"Nudging": Der sanfte staat­liche Schubs in die "rich­tige" Rich­tung

von Nico Kuhlmann

20.01.2015

2/2: Nudge-Units auch in Deutschland

Zuerst haben die Regierungen der USA und Großbritanniens die neue Lenkungsmethode aufgegriffen und sogenannte "Nudge-Units" gegründet. Darunter versteht man eine Organisation, welche die neuesten Erkenntnisse aus Verhaltensökonomie und Psychologie für das Regierungshandeln nutzbar macht.

In London entstand für Premier David Cameron in 10 Downing Street das "British Behavioural Insights Team". Ökonom Thaler, der die Bewegung mit seinem Buch erst ins Rollen brachte, half ihm dabei. Koautor Sunstein wurde in Washington, D.C. von Präsident Barack Obama mit der Führung des "Office of Information and Regulatory Affairs" im Weißen Haus beauftragt.

Auch Berlin trifft schon Vorbereitungen, um eine deutsche Nudge-Unit zu etablieren. Angela Merkel überlegt schon, wie sie die verhaltensökonomischen Erkenntnisse systematisch verwenden kann. Kanzleramtschef Peter Altmaier hat sich bereits mit Sunstein getroffen und auch der Chef der britischen Nudge-Unit hat schon im Kanzleramt von seinen Erfahrungen auf der Insel berichtet. Im Stab "Politische Planung" entsteht nun die Projektgruppe "Wirksam regieren", die neue Lösungsansätze auf der Grundlage der Forschungsergebnisse der amerikanischen Wissenschaftler erarbeiten soll. Schließlich haben einige Bundesministerien bereits Interesse an dem Thema signalisiert.

Manipulation und Entmündigung?

Diese neueren Entwicklungen haben die deutschen Rechtswissenschaftler bisher noch nicht besonders intensiv beschäftigt. Es ist auch schwierig, das Nudging umfassend rechtlich zu beurteilen, dazu sind die Gestaltungsmöglichkeiten zu vielfältig. Erste Ansätze wurden im Rahmen eines vom Verfassungsblog veranstalteten Online-Symposiums und einer anschließenden Tagung an der Humboldt Universität in Berlin diskutiert.

Die Vorteile des sanften Regierungshandelns liegen auf der Hand. Bürgern bleibt ihre Entscheidungsfreiheit grundsätzlich erhalten, da es keine Verbote gibt. Darüber hinaus verursacht der Ansatz keine hohen Kosten und schont den Steuerzahler nicht zuletzt, weil Durchsetzungsmechanismen entbehrlich werden. Als Rechtswissenschaftler könnte man auf den ersten Blick meinen, dass die Politik das ultimative "mildeste Mittel" gefunden hat, um die allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verhältnismäßig einzuschränken. Vorausgesetzt das Vorgehen dient einem zulässigen Zweck und ist zu seiner Erreichung geeignet.

Was der Bürger nicht weiß…

Die Kritiker des Nudging werfen der Regierung Manipulation und Entmündigung der Bürger vor. Aus rechtlicher Sicht ist insbesondere der Kritikpunkt der mangelnden Transparenz hervorzuheben. Während ein Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit, dem auch noch eine Rechtsmittelbelehrung angefügt ist, offensichtlich eine staatliche Maßnahme ist, erkennen die Adressaten einen Nudge möglicherweise gar nicht als einen solchen.

Wer nicht weiß, dass überhaupt eine staatliche Maßnahme vorliegt und wer sie angeordnet hat, wird sich auch nicht dagegen wehren. Jedem Anstupser müsste also ein entsprechender Hinweis beigefügt sein oder die Staatlichkeit der Maßnahme in anderer Weise offengelegt werden. Die "Lass-dir-Zeit"-Autobahnschilder nennen bereits das Bundesverkehrsministerium als Verantwortlichen.

Außerdem könnte man daran zweifeln, dass die vorhandenen Prüfungsmaßstäbe, die das geltende Recht bereits entwickelt hat, tauglich sind, um den strategischen und massenhaften Einsatz von Nudging zu kontrollieren. Gegen den zumindest berechenbaren Eingriffsstaat, der mit Befehlen und Verboten agiert, haben sich im Laufe der Entwicklung des demokratischen Rechtsstaats viele Abwehrrechte entwickelt, um die Freiheit der Bürger zu sichern. Ob der Anwendungsbereich dieser Rechte im Zeitalter des Beeinflussungsstaates ausreichen wird, ist noch nicht geklärt.

Zu untersuchen ist beispielsweise die Frage, ob es ein Recht gibt oder geben sollte, in Bezug auf bestimmte Sachverhalte in Ruhe gelassen zu werden. Nicht jeder beschäftigt sich gerne mit dem eigenen Tod und der Frage, ob er nach seinem Ableben seine Organe spenden möchte. Ist dieses Interesse rechtlich schutzwürdig?

Nudging ist kein Allheilmittel. Mord wird auch weiterhin strafrechtlich verboten bleiben. Beim Verbraucherschutz, in der Gesundheits- und Energiepolitik sowie im Steuerrecht hingegen haben andere Staaten bereits positive Effekte erzielt. Für solche Rechtsgebiete können die neuen verhaltensökonomischen Erkenntnisse über die Effekte weicher Lenkungsmethoden die Möglichkeiten staatlichen Handelns durchaus bereichern. Das Nudging wird demnach in Zukunft ein weiterer Pfeil im Köcher des Gesetzgebers sein. Jetzt ist es an der Rechtswissenschaft diese Entwicklung zu begleiten und sicherzustellen, dass Waffengleichheit herrscht.

Leseempfehlung:
•    Richard H. Thaler & Cass R. Sunstein: Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth and Happiness. New Haven & London: Yale University Press, 2008. X, 293 S. ISBN: 978-0-300-12223-7.
•    Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow. New York: Farrar Straus & Giroux, 2011. 499 S. ISBN: 978-0-37427563-1.

Der Autor Dipl.-Jur. Univ. Nico Kuhlmann, Wirtschaftsjurist (Univ.) ist Doktorand an der Universität Bayreuth und hat Forschungsaufenthalte in London und Washington, D.C. absolviert.

Zitiervorschlag

Nico Kuhlmann, "Nudging": . In: Legal Tribune Online, 20.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14423 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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