Die Ampel-Koalition ist Geschichte. Kanzler Olaf Scholz hat Finanzminister Christian Lindner entlassen und wirft ihm Verantwortungslosigkeit vor. Lindner sieht einen “kalkulierten Bruch der Koalition”. Es soll zu Neuwahlen im März kommen.
Die zerstrittene Ampel ist am Ende. Nach einem dramatischen Treffen der Koalitionsspitzen entlässt Kanzler Olaf Scholz (SPD) Finanzminister Christian Lindner (FDP). Hintergrund ist ein erbitterter Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Im März soll es nun zu vorgezogenen Neuwahlen kommen.
Erreichen will Scholz dies durch die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 des Grundgesetzes. Der Bundeskanzler kann hiernach beim Deutschen Bundestag beantragen, ihm das Vertrauen auszusprechen – in der Erwartung, dass das Parlament dies gerade nicht tut, er also keine Mehrheit bekommt. Der Kanzler kann dies – muss es allerdings nicht – mit einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben verknüpfen, also aktuell etwa mit dem Tariftreuegesetz, das die FDP ablehnt. Erhält der Kanzler keine Mehrheit, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dieser kann dann gemäß Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Die Entscheidung liegt im Ermessen des Bundespräsidenten. Löst er den Bundestag auf, müssen nach Art. 39 GG innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden. Weitere rechtliche Möglichkeiten nach dem Koalitionsbruch hat LTO hier zusammengestellt.
Die Vertrauensfrage will Scholz am 15. Januar im Bundestag stellen. Neuwahlen sollen dann spätestens bis Ende März stattfinden
Scholz: Lindner handelt verantwortungslos
Scholz rechnete am Abend in fast beispielloser Art mit Lindner ab. Es gebe keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit. Er habe Angebote für ein Paket gemacht, um den Standort zu stärken und den Haushalt 2025 zu beschließen. Lindner habe die Vorschläge abgelehnt. Dem FDP-Politiker gehe es um die eigene Klientel und um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Er könne das Verhalten Lindners “dem Land nicht mehr zumuten”.
Die Unternehmen im Land bräuchten Unterstützung, sagte er mit Blick auf die schwache Konjunktur und hohe Energiepreise. Er verwies zudem auf die internationale Lage mit den Kriegen in Nahost und der Ukraine. “Wer sich in einer solchen Lage, einer Lösung, einem Kompromissangebot verweigert, der handelt verantwortungslos. Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.”
Scholz wollte mit Blick auch auf die Folgen des Ukraine-Kriegs ein Aussetzen der Schuldenbremse. Das lehnte die FDP ab. Scholz warf Lindner vor, in der gemeinsamen Regierungszeit Kompromisse durch öffentlich inszenierten Streit übertönt und Gesetze sachfremd blockiert zu haben. “Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.” Es gebe keine Vertrauensbasis für die weitere Zusammenarbeit. "So ist ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich."
Scholz warnte davor, im Haushaltsstreit weitere Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine gegen soziale Themen auszuspielen. “Ich bin nicht bereit, unsere Unterstützung für die Ukraine und Investitionen in unsere Verteidigung zulasten des sozialen Zusammenhalts zu finanzieren - zulasten von Rente, Gesundheit oder Pflege”, sagte der SPD-Politiker. “Beides muss sein: Sicherheit und Zusammenhalt”, ergänzte Scholz. Deshalb werde er die Bürger “auch nicht vor die Wahl stellen: Entweder wir investieren genug in unsere Sicherheit, oder wir investieren in gute Arbeitsplätze, in eine moderne Wirtschaft und eine funktionierende Infrastruktur”, kündigte der Kanzler an und sagte: "Dieses "Entweder oder" ist Gift." Scholz warnte: “Diesen Gegensatz aufzumachen, ist falsch und gefährlich. Das ist Wasser auf die Mühlen der Feinde unserer Demokratie.”
Lindner: “Kalkulierter Bruch”
Der entlassene Finanzminister Christian Lindner waf Scholz vor, den Bruch der Ampel-Koalition gezielt herbeigeführt zu haben. “Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition”, sagte der FDP-Vorsitzende in Berlin. Damit führe Scholz Deutschland in eine Phase der Unsicherheit.
Lindner warf SPD und Grünen vor, seine Vorschläge für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert zu haben. Scholz habe lange die Notwendigkeit verkannt, dass Deutschland einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötige. “Er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost”, sagte Lindner. "Seine Gegenvorschläge sind matt, unambitioniert und leisten keinen Beitrag, um die grundlegende Wachstumsschwäche unseres Landes zu überwinden, damit wir unseren Wohlstand, unsere soziale Sicherung und unsere ökologische Verantwortung erhalten können."
Scholz habe ultimativ von ihm verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen, sagte Lindner. “Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte. Deshalb hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Koalitionsausschusses am heutigen Abend die Zusammenarbeit mit mir und der FDP aufgekündigt.”
