Sechs Prozent Zinsen erhält der Fiskus jährlich auf Steuernachforderungen, die Finanzgerichte lassen das trotz anhaltender Niedrigzinsen und Geldschwemme durchgehen. Dabei ist eine Senkung längst überfällig, meint Christian Beckmann.
Für Sparer sind seit einigen Jahren schwierige Zeiten angebrochen, das Zinsumfeld ist so schlecht wie lange nicht. Wer ein Sparbuch hat, schaut bei Renditen von ca. 0,04 Prozent pro Jahr in die Röhre. Nicht so das Finanzamt: Der Fiskus kassiert jährlich satte 6 Prozent auf Steuernachzahlungen - und bislang schlugen alle Versuche fehl, an dieser Konstante zu rütteln.
Denn der Zinssatz in Höhe von sechs Prozent pro Jahr ist gesetzlich seit 1961 unverändert in § 238 der Abgabenordnung (AO) fixiert. Der Gedanke dahinter ist, dass der Gesetzgeber insbesondere im Steuerverfahren mit Typisierungen arbeiten darf, um die Masse der Fälle überhaupt bearbeiten zu können. Die individuelle Betrachtung des Einzelfalls weicht dadurch einer Pauschalisierung, um den konkreten Zinsvorteil oder -nachteil nicht zeitaufwändig ermitteln zu müssen.
Solche Typisierungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aber nur zulässig, solange sie sich an einem realitätsgerechten Regelfall orientieren und keinen atypischen Fall als Leitbild wählen (BVerfG, Urt. v. 9. 12. 2008, Az. 2 BvL 1/07 u.a.). Im Rahmen einer Klage vor dem Finanzgericht (FG) in Münster hat ein Ehepaar nun erstmals für den Zinszeitraum 2016 geltend gemacht, dass der feste Zinssatz von sechs Prozent angesichts andauernder Niedrigzinsen am Kapitalmarkt realitätsfern und damit verfassungswidrig sei. Unterstützt wurden Sie dabei vom Bund der Steuerzahler.
Finanzgericht: Zinsen bleiben bei sechs Prozent
Das FG Münster wies die Klage ab (Urt. v. 17.8.2017, Az. 10 K 2472/16 E). Die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen seien in Deutschland zur Vereinfachung der Steuerverwaltung zu recht konstant bei jährlich sechs Prozent festgesetzt. Außerdem lägen nicht nur die Nachforderungszinsen bei sechs Prozent, sondern auch Steuererstattungen würden zugunsten der Steuerpflichtigen so verzinst. Die schriftlichen Urteilsgründe werden in den nächsten Wochen erwartet.
Damit liegt das FG Münster ganz auf der Linie der übrigen Entscheidungen zu diesem Thema und auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH). Dieser hatte im Jahr 2016 für Zinszeiträume bis 2013 entschieden, dass eine Anpassung des Zinssatzes nicht notwendig sei, weil dieser nicht gänzlich markt- und realitätsfremd sei (Beschl. v. 19.02.2016, Az. X S 38/15).
Der BFH begründete dies vor allem damit, dass als Vergleichsmaßstab nicht nur der Zinssatz für Kapitalanlagen, sondern auch für Kredite beziehungsweise Darlehen einbezogen werden müsse. Denn es sei die individuelle Entscheidung des Steuerzahlers, wie er Nachzahlungszinsen refinanziere beziehungsweise wie er das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Geld verwende.
2/2: Abseits der (Kapitalmarkt-)Realität
Ob diese Einschätzung damals wie heute zutrifft, darf jedoch bezweifelt werden. Das liegt besonders im Sinn und Zweck des § 238 AO begründet, der die zweifelhafte Zinshöhe gesetzlich normiert. Dieser wurde ursprünglich eingeführt, um Steuersündern, die ihre Steuern zu spät zahlen, den Zinsvorteil zu nehmen. Denn das zu spät gezahlte Steuergeld hätten sie in der Zwischenzeit sonst gewinnbringend anlegen können. Durch die anhaltenden Niedrigzinsen gibt es aber schon seit vielen Jahren keine so gewinnträchtige Kapitalanlage mehr, so dass Steuerzahlern nicht länger Liquiditätsvorteile entzogen, sondern Zinsschäden zugefügt werden.
