Seit vielen Monaten hagelt es Kritik an den Abkommen TTIP und CETA. Zum Teil ist sie berechtigt. Doch kritische Medienberichte vermischen sie mit nachweislich fehlerhaften Darstellungen. Nun werden sich EuGH und BVerfG mit der Thematik befassen. Das wird die Diskussionen versachlichen und sich vermutlich als Segen für die Abkommen erweisen, meint Jörn Griebel.
Seit mehr als einem Jahr sind die geplanten Freihandelsabkommen der Europäischen Union (EU) mit den USA und Kanada ein intensiv in den Medien diskutiertes Thema.
Dabei haben die NGOs die Schlacht um die öffentliche Meinung zu TTIP und CETA gewonnen, dies muss man anerkennen. Insbesondere haben sie es im Gegensatz zu den Freunden des Investitionsrechts auch verstanden, überregionale Printmedien in ihre Public Relations-Kampagnen einzubeziehen. So darf es auch nicht überraschen, dass die europäischen Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA bis heute allgemein mit Chlorhühnchen, Hormonfleisch und Geheimgerichten ausländischer Großkonzerne assoziiert werden. Angesichts solcher Schreckgespenster ist es vielleicht auch verständlich, dass die Bereitschaft sinkt, sachliche und zugleich verifizierbare Argumente für solche Abkommen zu hören.
Daneben ist die Zahl der nachweisbaren Falschaussagen in den Presseberichten bemerkenswert. Teilweise werden Falschdarstellungen zu TTIP und CETA gar mit Journalistenpreisen prämiert. Auch heute verbreiten die Medien systematisch fehlerhafte Informationen. Heribert Prantl erweckt in einem am 26.11. erschienenen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel "Brimborium" den Eindruck, die Abkommen könnten auf Grundlage der Geheimverhandlungen ohne öffentliche Debatte im Europäischen Parlament in Kraft treten. Dies ist natürlich unzutreffend, denn dieses wird auf Grundlage einer öffentlichen Sitzung über die Abkommen diskutieren und abstimmen.
Investitionsschutz nicht besonders investorenfreundlich
Insbesondere das Investitionsrecht mit seiner Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) wird heute weitgehend als Unrechtsregime wahrgenommen. Dabei ist der Investitionsschutz gar nicht so investorenfreundlich, wie immer behauptet wird.
Investoren gewinnen aktuell in nur etwa 40 Prozent der Schiedsverfahren. Und laut einer Studie aus dem Jahre 2009 lag die durchschnittliche Klagesumme in den Verfahren bei 343 Millionen US-Dollar, zugesprochen wurden im Schnitt aber nur 10 Millionen, also in etwa nur 3 Prozent des durchschnittlichen Klagebegehrens.
Interessant ist auch, dass die in den Medien als Argumente gegen den Investitionsschutz gebetsmühlenartig angeführten Klageverfahren allesamt noch nicht abgeschlossen sind. Kann es sein, dass die Kritiker des Investitionsschutzes auf Verfahren wie das des schwedischen Energieunternehmens Vattenfall, das sich gegen den deutschen Atomausstieg wehrt, verweisen müssen, weil es abgeschlossene Negativbeispiele in vergleichbarer Art und Anzahl einfach nicht gibt?
Nun aber zeigt sich am Horizont ein Hoffnungsstreifen für eine Rückkehr zur Sachlichkeit in den Diskussionen um TTIP und CETA, denn die europäischen Handelsabkommen gehen nun vor den EuGH und das BVerfG. Die Verfahren könnten sich dabei als Segen für die angegriffenen Investitionsrechtsregeln erweisen.
Freihandelsabkommen vor dem EuGH
In Kürze ist mit der Einschaltung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu rechnen. Die Kommission hat bereits Ende Oktober 2014 angekündigt, das erste fertig ausgehandelte Freihandelsabkommen mit Singapur, das inhaltlich und konzeptionell dem bereits veröffentlichten Abkommen mit Kanada und vermutlich auch dem unveröffentlichten mit den USA sehr ähnelt, überprüfen zu lassen.
Wie auch das EU-Parlament und der Rat sowie jeder Mitgliedstaat kann die Kommission gemäß Art. 218 Abs. 11 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) den EuGH um ein solches Gutachten zur Vereinbarkeit geplanter EU-Abkommen mit dem Unionsrecht ersuchen. Stellt dieser eine Verletzung der europäischen Verträge fest, darf ein überprüftes Abkommen nicht ohne entsprechende Änderungen in Kraft treten.
Das könnte das vollständige Scheitern der bereits ausgehandelten sowie aktuell noch verhandelten Abkommen und der europäischen Handels- und Investitionsschutzpolitik insgesamt bedeuten. Denn es wird sich insbesondere klären, inwieweit die ausgehandelten Regeln in den alleinigen Kompetenzbereich der EU fallen oder auch mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen. In letzterem Falle könnten die Abkommen nur als sogenannte "gemischte Abkommen" geschlossen werden, denen die Parlamente eines jeden EU-Mitgliedstaates zustimmen müssten. Und dies ist kein Selbstläufer.
2/2: Verfassungsbeschwerden gegen TTIP und CETA
Auf nationaler Ebene haben Kritiker der Abkommen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits zahlreiche Verfassungsbeschwerden eingereicht. Für den Moment sind diese Klagen wohl verfrüht, da noch keine Beteiligung deutscher Stellen im Rat geplant ist, die das endgültige Inkrafttreten eines dieser Abkommen vorbereiten würde. Aber auch dies ist letztlich nur eine Frage der Zeit.
