BGH zum Fall Schulte-Kellinghaus: Über­gründ­li­cher Richter durfte gerügt werden

von Dr. Christian Rath

12.05.2020

Der BGH befasste sich zum zweiten Mal mit der Ermahnung von OLG-Richter Thomas Schulte-Kellinghaus. Die Richter halten den Rüffel der damaligen OLG-Präsidentin für rechtmäßig. Christian Rath war dabei.

Der Fall ist auch nach acht Jahren noch für Überraschungen gut. Ausgerechnet Richter Thomas Schulte-Kellinghaus, der die Selbstbestimmung beim Arbeitstempo zum Kern der richterlichen Unabhängigkeit rechnet, beschwerte sich über die langsame Arbeitsweise des Bundesgerichtshofs (BGH). Die Verzögerung höhle seinen Rechtsschutz aus. Ansonsten waren die Fronten aber unverändert.

Schulte-Kellinghaus ist Zivilrichter am Freiburger Außensenat des OberlandesgerichtS (OLG) Karlsruhe. Er erledigt seit Jahren etwa ein Drittel weniger Verfahren als der Durchschnitt der anderen OLG-Richter, weil er sich für den einzelnen Fall besonders viel Zeit nimmt. 2012 erhielt er deshalb eine Ermahnung von der damaligen OLG-Präsidentin Christine Hügel. Schulte-Kellinghausens Erledigungspensum sei "jenseits aller großzügig zu bemessenden Toleranzbereiche".

Dagegen klagt der Richter nun schon seit acht Jahren. Bisher hat er in allen Instanzen verloren, zunächst beim Richterdienstgericht in Karlsruhe, dann beim Dienstgerichtshof in Stuttgart. Auch das Dienstgericht des Bundes beim BGH war 2017 schon einmal mit dem Fall befasst, verwies das Verfahren aber nochmals zurück an die Vorinstanz, um die Berechnung der Pensen zu klären.

Frontale Angriffe auf das Dienstgericht

An diesem Dienstag verhandelte das Dienstgericht des Bundes also zum zweiten Mal über den Fall. Und wie schon beim letzten Mal gingen Schulte-Kellinhaus und seine Anwältin Christina Gröbmayr das Gericht frontal an. Die Zurückweisung an den Dienstgerichtshof sei völlig unnötig gewesen und habe habe drei Jahre Zeit gekostet, kritisierte Gröbmayr. "Es ist eine Ironie dieses Verfahrens, dass Herr Schulte-Kellinghausen zu schneller Erledigung angehalten wird, während der BGH das Gegenteil praktiziert", so die Anwältin. Die drei Jahre könnten Schulte-Kellinghaus, der eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anstrebt, am Ende fehlen, denn der 65-jährige Richter wird schon im Sommer 2022 pensioniert.

Gröbmayr unterstellte dem BGH-Dienstgericht sogar Kalkül. Es wolle möglicherweise die BGH-Präsidentin Bettina Limperg schützen, die 2012 noch Vize-Chefin im Stuttgarter Justizministerium war und für den Rüffel gegenüber Schulte-Kellinghaus "verantwortlich" sei, so Gröbmayr. Der BGH-Senat unter Vorsitz von Barbara Mayen hörte sich die Vorwürfe ungerührt an, ohne darauf zu reagieren.

Mehr Richter statt mehr Output

In der Sache sieht Schulte-Kellinghaus den Rüffel von 2012 nach wie vor als Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit. Wenn es zuwenig Richter gebe, müsse der Landtag eben mehr Geld für Richterstellen bewilligen. Von ihm könne nicht verlangt werden, dass er seine Arbeitsweise den vorhandenen Ressourcen anpasse.

Die richterliche Unabhängigkeit sichere die Gesetzesbindung des Richters, so Schulte-Kellinghaus. Wenn von einem Richter die Wahl zeitsparender Lösungen - etwa Vergleiche statt Urteile - erwartet werde, dann sei die Gesetzesbindung nicht mehr gewährleistet.

Schulte-Kellinghaus hält seine Arbeitsweise sogar für effizient. 2004 habe er sich drei Monate lang ausschließlich mit einer Schrottimobilien-Klage gegen die Badenia Bausparkasse beschäftigt. Das OLG habe dann den Käufern gegen die Badenia Recht gegeben. Das Piloturteil führte dazu, dass am Ende 700 Kläger Schadensersatz erhielten. "Effizienter kann man als Richter zum Rechtsschutz kaum beitragen", betonte Anwältin Gröbmayr. Zuvor hatten 85 Urteile anderer OLG die Ansprüche der Käufer abgelehnt.

Für das Land erwiderte Jens Martin Zeppernik, Präsidialrichter am OLG Karlsruhe: "Es ist das Selbstverständnis nahezu aller Richter, dass sich Rechtsschutz durchaus mit der effizienten Erledigung von Fällen vereinbaren lässt." Er wundere sich, warum Schulte-Kellinghaus, der doch sonst die richterliche Unabhängigkeit über alles stelle, die Verfahrensweise des Dienstgerichts so heftig kritisiere.

Ermahnung zu unverzögerter Erledigung war zulässig

Wie sich schon 2017 abzeichnete, folgte der BGH am Dienstag wieder nicht der Argumentation von Schulte-Kellinghaus (Urt. v. 12.05.2020, Az. RiZ (R) 3/19). "Ein Dienstvorgesetzter darf einem Richter, dessen Arbeitsweise zu Unzuträglichkeiten in der Verfahrensabwicklung geführt hat, zu einer ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte ermahnen", erklärte die Vorsitzende Mayen. Ein Eingriff in die Unabhängigkeit läge erst vor, wenn einem Richter ein Arbeitspensum abverlangt wird, das auch von anderen Richtern nicht sachgerecht zu schaffen ist. In der mündlichen Verkündung ging Mayen nicht näher auf die Argumente von Schulte-Kellinghaus ein.

Schulte-Kellinghaus muss nun auf die Vorlage des schriftlichen Urteils warten. Dann wird er vermutlich Anhörungsrüge erheben. Er rechnet damit, dass sein Vorbringen auch im schriftlichen Urteil weitgehend "ignoriert" und die Anhörungsrüge abgelehnt wird. Ende des Jahres, so hofft er, kann er dann Verfassungsbeschwerde erheben, gestützt auf Art. 97 Grundgesetz, der die richterliche Unabhängigkeit schützt.

Ihm ist auch klar, dass mit seiner Pensionierung das Rechtschutzbedürfnis entfallen würde. Es wird also darauf ankommen, ob der zuständige Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Interesse an dem Verfahren hat. Wenn das BVerfG das Verfahren bis zur Erledigung liegen lässt, dann sollte sich Schulte-Kellinghaus allerdings auch nicht grämen. Denn dann wäre wohl auch eine Entscheidung eher nicht zu seinen Gunsten ausgegangen.

Zitiervorschlag

BGH zum Fall Schulte-Kellinghaus: . In: Legal Tribune Online, 12.05.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41597 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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