4/9: Warum hat Generalbundesanwalt Range ausgerechnet ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrat eröffnet?
Das war - selbst wenn man von einem Staatsgeheimnis ausgeht - nicht naheliegend und wohl ein handwerklicher Fehler. Denn von den Staatsschutzdelikten der §§ 93 ff StGB kam der Landesverrat (§ 94) am wenigsten in Betracht. Schließlich wurde hier auf der subjektiven Tatseite der Wille verlangt, "die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen". Von dieser Intention kann bei Journalisten, die über vermeintliche Misstände berichten, in der Regel nicht ausgegangen werden.
Eher in Betracht kamen die verwandten Delikte "Offenbaren von Staatsgeheimnissen" (§ 95 StGB) und "Preisgabe von Staatsgeheimnissen (§ 97 StGB), die keine Schädigungsabsicht verlangen, sondern das vorsätzliche oder fahrlässige Veröffentlichen von Staatsgeheimnissen genügen lassen. Das "Offenbaren von Staatsgeheimnissen" gilt in der Kommentarliteratur sogar ausdrücklich als vorrang zu prüfender Tatbestand, wenn es um mutmaßliche Taten von Journalisten geht. Diese Delikte hatte Range zwar auch im Blick, in offiziellen Dokumenten stand jedoch der Landesverrat vorneweg.
Damit hatte sich Range auch politisch unnötig in Not gebracht. Denn der Begriff "Landesverrat" ist untrennbar mit dem Verfahren der Bundesanwaltschaft gegen den Spiegel im Jahr 1962 verbunden. Die öffentliche Empörung wäre lange nicht so groß gewesen, wenn er diesmal wegen "Offenbarens von Staatsgeheimnissen" ermittelt hätte. Der Öffentlichkeit wäre der Unterschied zur weit verbreiteten "Verletzung von Dienstgeheimnissen" wohl kaum aufgefallen.
Christian Rath, Rekonstruktion der Netzpolitik-Affäre: . In: Legal Tribune Online, 22.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16968 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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