LTO liegt BMJ-Referentenentwurf vor: Schöffe nur mit leerem Füh­rungs­zeugnis?

von Dr. Max Kolter

23.08.2024

Verurteilte Straftäter können Schöffen sein, wenn die Strafe unterhalb bestimmter Schwellenwerte liegt. Das BMJ will nun strengere Regeln einführen. Außerdem soll der Online-Geschäftsverteilungsplan für die Gerichte verpflichtend werden.

Landet eine Strafsache vor dem Schöffengericht am Amtsgericht oder vor einer Strafkammer am Landgericht, wirken bei der Urteilsfindung Laienrichter mit, die sogenannten Schöffen. Wer Schöffe werden kann, bestimmt das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in den §§ 31 ff. Kategorisch ausgeschlossen vom Schöffenamt ist, wer selbst bereits rechtskräftig wegen einer Vorsatztat verurteilt worden ist. Das gilt aber nicht schon bei jeder noch so geringen Strafe, sondern bislang nur bei einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten (§ 32 Nr. 1 GVG). Diesen Schwellenwert will das Bundesjustizministerium (BMJ) nun herabsetzen. Dies sieht ein noch unveröffentlichter Referentenentwurf vor, der LTO vorliegt. 

"Die nach aktueller Rechtslage geltende Schwelle […] erscheint nicht mehr sachgerecht", heißt es in der Begründung. Auch bei Verurteilungen zu einer geringeren Freiheits- oder Geldstrafe könne die Beteiligung vorverurteilter Schöffen "geeignet sein, das Vertrauen der Allgemeinheit und der Verfahrensbeteiligten in die Integrität und Objektivität der Strafrechts-pflege zu beeinträchtigen". 

Der Entwurf sieht daher eine erhebliche Absenkung der Schwelle vor: Nach § 32 Nr. 1 GVG-E soll die Unfähigkeit zum Schöffenamt bereits bei jeder Freiheitsstrafe sowie bei einer Geldstrafe ab 91 Tagessätzen bestehen. Die Beschränkung auf vorsätzliche Taten soll allerdings bestehen bleiben. Bei Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten soll der Verurteilte nur drei Jahre lang vom Schöffenamt ausgeschlossen sein. Bei Freiheitsstrafen von mehr als drei Monaten gilt die Sperre "bis zur Tilgungsreife der Eintragung im Bundeszentralregister". 

Schwellenwert orientiert sich an Regelung zum Führungszeugnis 

Damit knüpft das BMJ den Schwellenwert für die Unfähigkeit zum Schöffenamt lose an die Strafhöhen und Löschfristen an, die für die Eintragung von Vorstrafen im Führungszeugnis gelten. 

Auch hier ist bei Geldstrafen die Grenze zwischen 90 und 91 Tagessätzen maßgeblich (§ 32 Abs. 2 Nr. 5 lit. a Bundeszentralregistergesetz, BZRG). Und auch hier gilt für Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten sowie für Geldstrafen eine Frist von drei Jahren; ist die verstrichen, wird die Vorstrafe nicht mehr ins Führungszeugnis aufgenommen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BZRG). 

Dieser Gleichlauf ist gewollt: "Ein klares Kriterium" für die Unfähigkeit zum Schöffenamt sei "eine Orientierung der relevanten Strafhöhe an den Vorschriften zur Aufnahme von Eintragungen im Bundeszentralregister in das Führungszeugnis". Die Konsequenz: "Die registerrechtliche Grenze von 90 Tagessätzen soll daher in das GVG übernommen werden." Warum der bisherige Schwellenwert von sechs Monaten Freiheitsstrafe kein "klares Kriterium" sein soll, begründet der Entwurf allerdings nicht.  

Auch wird nicht dargelegt, inwiefern die bisherige Grenze zu Problemen in der Justiz führt. Zwar heißt es in der Begründung, die Grenze von sechs Monaten Freiheitsstrafe "erscheint vor dem Hintergrund diverser Fälle aus der gerichtlichen Praxis nicht mehr sachgerecht". Um wie viele und welche Fälle es dabei geht, lässt die Entwurfsbegründung jedoch unerwähnt. 

