2/2: Abseits der (Kapitalmarkt-)Realität
Ob diese Einschätzung damals wie heute zutrifft, darf jedoch bezweifelt werden. Das liegt besonders im Sinn und Zweck des § 238 AO begründet, der die zweifelhafte Zinshöhe gesetzlich normiert. Dieser wurde ursprünglich eingeführt, um Steuersündern, die ihre Steuern zu spät zahlen, den Zinsvorteil zu nehmen. Denn das zu spät gezahlte Steuergeld hätten sie in der Zwischenzeit sonst gewinnbringend anlegen können. Durch die anhaltenden Niedrigzinsen gibt es aber schon seit vielen Jahren keine so gewinnträchtige Kapitalanlage mehr, so dass Steuerzahlern nicht länger Liquiditätsvorteile entzogen, sondern Zinsschäden zugefügt werden.
Es ist zudem ein Irrglaube, dass Steuerpflichtige von den hohen Zinsen gleichermaßen belastet wie begünstigt werden. Zwar gilt der fixe Zinssatz auch für Steuererstattungen durch den Fiskus. Erstattungszinsen müssen aber regelmäßig als Kapitalertrag gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz versteuert werden. Durch diese Steuerbelastung, den Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mindern sich die sechs Prozent Zinsen bei Steuererstattungen schnell auf nur noch circa 4,3 Prozent.
Außerdem wird man in der Realität kaum Steuerzahler finden, die ihre Steuernachzahlungen auf Kredit finanzieren. Beim Thema Kredit muss sich der Fiskus vielmehr eine ganz andere Frage stellen lassen: Im Zivilrecht liegen gem. § 138 Bürgerliches Gesetzbuch sittenwidrige Wucherzinsen vor, wenn ein Zinssatz für Kredite 100 Prozent des marktüblichen Zinssatzes überschreitet. Im Steuerrecht übersteigen die veranschlagten sechs Prozent Zinsen die marktüblichen Zinsen aber um ein Vielfaches. Wie ist es politisch zu erklären, dass der Gesetzgeber seinen Bürgern Wucher untersagt und ihn gleichzeitig selbst gesetzlich anordnet?
Diese Fragen hatten zuletzt auch die Politik umgetrieben und sogar den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu einer Ausarbeitung gebracht. Dass allerdings ein baldiges politisches Einlenken ohne ausdrückliche Intervention der Rechtsprechung stattfinden wird, darf angesichts des Volumens der Steuernachzahlungen bezweifelt werden: Allein im Jahr 2013 wurden nach Auskunft der Bundesregierung so über 1,3 Milliarden Euro eingenommen.
Steuererstattungen als Kapitalanlage
Der Bund der Steuerzahler hat vor diesem Hintergrund bereits angekündigt, zusammen mit dem betroffenen Ehepaar gegen das Urteil des FG Münster voraussichtlich Revision beim BFH einlegen zu wollen. Dort muss auch noch über zwei weitere Revisionen ältere Zinszeiträume betreffend entschieden werden. Allen Revisionsklägern ist Erfolg zu wünschen, denn ein Zinssatz in Höhe von sechs Prozent erscheint schon seit längerem gänzlich realitätsfremd. Eine weitere Typisierung in dieser Höhe ist damit unzulässig.
Immerhin hat auch der BFH bereits durchblicken lassen, dass sich seiner Auffassung nach das Zinsniveau nach dem Jahr 2011 dauerhaft auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert hat (BFH, Urt. v. 1.7.2014, Az. IX R 31/13). Es besteht also noch Hoffnung auf eine Anpassung des Zinssatzes.
Bis dahin bleiben den Steuerpflichtigen nur zwei Lehren zu ziehen: Erstens sollten ergangene Steuerbescheide unter Verweis auf die bestehenden Revisionen beim BFH durch Einsprüche offengehalten werden. Zweitens sollten sie zusätzlich Nachzahlungszinsen durch freiwillige Zahlungen an das Finanzamt vorbeugen. Mit etwas Glück werden so spätere Steuererstattungen mit einem Zinssatz verzinst, der sonst fast nirgends am regulären Anlagemarkt zu erzielen ist.
Rechtsanwalt Dr. Christian Beckmann ist Partner der Anwaltsboutique haas und partner mit Sitz in Bochum, Düsseldorf und Zürich sowie Lehrbeauftragter der Internationalen Hochschule Bad Honnef · Bonn. Die Kanzlei berät schwerpunktmäßig im Steuer-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.
Festverzinsung von Steuernachzahlungen: . In: Legal Tribune Online, 11.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24449 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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