch der absoluten Obergrenze – werden ausdrücklich bestätigt und zum Maßstab gemacht, die Anforderungen jedoch weiter konkretisiert und somit Rechtssicherheit geschaffen. Das Urteil hat zur Folge, dass die aktuelle Finanzierung für nichtig erklärt wird und die vorherige Fassung des § 18 Abs. 2 S. 1 und 2 PartG wieder Anwendung findet.
Für die Parteien steht damit vor allem die Frage einer etwaigen Rückforderung staatlicher Zuschüsse im Raum. Wie Dietmar Nietan, SPD-Schatzmeister, kurz vor der Urteilsverkündung gegenüber der SZ berichtete, sei man aber gerüstet: Man habe in böser Vorahnung des Urteils quasi so gewirtschaftet, als habe es die Anhebung der absoluten Obergrenze nicht gegeben.
BVerfG hält an absoluter Obergrenze fest
Mehr als dreißig Jahre liegt es zurück, dass der Zweite Senat erstmals der staatlichen Teilfinanzierung von Parteien den Weg ebnete (Urt. v. 19.07.1966, Az. 2 BvF 1/65). Um jedoch zugleich die Staatsfreiheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 S. 1 des Grundgesetzes, GG) zu wahren, zogen die Richter der staatlichen Parteienfinanzierung zwei Obergrenzen: eine relative und eine absolute. Die relative Grenze bestimmt, dass die Staatsfinanzierung nicht die Selbstfinanzierung übersteigen darf. Die absolute Grenze beschränkt das Gesamtvolumen, das an alle Parteien jährlich ausgezahlt werden darf.
Während die relative Obergrenze die Verwurzelung der Parteien in der Gesellschaft sichert, ist die Funktion der absoluten Obergrenze mitunter bezweifelt worden und Bundesregierung und Bundestag argumentierten für einen Vorrang der relativen vor der absoluten Obergrenze. Dem hat das BVerfG eine Absage erteilt und die Gelegenheit genutzt, die Bedeutung der absoluten Obergrenze in Erinnerung zu rufen: Sie ziele auf das Parteiensystem in seiner Gesamtheit ab und solle den Eindruck einer unangemessenen Selbstbedienung verhindern. Um einem nachhaltigen Akzeptanzverlust des Systems sei also auch die absolute Grenze erforderlich – die hinreichende Sicherung der Staatsfreiheit ergebe sich erst aus dem Wechselspiel beider Grenzen.
Erheblicher Gestaltungsspielraum, aber hohe Begründungslast
Bereits die Verhandlung zu diesem Verfahren im Oktober 2021 hatte gezeigt, dass sich die Problematik vor allem auf die Frage zuspitzt, wie das BVerfG den Maßstab einer "einschneidenden Änderung der Verhältnisse" konkretisieren würde – 1992 hatte der Senat das nämlich nicht näher ausbuchstabiert. Auch die herausgehobene Stellung in der Einführung zeigt, dass der Senat hier mit besonderer Sorgfalt vorgegangen ist: Hinsichtlich der Voraussetzungen lässt sich zwischen dem "Ob" und dem "Wie hoch" der Anhebung trennen.
Wann eine Erhöhung dem Grunde nach in Betracht kommt, definiert der Senat wie folgt: Erforderlich seien Umstände, die die Parteien erstens "in ihrer Gesamtheit beträfen, zweitens "von außen" auf die Parteien einwirkten, und zwar drittens dergestalt, dass der "Bedarf an personellen und sachlichen Ressourcen zur Erfüllung dieser Aufgaben nachhaltig in einem deutlich spürbaren Umfang" erhöht werde, ohne dass die Partei diesen aus eigener Kraft decken könne. Gehe eine Veränderung mit Einsparpotentialen einher, seien auch diese zu berücksichtigen.