Einerseits lockerer, andererseits strenger 

Im Übrigen sind die Neuregelungen zum Schöffenamt mit den BZRG-Vorschriften zum Führungszeugnis nicht deckungsgleich: So tauchen im Führungszeugnis Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten auf, wenn sie die genannten Schwellenwerte überschreiten. Demgegenüber führt die Verurteilung wegen einer Fahrlässigkeitstat auch nach dem Neuentwurf des BMJ nicht zum Ausschluss vom Schöffenamt. Wer wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden ist, darf also trotz Eintrags im Führungszeugnis Schöffe sein. Diese Abweichung begründet das BMJ damit, dass es bei fahrlässigen Taten "an einem bewussten Rechtsbruch fehlt". 

Umgekehrt sind die vom BMJ geplanten Schwellenwerte für die Schöffen(un)fähigkeit strenger als die Regelungen zum Führungszeugnis, soweit es um geringe Freiheitsstrafen wegen einer Vorsatztat geht. Die Dreimonatsgrenze für Freiheitsstrafen – das Äquivalent zu 90 Tagessätzen bei Geldstrafen – aus dem BZRG übernimmt das BMJ für die Schöffenfähigkeit nicht. Wer also etwa wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von drei Monaten oder weniger verurteilt worden ist, darf (drei Jahre lang) nicht Schöffe sein, obwohl er ein astreines Führungszeugnis besitzt. Auf diese Abweichung wird im Referentenentwurf zwar ausdrücklich hingewiesen, eine Begründung findet sich dort allerdings nicht. 

Die grundsätzliche Orientierung an den Regelungen des BZRG für das Führungszeugnis begründet das BMJ auch unter Hinweis auf das in Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz verankerte Gebot des gesetzlichen Richters. Das Gebot besagt, dass zur Vermeidung von Willkür allgemeine Bestimmungen dafür getroffen worden sein müssen, welche Richter – dazu zählen auch Schöffen – über welche Fälle zu entscheiden haben. 

Gerichte müssen Geschäftsverteilungsplan online stellen 

Dieses Gebot wird vor allem durch die Vorschriften des GVG und der unterschiedlichen Prozessordnungen gewährleistet, welche die sachliche, örtliche und ggf. funktionelle Zuständigkeit regeln. Die Zuständigkeiten innerhalb eines Gerichts – die Geschäftsverteilung – regeln diese Gesetze nicht. Dafür ist der sogenannte Geschäftsverteilungsplan da, den das Präsidium des Gerichts für jedes Geschäftsjahr im Voraus festlegt (§ 21e GVG). 

Der Idee des gesetzlichen Richters entspricht es dabei, dass Prozessbeteiligte in der Lage sein müssen zu überprüfen, welches Gericht für ihren Fall zuständig ist. Dafür muss die Möglichkeit der Einsichtnahme in den Geschäftsverteilungsplan bestehen. Diese regelt § 21e Abs. 9 GVG: "Der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts ist in der von dem Präsidenten oder aufsichtführenden Richter bestimmten Geschäftsstelle des Gerichts zur Einsichtnahme aufzulegen; einer Veröffentlichung bedarf es nicht." Man muss den Geschäftsverteilungsplan also einsehen können – aber bislang eben vor Ort, nicht bequem von der Couch, mit dem Laptop auf dem Knie. Zwar veröffentlichen viele Gerichte ihren Geschäftsverteilungsplan auf der Homepage, aber nicht alle – und noch entscheidender: Es besteht aktuell kein gesetzlicher Anspruch darauf. 

Das will das BMJ mit dem Referentenentwurf ebenfalls ändern: § 21e Abs. 9 GVG soll in der Weise ergänzt werden, dass eine Online-Veröffentlichung für alle Gerichte verpflichtend wird.

Zur Begründung verweist das von Marco Buschmann (FDP) geführte Ministerium auf die "im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung" veränderten "Möglichkeiten und Erwartungen". Mit anderen Worten: Der Gang in die Geschäftsstelle des Gerichts ist nicht mehr zumutbar – weil es auch einfacher geht. Außerdem will die Bundesregierung so eine Zielvorgabe der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung erfüllen.

Zitiervorschlag

LTO liegt BMJ-Referentenentwurf vor: . In: Legal Tribune Online, 23.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55262 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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