BVerfG zum Kennzeichenverbot für Rockergruppen: Kut­ten­verbot ist ver­fas­sungs­gemäß

14.08.2020

Motorradclubs dürfen die Kennzeichen ihrer verbotenen Schwesterorganisationen seit 2017 nicht mehr öffentlich zur Schau stellen. Ein ganz erheblicher Grundrechtseingriff, findet das BVerfG. Gerechtfertigt ist dieser aber trotzdem.

Motorradclubs müssen es hinnehmen, dass sie Kennzeichen von verbotenen anderen Rockergruppen nicht in leicht abgewandelter Form verwenden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wies drei Verfassungsbeschwerden gegen das 2017 verschärfte "Kuttenverbot" ab, wie das Gericht in Karlsruhe am Freitag mitteilte. Die Richter sehen zwar einen erheblichen Grundrechtseingriff. Dieser diene aber dem "Schutz von äußerst wichtigen Rechtsgütern" und sei deshalb auch nicht verbotenen Gruppierungen zumutbar (Beschl. v. 09.07.2020, Az. 1 BvR 2067/17 u.a.).

Hintergrund sind Auseinandersetzungen um die "Kutten" genannten Westen von Motorradclubs, die teilweise verboten worden sind, aber von nicht verbotenen "Chaptern" weiter benutzt werden. Ist ein Verein verboten, dürfen seine Kennzeichen wie Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen nicht öffentlich benutzt und medial verbreitet werden.

Nach § 9 Abs. 3 Vereinsgesetz (VereinsG) gilt das Kennzeichenverbot auch für nicht verbotene Teilorganisationen. Die Regelung soll verhindern, dass nicht verbotene "Schwestervereine" krimineller Rockergruppen nahezu identisch auftreten und auf der Kutte nur einen anderen Ort oder eine andere Untergliederung stehen haben.

BVerfG: Untrennbar mit Vereinsverbot verknüpft

Dagegen hatten lokale Gruppierungen und Mitglieder der "Bandidos", der "Hells Angels" und von "Gremium MC" Verfassungsbeschwerde erhoben. Untergliederungen dieser Clubs sind jeweils mit Vereinsverboten belegt.

Die 3. Kammer des Ersten Senats erkannte zwar an, dass die Abzeichen auf den Kutten für die Identität der Rockerclubs von grundlegender Bedeutung seien. Sie würden seit Jahrzehnten nach strengen Regeln fast unverändert genutzt und hätten einen hohen Wiedererkennungseffekt. Das Verbot sei ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, da gerade das öffentliche Tragen der Kutten einen hohen Wert für die Betroffenen habe. "Das sanktionsbewehrte Verbot schränkt ihre Selbstdarstellung in der Zugehörigkeit zur jeweiligen Vereinigung ganz erheblich ein", hieß es in einer Gerichtsmitteilung.

Trotzdem sei der Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, so die Kammer. Der Gesetzgeber verfolge das legitime Ziel, das Vereinsverbot aus Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz (GG) durchzusetzen. Das Verbot sei den Rockern auch zumutbar. Die private Verwendung wie etwa Tätowierungen sei nicht verboten, solange die Kennzeichen in der Öffentlichkeit und in Versammlungen abgedeckt und nicht medial verbreitet wird. Bei geringer Schuld könne außerdem von Bestrafung abgesehen werden.

"Die Gründe des Gesetzgebers für das Kennzeichenverbot wiegen demgegenüber schwer", hieß es in einer Mitteilung. Insbesondere sei das Kennzeichenverbot untrennbar mit einem Vereinsverbot verknüpft, das als Instrument präventiven Verfassungsschutzes auf den Schutz von Rechtsgütern hervorgehobener Bedeutung zielt. Das Gericht verwies hierbei auf Entscheidungen zu Vereinsverboten aus dem Jahr 2018.

Hells-Angels-Vertreter: "Sicherheitsgefühl der Öffentlichkeit wohl kein Verfassungsgut"

"Grundrechtlich ist ein Verbot nur zu rechtfertigen, wenn eine Vereinigung durch den organisierten Verstoß gegen Strafgesetze, die kämpferisch-aggressive Ausrichtung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Ausrichtung auf Gewalt in den internationalen Beziehungen oder vergleichbare völkerrechtswidrige Handlungen und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung geprägt ist und mildere Mittel nicht genügen", so das BVerfG. Nur dann greife auch das Kennzeichenverbot. "Damit tragen die Rechtsgüter, zu deren Schutz eine Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 GG ausdrücklich verboten werden kann, auch das Verbot, ihre Kennzeichen öffentlich weiter zu verwenden."

Der Bremer Rechtsprofessor Sönke Gerhold, der Mitglieder der Hells Angels in Karlsruhe vertrat, zeigte sich angesichts der Entscheidung enttäuscht. Das BVerfG habe die These, dass auch das erweiterte Kennzeichenverbot dem Schutz äußerst wichtiger Rechtsgüter diene, "nicht einmal im Ansatz erläutert". Dies irritiere, "zumal sich die Gesetzesbegründung vorrangig auf die denkbare Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls der Öffentlichkeit gestützt hat, deren Rang als geschütztes Verfassungsgut jedenfalls zweifelhaft sein dürfte", sagte der Strafrechtler gegenüber LTO.

Auch Florian Albrecht zeigte sich von der Karlsruher Entscheidung nicht überzeugt. Der Hochschullehrer und juristische Berater befasst sich seit Jahren mit Fragen von Kennzeichenverboten und der Rocker-Subkultur. "Ich sehe hier zunächst die Gefahr, dass ein Sonderrecht für Rocker zementiert wird", so Albrecht gegenüber LTO. Das BVerfG spreche davon, dass die angegriffenen Normen "in den vorliegenden Fallkonstellationen" mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Damit, so Albrecht, prüfe das BVerfG wohl subjektiv, ob man den Rockervereinen und ihren Mitgliedern Recht geben möchte. "Die gegen eine Norm gerichtete Verfassungsbeschwerde ist, wenn zulässig, aber ein objektives Prüfungsverfahren. Auf den Beschwerdeführer und seinen spezifischen Fall kommt es dann nicht mehr an", so Albrecht.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum Kennzeichenverbot für Rockergruppen: . In: Legal Tribune Online, 14.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42493 (abgerufen am: 16.11.2024 )

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