Habeck: “Ampel-Aus war unnötig”
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat den Bruch der Ampel-Koalition bedauert. Die Koalition habe nicht den besten Ruf gehabt. Man habe sich häufig gestritten. “Dennoch will ich für uns sagen, dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt, geradezu tragisch an einem Tag wie diesem, wo Deutschland in Europa Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen muss”, sagte Habeck nach dem Koalitionsausschuss vor dem Kanzleramt in Berlin.
Obwohl Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch lagen, habe man die Haushaltslücke nicht schließen können. “Die FDP war nicht bereit, diese Wege zu gehen”, sagte Habeck. Die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sei letztlich so folgerichtig wie unnötig gewesen. Es sei nicht nötig gewesen, dass der Abend so ende. Deutschland habe eine Rolle in Europa zu spielen.
Man werde jetzt zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen freimachen. Im Frühjahr werde Deutschland eine neue Entscheidung zu treffen haben. "Bis dahin sind wir im Amt. Und wir sind fest entschlossen, die Pflichten des Amtes vollumfänglich zu erfüllen", sagte Habeck. “Ab morgen geht die Arbeit weiter.”
Wie geht es weiter?
Scholz will wichtige Gesetze, die keinen Aufschub duldeten, noch bis Jahresende zur Abstimmung im Bundestag stelle. Er nannte etwa den Abbau der sogenannten kalten Progression, damit die Bürger mehr Netto vom Brutto hätten, die Stabilisierung der Rente sowie Sofortmaßnahmen für die Industrie. Er werde das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz suchen.
Die große Frage ist nun, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Ampel-Mehrheit mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Union von CDU und CSU nun für eine Mehrheit sorgt. Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Was sind die Gründe für das Aus?
Lindner schlug in einem Papier zu einer “Wirtschaftswende” eine zum Teil völlige Neuausrichtung der Wirtschafts- und Klimapolitik vor. In dem Papier wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik. Nationale Klimaziele sollten durch europäische ersetzt werden. Das stieß auf zum Teil erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen.
Scholz sagte, Lindner habe ultimativ und öffentlich eine grundlegend andere Politik gefordert - eine milliardenschwere Steuersenkung für wenige Spitzenverdiener und zugleich Rentenkürzungen für alle Rentnerinnen und Rentner. “Das ist nicht anständig”, sagte der Kanzler.
Umstritten war ebenso, wie Milliardenlücken im Haushalt 2025 geschlossen werden sollen. Scholz schlug mit Blick auch auf die Folgen des Ukraine-Kriegs eine Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse vor. Die FDP lehnte das ab.
Warum gab es immer wieder Streit?
Wiederholt hatte es scharfe und in der Öffentlichkeit ausgetragene Streitigkeiten des 2021 als “Fortschrittskoalition” angetretenen Regierungsbündnisses gegeben. Beispiele: das lange Ringen um das Heizungsgesetz, die Kindergrundsicherung, die Migrationspolitik, das Rentenpaket und der Haushalt. Dabei hat die Ampel durchaus Erfolge vorzuweisen. So wurde die tiefe Energiepreiskrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine überwunden, die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro unterstützt, der Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne nahm spürbar Fahrt auf.
Doch zunehmend traten Spannungen auf, erst recht seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts vor rund einem Jahr, das die Regierung in arge Geldnot brachte. Vor allem in der Wirtschaftspolitik prallten angesichts der Konjunkturflaute die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen der Ampel-Partner voll aufeinander. SPD und Grüne wollten für mehr Investitionen eine Reform der Schuldenbremse, das lehnte die FDP ab.
Was bedeutet das Ampel-Aus für Deutschlands Rolle in der Welt?
Der Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen bedeutet enorme Herausforderungen für Deutschland und Europa - zum Beispiel in Fragen der Sicherheitspolitik, der Handelspolitik und der Klimapolitik. Dramatisch könnte es bei der westlichen Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg werden. Gerade in dieser wichtigen Phase fällt Deutschland als "Stabilitätsanker" aus. Auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Krisen hatte Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gewarnt: “Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert.”
Der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb auf der Plattform X vom vielleicht schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik. “Zur inneren Strukturkrise kommen nun massive außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind.” Deutschland müsse kurzfristig massiv in europäische Verteidigungskapazitäten investieren und mit Frankreich und anderen willigen Partnern vorangehen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat bereits mehr Geld für die Bundeswehr gefordert und verweist auf die schnelle Aufrüstung Russlands unter Wladimir Putin. “Die russische Industrie produziert in drei Monaten mehr Waffen und Munition als die gesamte Europäische Union in einem Jahr. Und wir müssen damit rechnen, dass Putin willens und bereit ist, seine Streitkräfte auch zu nutzen”, sagte Pistorius der dpa.
dpa/fz-LTO-Redaktion
Scholz entlässt Finanzminister Lindner: . In: Legal Tribune Online, 06.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55806 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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