In dem seit Jahren schwelenden Streit um Nachtarbeitszuschläge in der deutschen Lebensmittelindustrie ist ein erstes Grundsatzurteil gefallen. Das BAG findet: Unregelmäßige Nachtarbeit darf durchaus höher vergütet werden als regelmäßige.
Tarifverträge können für unregelmäßige Nachtarbeit höhere Zuschläge vorsehen als für regelmäßige Nachtarbeit. Eine derartige Regelung verstößt nicht zwingend gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Es muss allerdings ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegen, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden und dabei aufgezählt, dass sachliche Gründe beispielsweise Belastungen durch die Nachtarbeit oder geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes sein können.
Eine Arbeitnehmerin in der Getränkeindustrie hatte gegen ihren Arbeitgeber geklagt. Sie leistete Nachtarbeit im Rahmen eines Wechselschichtmodells. In ihrem Arbeitsverhältnis gilt ein Manteltarifvertrag (MTV), in dem geregelt ist, dass der Zuschlag zum Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit 20 Prozent und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 Prozent beträgt. Aus Sicht der Arbeitnehmerin verstößt die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es gäbe unter dem Aspekt des Arbeits- und Gesundheitsschutzes - auf den es allein ankomme - keinen sachlichen Grund für diese Unterscheidung.
Schon in erster Instanz hatte sie mit ihrer Argumentation keinen Erfolg und auch der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hatte sich mit dem Fall befasst, lehnte die Anwendbarkeit von Unionsrecht allerdings ab und gab den Fall zurück an das BAG.
Entscheidung im Ermessen der Tarifvertragsparteien
Letztlich konnte auch dieses die Ansicht der Arbeitnehmerin nicht bestätigen. Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, werden zwar ungleich behandelt. Für diese Ungleichbehandlung sei aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben.
Der MTV beinhalte einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit. Damit habe er Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Zusätzlich bezwecke der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit auszugleichen. Das sei durch die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie auch möglich: Tarifvertragsparteien können mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen.
Damit sei der höhere Zuschlag für die Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, gerechtfertigt, so das BAG. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge müsse nicht vorgenommen werden. Die Tarifvertragsparteien könnten frei entscheiden, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten finanziell bewerten und ausgleichen.
In weiteren ähnlichen Fällen in Milch-, Käse- und Schmelzkäsindustrie sowie in der Süßwarenindustrie traf das BAG heute ebenfalls Entscheidungen und lehnte auch hier einen Verstoß gegen den Gleichhheitssatz ab.
cp/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
BAG fällt Grundsatzurteil: . In: Legal Tribune Online, 22.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51131 (abgerufen am: 17.11.2024 )
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