Dieser genaue Voraussetzungskatalog für das "Ob" findet bei der Frage des "Wie hoch" keine Entsprechung: Insofern lasse sich dem Gebot der Staatsfreiheit keine exakte Bestimmung der absoluten Obergrenze entnehmen. In der Konsequenz verfüge der Gesetzgeber über einen erheblichen Gestaltungsspielraum bei der Feststellung des Finanzbedarfs. Heißt das also, das insoweit keinerlei Kontrolle stattfindet? Nein – das Weniger an Voraussetzungen wird durch ein Mehr an Begründungspflichten kompensiert, in den Worten Königs: "prozedurale Sicherungen". Nur wenn die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen und Abwägungen in das Gesetzgebungsverfahren Eingang gefunden hätten, könne der mit der "Prozeduralisierung" erstrebte "Rationalisierungsgewinn" erreicht werden. Auch sei eine Erläuterung erforderlich, warum die Anhebung gerade auf den geänderten Verhältnissen beruhe und inwieweit sie sich auf das unerlässliche Maß beschränke.
Dem Grunde nach: ja, der Höhe nach: nein
Auf dieser konkretisierten Grundlage bejaht der Senat die "einschneidenden Veränderungen". Die Rahmenbedingungen für die Mitwirkungen am politischen Prozess hätten sich durch die Digitalisierung der Kommunikation einschneidend verändert. Auch der vermehrte Einsatz innerparteilicher Partizipationsinstrumente – wie er in der Gesetzesbegründung angeführt war – stelle einen Umstand dar, der einen nicht mehr leistbaren finanziellen Mehrbedarf begründe.
Die neue absolute Obergrenze allerdings bei 190 Millionen Euro zu ziehen, habe nicht dem Begründungserfordernis genügt, so der Zweite Senat. Der Gesetzgeber habe nicht dargetan, warum gerade die veränderten Umstände die Steigerung erforderlich gemacht haben. Vielmehr folge aus der Gesetzesbegründung, dass sich der Gesetzgeber für die Höhe der absoluten an der 2015 angepassten relativen Obergrenze orientiert habe. Um das Leerlaufen dieser Novelle zu verhindern, habe man die Grenze angehoben. Wie auch schon Dr. Sebastian Roßner in seinem Gastbeitrag auf LTO kamen die Verfassungsrichter zu dem Schluss, dies genüge den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht.
BVerfG rüffelt Gesetzgebungsverfahren im Schnelldurchlauf
Etwas im Schatten der grundlegenden materiellen Äußerungen des BVerfG zur Staatsfreiheit und Parteienfinanzierung stehen die Ausführungen zur formellen Verfassungsmäßigkeit. Dabei hat der Senat auch insoweit Neuland betreten: Konkret ging es um die Frage, ob das von Kritikern als "Hau-Ruck-Verfahren" bezeichnete Gesetzgebungsverfahren mit dem Recht auf gleichberechtigte Teilhabe der Abgeordneten an der parlamentarischen Willensbildung (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) und dem Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit (Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG) in Einklang stand. In bloß zehn Tagen war aus dem Entwurf ein Gesetz geworden.
Im Ausgangspunkt, so der Zweite Senat, liege die Bestimmung der Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens in den Händen der Parlamentsmehrheit (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Allerdings sei diese nicht frei von Bindungen: Es spreche einiges dafür, dass eine zumindest substantielle Missachtung der Grundsätze von Parlamentsöffentlichkeit und gleichberechtigter Teilhabe der Abgeordneten eines sachlichen Grundes bedarf. Jedenfalls sei kein Platz für die "missbräuchliche Beschleunigung von Gesetzgebungsverfahren". Ob das der Fall war, ließen die Richter angesichts der jedenfalls aus Art. 21 GG folgenden materiellen Verfassungswidrigkeit unbeantwortet.
Das Gesetzgebungsverfahren war auch maßgeblicher Kritikpunkt der AfD-Fraktion. Sie sah sich in Oppositionsrechten verletzt und strengte ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG an (Az. 2 BvE 5/18). Über das Verfahren entschied der Senat ebenfalls am Dienstag und stufte den AfD-Antrag als unzulässig ein.
BVerfG zur staatlichen Parteienfinanzierung: . In: Legal Tribune Online, 24.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50853 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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