Selbstverwaltung der Justiz: Mehr Freiheit für die dritte Gewalt?

von Hans-Uwe Pasker

25.06.2010

Der Deutsche Richterbund macht jetzt ernst mit seinem schon lange ertönenden Ruf nach mehr Freiheit für die Justiz. Mit "Freiheit" ist "Selbstverwaltung", nicht etwa "Unabhängigkeit" gemeint. Hans-Uwe Pasker sieht in der angestrebten Selbstverwaltung keinen Zugewinn für die Erledigung der Kernaufgaben der Justiz.

Am 25. März hat die Bundesvertreterversammlung, das höchste Beschlussgremium des Deutschen Richterbundes, einen Entwurf für ein Landesgesetz zur Selbstverwaltung der Justiz verabschiedet. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, spricht in diesem Zusammenhang davon, die deutsche Justiz verdiene es, auch in ihren Strukturen wettbewerbsfähig zu werden. Andere sehen in der Selbstverwaltung ein Markenzeichen zukunftsfähiger Rechtsstaaten.

Die Forderung erscheint - zumal so allgemein formuliert - verlockend. Trotzdem ist sie diskussionsbedürftig. Und wie so oft steckt der Teufel im Detail.

Die Idee und ihre bisherige Umsetzung

Das Modell sieht in seinen Eckpunkten so aus: Die Gerichte und wohl auch die Staatsanwaltschaften sollen mehr Eigenständigkeit in Haushalts- und Personalangelegenheiten erhalten. Hierzu erhält die örtliche Behörde ein Budget, mit dem sie für jeweils ein Jahr wirtschaften darf beziehungsweise – je nach Sichtweise - muss. Dieser Bedeutungszuwachs für die örtliche Justizbehörde geht einher mit einer "Entmachtung" des jeweiligen Landesjustizministeriums im gleichen Umfang.

Darin wird idealtypisch ein Zugewinn an Demokratie und Stärkung des Prinzips der Gewaltenteilung gesehen.

Das Modell ist in der Hansestadt Hamburg von einem Justizsenator der "Grünen" umgesetzt worden, in Baden-Württemberg macht sich die Landtagsfraktion der "Grünen" dafür stark.

Sachnähe statt Bürokratie?

Die Justiz als basisdemokratisches Modell? Wohl polemisch. Auf die politische Bewertung soll es auch gar nicht ankommen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Diskussion von den Protagonisten der Idee reichlich idealistisch geführt wird.

Natürlich ist es auf den ersten Blick reizvoll, wenn die örtlichen Justizbehörden ihre finanziellen Mittel selbst verwalten und deshalb zum Beispiel auch entscheiden können, welcher Dienst (in Person von Richtern, Rechtspflegern, Servicepersonal, Wachtmeistern) personell verstärkt werden soll.

Insbesondere Haushaltsbefugnisse waren und sind immer auch Instrumente der Macht. Wer hätte nicht gerne, wenn auch uneingestanden, ein bisschen mehr davon? Und warum soll diese vom Ministerium in der oft weit entfernten Landeshauptstadt ausgeübt werden, wenn doch der Amtsgerichtsdirektor die Situation an Ort und Stelle viel besser beurteilen kann?

Die Zeiten, in denen Anforderungen nach neuen Stühlen für den Sitzungssaal beim Justizministerium angemeldet werden müssen in der Hoffnung, dass dieses die Mittel im Justiz- und damit im Landeshaushalt unterbringen kann, wären ein für alle Mal vorbei.

Der Preis der Freiheit

Ein für alle Mal vorbei? Sobald konkretes Nachdenken einsetzt, strömt Wasser in den Wein. Die Dezentralisierung der Macht geht realistischerweise nicht mit einer Zunahme der Haushaltsmittel einher, die der Justiz insgesamt zur Verfügung stehen. Die für das Gesamtbudget entscheidenden Ressortverhandlungen werden letzten Endes weiterhin mit dem Finanzministerium geführt, der Haushaltsgesetzgeber (Parlament) weist dem Justizressort die Mittel zu. Damit ist die Verteilung dieser "gedeckelten" Mittel weiterhin eine Binnenaufgabe der Justiz.

Nach dem Vorschlag des Richterbundes soll ein Justizverwaltungsrat, der sich mehrheitlich aus Landtagsabgeordneten und Richtern bzw. Staatsanwälten zusammensetzt, das Gesamtbudget der Justiz bestimmen und gegenüber dem Finanzministerium und dem Parlament vertreten.

Die damit wohl verbundene Hoffnung, dass ein solches Gremium für die Justiz "mehr herausholen" könnte als das Justizministerium, ist naiv, zumal Parlamentarier in diesem Gremium die Mehrheit haben.

Selbstverwaltung als Verteilung nach Zuteilung

Erst bei dieser Verteilung nach Zuteilung setzt die eigentliche Selbstverwaltung ein. Wer erhält was und wie viel? Das Verteilungsproblem erscheint in Stadtstaaten wie Hamburg oder Bremen noch lösbar.

In Flächenstaaten wie Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg sieht dies schon anders aus. Wenn zum Beispiel in Niedersachsen allein in der ordentlichen Gerichtsbarkeit ca. 100 Gerichte für ihr eigenes Budget streiten, sind – man mag es kaum aussprechen – Verteilungskämpfe unausweichlich. Das Klima der Gerichte untereinander dürfte dadurch leiden. Aus Leidensgenossen werden Konkurrenten.

Das Anforderungsprofil eines Behördenleiters – Richterin oder Richter – wird sich verändern. Ökonomischer Sachverstand und Durchsetzungsstärke dürften an Bedeutung gewinnen. Budgetierung und Mittelkontrolle werden zu höherem Verwaltungsaufwand und Personaleinsatz führen.

Strukturen innerhalb der Hierarchie

Selbst wenn man dies alles in Kauf nehmen wollte, so bliebe der Zugewinn an Freiheit und Selbstverantwortung doch erheblich geringer, als es die erste Euphorie verspricht:

Der Justizverwaltungsrat wäre das erste zusätzliche Gremium, das die Verwaltung verschlankt. Budgetierung lockert zwar das Band der einzelnen Behörde zum Justizministerium, ersetzt dies aber durch die Abhängigkeiten vom Justizverwaltungsrat. Die Strukturen innerhalb der Gerichtshierarchie verändern sich nicht.

Vor allen Dingen die Oberlandesgerichte werden und sollten die Land- und Amtsgerichte ihres Bezirks nicht "von der Leine lassen". Für die jeweilige Behörde bleibt nicht mehr an Freiheit übrig, als das Oberlandesgericht ihr zugesteht. Es werden die Oberlandesgerichte sein, die die Verhandlungen, mit wem auch immer, mitbestimmen und auf einheitliche Verhältnisse in ihrem Bezirk achten. Größere Sprünge als bisher wird die örtliche Behördenleitung kaum machen können.

Faktisch geht es um ein Nullsummenspiel. Ein Zugewinn für die Kernaufgabe der Justiz – die Rechtsprechung – lässt sich jedenfalls nicht erkennen.

Der Autor Hans-Uwe Pasker ist ehemaliger Richter am OLG. Er hat sich insbesondere mit Fragen des Controllings in der Justiz beschäftigt.

Zitiervorschlag

Hans-Uwe Pasker, Selbstverwaltung der Justiz: . In: Legal Tribune Online, 25.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/271 (abgerufen am: 18.11.2024 )

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