Trotz aller Appelle bleiben die großen AKW-Betreiber wegen befürchteter hoher Verluste und Kosten bei der Ankündigung rechtlicher Schritte gegen den Atomausstieg. Ein wohl aussichtsloser Plan, denn angesichts der potentiellen Gefährdungen von und durch Kraftwerke konnte der Gesetzgeber gar nicht anders, als den Eigentumsschutz neu zu definieren. Von Joachim Wieland.
Der Verzicht auf die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke und der gestufte Ausstieg bis 2022 treffen die Betreiber hart. Statt der erhofften Milliardengewinne aus dem Weiterbetrieb ihrer Kraftwerke sehen sie Stilllegungskosten entgegen. Trotzdem wären Entschädigungsforderungen rechtlich nicht begründet.
Wird eine Genehmigung zum Betrieb einer Atomanlage widerrufen, so ist schon nach geltendem Atomrecht eine Entschädigungspflicht ausdrücklich ausgeschlossen, wenn der Widerruf wegen einer nachträglich eingetretenen, in der genehmigten Anlage begründeten erheblichen Gefährdung der Beschäftigen, Dritter oder der Allgemeinheit ausgesprochen werden musste, § 18 Abs. 2 Nr. 3 Atomgesetz (AtG).
Da die Reaktorsicherheitskommission vor wenigen Wochen amtlich festgestellt hat, dass kein deutsches Kernkraftwerk gegen den Absturz eines schweren Passagierflugzeuges geschützt ist, liegt eine erhebliche Gefährdung vor. Dementsprechend steht die Pflicht zum Widerruf der Betriebsgenehmigungen im Raum. Diese muss gemäß § 17 Abs. 5 AtG dann erfolgen, wenn dies wegen einer erheblichen Gefährdung der Beschäftigten, Dritter oder der Allgemeinheit erforderlich ist und nicht durch nachträgliche Auflagen in angemessener Zeit Abhilfe geschaffen werden kann.
BVerfG: Staat übernimmt durch Genehmigung Mitverantwortung
Die gesetzliche Regelung zeigt, dass kein Bestandsschutz für atomrechtliche Genehmigungen besteht, wenn erhebliche Gefährdungen drohen. Auch eine Entschädigungspflicht scheidet aus, weil die Gefährdung nachträglich eingetreten ist: Als die neueren deutschen Atomkraftwerke genehmigt wurden, war die Möglichkeit des Absturzes eines schweren Flugzeugs noch nicht gegeben.
Die Gesetzeslage entspricht auch dem gebotenen Grundrechtsschutz. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat schon 1979 entschieden, dass angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen müsse, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers aus dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit konkret auszulösen.
Die Karlsruher Richter betonten damals, dass der Staat eine eigene Mitverantwortung für diese Gefahren übernimmt, wenn er ein Kernkraftwerk trotz des in ihm verkörperten außerordentlichen Gefährdungspotentials im Allgemeininteresse an der Energieversorgung genehmigt und dadurch die körperliche Integrität Dritter Gefährdungen aussetzt, die sie nicht beeinflussen und denen sie kaum ausweichen können. Deshalb gelten für die Genehmigungen von Kernkraftwerken die gleichen Maßstäbe wie für staatliche Eingriffe in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Dementsprechend stellte das BVerfG unmissverständlich fest: "Inhaltlich sind also die Genehmigungsvoraussetzungen so gefasst, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht eine Genehmigung dann zu versagen ist, wenn die Anlage zu Schäden führen kann, die sich als Grundrechtsverletzung darstellen; auch im Hinblick auf ein verbleibendes Restrisiko in Gestalt einer künftigen Grundrechtsgefährdung lässt das Gesetz eine Genehmigung nur dann zu, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen ist, dass solche Schadensereignisse eintreten".
Nach den Feststellungen der Reaktor-Sicherheitskommission ist ein Schaden durch den Absturz eines schweren Flugzeugs auf ein Kernkraftwerk nicht etwa praktisch ausgeschlossen, sondern ein reales Risiko.
Investitionen der Betreiber durch Gewinne mehr als ausgeglichen
Der Gesetzgeber musste diesen dynamischen Grundrechtsschutz verwirklichen. Er legt durch die geplante Atomrechtsnovelle Inhalt und Grenzen des Eigentumsschutzes in verhältnismäßiger Weise neu fest. Das mit dem Atomausstieg verfolgte Ziel des Schutzes von Leben und Gesundheit ist ihm von Verfassungs wegen vorgegeben. Die Aufhebung der Betriebsgenehmigungen der Kernkraftwerke ist offensichtlich geeignet, den Grundrechtsschutz zu gewährleisten. Ein milderes Mittel ist weder ersichtlich noch wird es von den Betreibern geltend gemacht.
Schließlich ist der Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie den Unternehmen auch zumutbar, weil er inhaltlich im Wesentlichen der großzügig berechneten Übergangsregelung entspricht, der sie 2002 ausdrücklich zugestimmt haben. Zudem sind die Investitionen in die deutschen Kernkraftwerke für alle Unternehmen durch die erzielten Gewinne mehr als ausgeglichen.
Unabhängig davon geht der Gesundheitsschutz von Verfassungs wegen dem Investitionsschutz uneingeschränkt vor. Die Laufzeitverlängerung konnte die Rechtsposition der Betreiber nicht stärken, weil wegen der Verfahren vor dem BVerfG um die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit der Laufzeitverlängerung kein Vertrauensschutz entstehen konnte.
Die Energieversorgungsunternehmen sind also gut beraten, wenn sie auf Entschädigungsforderungen verzichten und darauf hoffen, dass der Gesetzgeber trotz der nunmehr amtlich festgestellten Gefahren die Laufzeit aus Gründen des dynamischen Grundrechtsschutzes nicht noch weiter verkürzt.
Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und hat dem Bundesumweltminister im Mai und Juni 2010 zwei Rechtsgutachten zur Zustimmungsbedürftigkeit eines Gesetzes über die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken erstattet.
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Klagen gegen Energiewende: . In: Legal Tribune Online, 14.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3503 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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