In den Verfahren prüft das Gericht zunächst im Rahmen der "Identitätskontrolle", inwieweit die Abkommen zentrale Regeln des Grundgesetzes (GG) verletzen, die der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterliegen und selbst im Wege einer Verfassungsänderung nicht modifiziert werden dürften. Dass die Abkommen allerdings hieran scheitern könnten, ist entgegen anderer Stimmen kaum anzunehmen.
Je nach dem, welchen Ratifikationsprozess die EU in Umsetzung des zu erwartenden EuGH-Gutachtens für die Abkommen wählen wird, kann das BVerfG auch eine "Kompetenz-" oder auch "ultra vires-Kontrolle" vornehmen. Dabei untersucht es, ob die EU bei den Abkommen aus verfassungsrechtlicher Sicht Kompetenzen wahrnimmt, die allein den Mitgliedstaaten zustehen.
Auswirkungen auf deutsche Investitionsschutzabkommen
Die Kommission hat mit den verhandelten Investitionsregeln die Kritik von NGOs und der Wissenschaft bereits umfänglich aufgegriffen und – von der Öffentlichkeit und den Medien im Wesentlichen unbemerkt – erheblich reformiert.
Das reformierte Regelwerk von TTIP und CETA steht allerdings im Gegensatz zu den Regeln, die man in den 129 aktuell in Kraft befindlichen bilateralen Investitionsschutzabkommen Deutschlands mit anderen Staaten findet. Letztere erlauben noch intransparente Schiedsverfahren, enthalten umfänglichere Standards zum Investitionsschutz als im CETA vorgesehen und spezifizieren diese anders als das CETA auch nicht. Sie wurden übrigens von allen deutschen Parlamenten und Regierungen seit 1959 gefördert und verabschiedet.
So erscheint es in der Tat als wahrscheinlich, dass das BVerfG bei der Prüfung der Investitionsregeln etwa des CETA jedenfalls inzident auch Feststellungen zur Verfassungskonformität dieser deutschen Abkommen treffen wird.
Investitionsschutz in Schwellenländern
Bislang fordern nur wenige Stimmen die Abschaffung dieser deutschen Abkommen oder halten sie für verfassungswidrig. Alles fokussiert sich auf die Abkommen der EU und speziell die geplanten Partnerschaften mit Industrienationen wie den USA und Kanada.
Dabei gerät leicht aus dem Blick, wie notwendig es ist, private deutsche Investitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern über deutsche Investitionsschutzabkommen zu schützen. Man sollte sie auch nicht der damit einhergehenden Entwicklungsmöglichkeiten berauben.
Aber Verfassungsrecht unterscheidet bei der Beurteilung völkerrechtlicher Regeln nicht zwischen verschiedenen Vertragspartnern, also Industrienationen auf der einen Seite und Entwicklungs- und Schwellenländern auf der anderen. Dies wäre auch absurd, da sich Investitionsrisiken in den Ländern dieser Welt alle paar Jahre beispielsweise mit Regierungswechseln erheblich vergrößern oder verringern können.
So wird es nicht möglich sein, deutsche Abkommen mit Entwicklungsländern zu erhalten, wenn sich bereits die reformierten Regeln des europäischen Investitionsschutzes als Verstoß gegen die Identität der deutschen Verfassung erweisen sollte. Auch wenn damit nicht zu rechnen ist, zeigt sich doch, welch gefährliches Spiel mit dem Feuer sich aktuell in der Politik vollzieht.
Das Dilemma der Bundesregierung
Diese Überlegungen decken nicht nur manche Doppelmoral auf, sondern es zeigt sich auch, welch zweifelhafte Motive sich mit der in Teilen berechtigten Kritik am Investitionsrecht vermischen.
So findet sich die Bundesregierung hier in einer besonders heiklen Situation. Kritik aus Regierungskreisen am reformierten europäischen Investitionsschutz passt so gar nicht zu der eigenen Sammlung deutscher Investitionsschutzabkommen. Diese haben – in den Medien ebenfalls gänzlich unerwähnt – bereits zahlreichen deutschen Unternehmen hilfreich zur Seite gestanden und damit sicherlich auch Arbeitsplätze im In- und Ausland gesichert. Außerdem hat die alte Bundesregierung im Rat daran mitgewirkt, der Kommission für den Investitionsschutz in CETA und TTIP samt Investorenklagemöglichkeiten ein Verhandlungsmandat zu erteilen.
Gerade in der neuen Bundesregierung dürfte allen Beteiligten also daran gelegen sein, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, indem das deutsche Programm von Investitionsschutzabkommen von der allgemein kritischen Stimmung erfasst wird. Diese Gefahr sehen augenscheinlich nicht alle Ministerien, sonst würden sie sich wohl mit ihrer Kritik mehr zurückhalten.
Der Autor Dr. Jörn Griebel ist Juniorprofessor für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Internationales Investitionsrecht und Geschäftsführer des International Investment Law Centre Cologne der Universität zu Köln.
Dr. Jörn Griebel, Europäische Freihandelsabkommen: Heute noch in den Medien, morgen schon vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 01.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13976/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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