Es ist zudem ein Irrglaube, dass Steuerpflichtige von den hohen Zinsen gleichermaßen belastet wie begünstigt werden. Zwar gilt der fixe Zinssatz auch für Steuererstattungen durch den Fiskus. Erstattungszinsen müssen aber regelmäßig als Kapitalertrag gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Einkommensteuergesetz versteuert werden. Durch diese Steuerbelastung, den Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer mindern sich die sechs Prozent Zinsen bei Steuererstattungen schnell auf nur noch circa 4,3 Prozent.
Außerdem wird man in der Realität kaum Steuerzahler finden, die ihre Steuernachzahlungen auf Kredit finanzieren. Beim Thema Kredit muss sich der Fiskus vielmehr eine ganz andere Frage stellen lassen: Im Zivilrecht liegen gem. § 138 Bürgerliches Gesetzbuch sittenwidrige Wucherzinsen vor, wenn ein Zinssatz für Kredite 100 Prozent des marktüblichen Zinssatzes überschreitet. Im Steuerrecht übersteigen die veranschlagten sechs Prozent Zinsen die marktüblichen Zinsen aber um ein Vielfaches. Wie ist es politisch zu erklären, dass der Gesetzgeber seinen Bürgern Wucher untersagt und ihn gleichzeitig selbst gesetzlich anordnet?
Diese Fragen hatten zuletzt auch die Politik umgetrieben und sogar den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages zu einer Ausarbeitung gebracht. Dass allerdings ein baldiges politisches Einlenken ohne ausdrückliche Intervention der Rechtsprechung stattfinden wird, darf angesichts des Volumens der Steuernachzahlungen bezweifelt werden: Allein im Jahr 2013 wurden nach Auskunft der Bundesregierung so über 1,3 Milliarden Euro eingenommen.
Steuererstattungen als Kapitalanlage
Der Bund der Steuerzahler hat vor diesem Hintergrund bereits angekündigt, zusammen mit dem betroffenen Ehepaar gegen das Urteil des FG Münster voraussichtlich Revision beim BFH einlegen zu wollen. Dort muss auch noch über zwei weitere Revisionen ältere Zinszeiträume betreffend entschieden werden. Allen Revisionsklägern ist Erfolg zu wünschen, denn ein Zinssatz in Höhe von sechs Prozent erscheint schon seit längerem gänzlich realitätsfremd. Eine weitere Typisierung in dieser Höhe ist damit unzulässig.
Immerhin hat auch der BFH bereits durchblicken lassen, dass sich seiner Auffassung nach das Zinsniveau nach dem Jahr 2011 dauerhaft auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert hat (BFH, Urt. v. 1.7.2014, Az. IX R 31/13). Es besteht also noch Hoffnung auf eine Anpassung des Zinssatzes.
Bis dahin bleiben den Steuerpflichtigen nur zwei Lehren zu ziehen: Erstens sollten ergangene Steuerbescheide unter Verweis auf die bestehenden Revisionen beim BFH durch Einsprüche offengehalten werden. Zweitens sollten sie zusätzlich Nachzahlungszinsen durch freiwillige Zahlungen an das Finanzamt vorbeugen. Mit etwas Glück werden so spätere Steuererstattungen mit einem Zinssatz verzinst, der sonst fast nirgends am regulären Anlagemarkt zu erzielen ist.
Rechtsanwalt Dr. Christian Beckmann ist Partner der Anwaltsboutique haas und partner mit Sitz in Bochum, Düsseldorf und Zürich sowie Lehrbeauftragter der Internationalen Hochschule Bad Honnef · Bonn. Die Kanzlei berät schwerpunktmäßig im Steuer-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht.
Dr. Christian Beckmann, Festverzinsung von Steuernachzahlungen: Wucher beim Finanzamt . In: Legal Tribune Online, 11.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24449/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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