OVG zu G20-Protestcamp im Hamburger Stadtpark: Fehler im Kon­zept

von Dr. Eike Michael Frenzel

26.06.2017

Die Stadt Hamburg muss das Protestcamp mit rund 3.000 Zelten zum G20-Gipfel nicht dulden. Der Fehler liegt auch bei den Veranstaltern, die zu wenig Protest und zu viel Infrastruktur bieten wollen, meint Eike Michael Frenzel.

Die Stadt Hamburg muss die Veranstaltung "Antikapitalistisches Camp – Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen" im Stadtpark Hamburg im Zusammenhang mit dem G20-Gipfeltreffen nicht dulden. Das hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) beschlossen (Beschl. v. 22.06.2017, Az. 4 Bs 125/17). Das Camp soll vom 30. Juni bis zum 9. Juli 2017 stattfinden, der Aufbau am 23. Juni beginnen, der Abbau am 11. Juli abgeschlossen sein.

Zuvor hatte das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg im Eilverfahren nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) im Sinne des Antragstellers entschieden. Auf die Beschwerde der Stadt hin stellte das OVG fest, dass der Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht habe.

Aushöhlung der Grundrechte

Der Beschluss ist sichtlich getragen von dem Bemühen, dem Fall in alle Richtungen gerecht zu werden und das Rechtsschutzbegehren des Veranstalters zu bedienen, gerade weil es in der Sache ohne Erfolg bleibt.

Der Senat differenziert hierfür zwischen den Merkmalen des Protestcamps, die für die Versammlungseigenschaft, und denjenigen, die dagegen sprechen. Konsequenterweise stellt der Senat nicht darauf ab, dass das Camp als Rückzugsort für Gewalttäter dienen könnte, dass es der üblichen Nutzung des Parks widerspreche oder dass der Schutz einer solchen Veranstaltung problematisch sei. Dennoch fällt die "wertende Gesamtschau" der einzelnen Elemente und des "Gesamtgepräges" der Veranstaltung zu Ungunsten des Antragstellers aus.

Dazu verweist der Senat darauf, dass das Campieren "wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht mehr von dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz (GG) erfasst" werde. Damit stellt der Senat den Schutzbereich unter einen gesetzlich nicht vorgesehenen Vorbehalt. Dieser Ansicht ist entgegenzuhalten: Der Schutzbereich des Art. 8 GG ist definiert, ohne dass eine solche Schutzbereichsbeschränkung vorgesehen wäre. Gefährdet eine Versammlung die öffentliche Sicherheit, wird sie vom Schutzbereich weiterhin erfasst. Sie kann aber Auflagen unterworfen oder verboten werden; dafür reicht eine bloße Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht.

Grundrechte sind keine Verhandlungsmasse

Zudem nehmen die Richter eine eigene Deutungshoheit für das Grundrecht in Anspruch, wenn sie sagen, "der Versammlungsbegriff bzw. dessen Schutzbereich" sei nicht weiter auszudehnen, "als dies zur Schutzgewährung nach Art. 8 GG erforderlich ist". Dies geht zu Lasten der Unverfügbarkeit von Grundrechtspositionen. Grundrechtsschutz muss wirksam und daher phasenorientiert sein: Es reicht nicht, ein Recht zu haben, man muss seine Inanspruchnahme auch vorbereiten und es durchsetzen können. Spezifisches Vor- und Nachverhalten wird geschützt. Bei der Versammlung gehören dazu insbesondere die Anreise zur Versammlung und das Entfernen nach deren Ende. Was für ein Grundrecht erforderlich ist, kann nicht zirkulär begründet werden – insofern  macht sich der Senat die Argumentation zu leicht.

Die Begutachtung der einzelnen Programmangebote im Camp, die teilweise für den Charakter einer Versammlung sprechen und dennoch vom Senat nicht als Indizien für die Versammlung anerkannt werden, ist kleinlich. Der Senat verkennt, dass auch "idealtypische" Versammlungen von Motivbündeln der Veranstalter und Teilnehmer getragen werden können. Es ist gerade Stärke des Rechtsstaats, auch mit atypischen Konstellationen und Schwierigkeiten umgehen zu können.

Zitiervorschlag

OVG zu G20-Protestcamp im Hamburger Stadtpark: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23286 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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