2/2: Verfassungsbeschwerden gegen TTIP und CETA
Auf nationaler Ebene haben Kritiker der Abkommen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits zahlreiche Verfassungsbeschwerden eingereicht. Für den Moment sind diese Klagen wohl verfrüht, da noch keine Beteiligung deutscher Stellen im Rat geplant ist, die das endgültige Inkrafttreten eines dieser Abkommen vorbereiten würde. Aber auch dies ist letztlich nur eine Frage der Zeit.
In den Verfahren prüft das Gericht zunächst im Rahmen der "Identitätskontrolle", inwieweit die Abkommen zentrale Regeln des Grundgesetzes (GG) verletzen, die der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegen und selbst im Wege einer Verfassungsänderung nicht modifiziert werden dürften. Dass die Abkommen allerdings hieran scheitern könnten, ist entgegen anderer Stimmen kaum anzunehmen.
Je nach dem, welchen Ratifikationsprozess die EU in Umsetzung des zu erwartenden EuGH-Gutachtens für die Abkommen wählen wird, kann das BVerfG auch eine "Kompetenz-" oder auch "ultra vires-Kontrolle" vornehmen. Dabei untersucht es, ob die EU bei den Abkommen aus verfassungsrechtlicher Sicht Kompetenzen wahrnimmt, die allein den Mitgliedstaaten zustehen.
Auswirkungen auf deutsche Investitionsschutzabkommen
Die Kommission hat mit den verhandelten Investitionsregeln die Kritik von NGOs und der Wissenschaft bereits umfänglich aufgegriffen und – von der Öffentlichkeit und den Medien im Wesentlichen unbemerkt – erheblich reformiert.
Das reformierte Regelwerk von TTIP und CETA steht allerdings im Gegensatz zu den Regeln, die man in den 129 aktuell in Kraft befindlichen bilateralen Investitionsschutzabkommen Deutschlands mit anderen Staaten findet. Letztere erlauben noch intransparente Schiedsverfahren, enthalten umfänglichere Standards zum Investitionsschutz als im CETA vorgesehen und spezifizieren diese anders als das CETA auch nicht. Sie wurden übrigens von allen deutschen Parlamenten und Regierungen seit 1959 gefördert und verabschiedet.
So erscheint es in der Tat als wahrscheinlich, dass das BVerfG bei der Prüfung der Investitionsregeln etwa des CETA jedenfalls inzident auch Feststellungen zur Verfassungskonformität dieser deutschen Abkommen treffen wird.
Investitionsschutz in Schwellenländern
Bislang fordern nur wenige Stimmen die Abschaffung dieser deutschen Abkommen oder halten sie für verfassungswidrig. Alles fokussiert sich auf die Abkommen der EU und speziell die geplanten Partnerschaften mit Industrienationen wie den USA und Kanada.
Dabei gerät leicht aus dem Blick, wie notwendig es ist, private deutsche Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern über deutsche Investitionsschutzabkommen zu schützen. Man sollte sie auch nicht der damit einhergehenden Entwicklungsmöglichkeiten berauben.
Aber Verfassungsrecht unterscheidet bei der Beurteilung völkerrechtlicher Regeln nicht zwischen verschiedenen Vertragspartnern, also Industrienationen auf der einen Seite und Entwicklungs- und Schwellenländern auf der anderen. Dies wäre auch absurd, da sich Investitionsrisiken in den Ländern dieser Welt alle paar Jahre beispielsweise mit Regierungswechseln erheblich vergrößern oder verringern können.
So wird es nicht möglich sein, deutsche Abkommen mit Entwicklungsländern zu erhalten, wenn sich bereits die reformierten Regeln des europäischen Investitionsschutzes als Verstoß gegen die Identität der deutschen Verfassung erweisen sollte. Auch wenn damit nicht zu rechnen ist, zeigt sich doch, welch gefährliches Spiel mit dem Feuer sich aktuell in der Politik vollzieht.
Das Dilemma der Bundesregierung
Diese Überlegungen decken nicht nur manche Doppelmoral auf, sondern es zeigt sich auch, welch zweifelhafte Motive sich mit der in Teilen berechtigten Kritik am Investitionsrecht vermischen.
So findet sich die Bundesregierung hier in einer besonders heiklen Situation. Kritik aus Regierungskreisen am reformierten europäischen Investitionsschutz passt so gar nicht zu der eigenen Sammlung deutscher Investitionsschutzabkommen. Diese haben – in den Medien ebenfalls gänzlich unerwähnt – bereits zahlreichen deutschen Unternehmen hilfreich zur Seite gestanden und damit sicherlich auch Arbeitsplätze im In- und Ausland gesichert. Außerdem hat die alte Bundesregierung im Rat daran mitgewirkt, der Kommission für den Investitionsschutz in CETA und TTIP samt Investorenklagemöglichkeiten ein Verhandlungsmandat zu erteilen.
Gerade in der neuen Bundesregierung dürfte allen Beteiligten also daran gelegen sein, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, indem das deutsche Programm von Investitionsschutzabkommen von der allgemein kritischen Stimmung erfasst wird. Diese Gefahr sehen augenscheinlich nicht alle Ministerien, sonst würden sie sich wohl mit ihrer Kritik mehr zurückhalten.
Der Autor Dr. Jörn Griebel ist Juniorprofessor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Internationales Investitionsrecht und Geschäftsführer des International Investment Law Centre Cologne der Universität zu Köln.
Europäische Freihandelsabkommen: . In: Legal Tribune Online, 01.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13976 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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