Katastrophen auf See: Maritimes Not­fall­ma­na­ge­ment rettet Leben

Dr. Dr. Frank Ebert

12.10.2010

Die Havarie der "Lisco Gloria" in der Ostsee hat es gezeigt: Von der lichterloh brennenden Fähre, die von Kiel nach Klaipeda in Litauen unterwegs war, konnten alle Passagiere und Besatzungsmitglieder gerettet werden. Dr. Dr. Frank Ebert über maritimes Notfallmanagement und seine Voraussetzungen.

010 ist die bis dahin schier unvorstellbare Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" Wirklichkeit geworden. Auch der betrunkene Kapitän, der 1989 die "Exxon Valdez" in Alaska auf Grund setzte und damit eine verheerende Ölpest auslöste, ist noch im kollektiven Gedächtnis.

Am Dienstagmorgen schlug ein zypriotischer Tanker vor der niederländischen Küste leck, in der Nacht von Freitag auf Samstag geriet die Fähre "Lisco Gloria" in Brand. Die Unfallursache ist noch unklar, Passagiere und Besatzung konnten aber gerettet werden. Dabei verdanken die Überlebenden ihre präzise Rettung nicht etwa nur einer glücklichen Fügung. Behörden und Organisationen haben bei der Rettungsaktion optimal zusammengewirkt. Die Sicherheit genießt auf Hoher See höchste Priorität.

Auf den Weltmeeren lauern vielerlei Gefahren. Sie drohen der Seefahrt und den Schiffsbesatzungen, der Umwelt und der Nahrungswirtschaft. Die internationale Bedeutung der Schifffahrt entspricht der des Flugverkehrs, wenn dieser auch primär personenorientiert ist, während auf Schiffen hauptsächlich Waren transportiert werden. Nicht zuletzt angesichts der Naturgewalten, denen Flugzeuge und Schiffe ausgesetzt sind, ist die Bedrohungslage für beide Transportmittel durchaus vergleichbar.

Nicht nur in Gottes Hand: Vorschriften, Behörden, Organisationen

Neben völkerrechtlichen Grundlagen sorgen zahlreiche europäische und nationale Normen für Sicherheit auf See. Die Flut einschlägiger Vorschriften ist schwer zu durchschauen. Vielerlei Behörden und andere Organisationen kümmern sich um den Schutz des maritimen Lebens und im Ernstfall um die Rettung von Menschenleben.

Trotz aller organisatorischen Zersplitterung hat sich die Zusammenarbeit bewährt, wie das Unglück vom vergangenen Wochenende zeigte.

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ), dem die meisten Staaten beigetreten sind – die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994 -, enthält die völkerrechtlich bedeutsamsten Regelungen für den internationalen Seeverkehr.

Zahlreiche weitere Völkerrechtsabkommen ergänzen das SRÜ. Über Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem internationalen Seerecht entscheidet der Internationale Seegerichtshof, eine UN-Einrichtung mit Sitz in Hamburg.

Von Seegebieten und der Freiheit der Meere

Das Küstenmeer ist Bestandteil des Staatsgebiets. Das deutsche Hoheitsgebiet reicht zunächst 12 Nautische Meilen (22,3 km) in Nord- und Ostsee hinein (Art. 3 SRÜ). In einer Anschlusszone, die weitere 12 Seemeilen beträgt, dürfen bestimmte Kontrollrechte ausgeübt werden.

Bevor die Hohe See beginnt, erfasst eine Außenwirtschaftszone von insgesamt 200 Seemeilen Meer und Meeresboden seewärts des Küstenmeeres. Diese Zone gehört nicht mehr zu Deutschland, sie zählt aber zur Zuständigkeit der EU.

Die Hohe See hingegen untersteht keiner Gebietshoheit ("Freiheit der Meere"). Die Hoheitsgewalt in diesem Bereich richtet sich nach dem Staat, dessen Flagge ein Schiff dort führt.

Freund und Helfer auch auf See: Die Schifffahrtspolizei

Per konkurrierender Gesetzgebung ist der Bund für Angelegenheiten des Wasserverkehrsrechts zuständig (Art. 74 Abs. 1 Nr. 21 GG). Das Wasserverkehrsrecht umfasst auch die Aufgaben der Schifffahrtspolizei. Laut Seeaufgabengesetz und Seefischereigesetz bestehen diese in der Überwachung und Unterstützung der Fischerei, der Verhinderung von Umweltschäden und der Abwehr von Gefahren aller Art, wie sie der Polizei auch generell obliegt.

Die Schifffahrtspolizei ist diversen Behörden unterstellt. So ist sie eine Angelegenheit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie, der Bundespolizei, der Zollverwaltung und der See-Berufsgenossenschaft. Die einzelnen Aufgaben und Zuständigkeiten lassen sich kaum trennen.

Außerhalb des deutschen Küstenmeeres sind für die Verfolgung sämtlicher Straftaten auf Schiffen, die berechtigterweise die Bundesflagge führen, Bundespolizei und Zoll zuständig. Ihre Kompetenz erstreckt sich auch auf andere Schiffe, wenn es zum Beispiel um Seeräuberei, Sklavenhandel, Alkohol- und Drogenschmuggel oder die Verschmutzung des Meeres geht. Nr. 247 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) zählt eine Reihe weiterer einschlägiger Vorschriften außerhalb der Strafprozessordnung auf.

"Die" Küstenwache gibt es eigentlich nicht

Die Schiffe und Boote, die am Rumpf neben den Bundesfarben den Schriftzug "Küstenwache" tragen, gehören keineswegs einer eigenständigen Organisation an.

Eine Behörde im herkömmlichen Sinn ist die Küstenwache nicht. Vielmehr arbeiten von Wasser- und Schifffahrtsverwaltung über Bundespolizei und Zoll bis hin zum Fischereischutz diverse Behörden bei der Erfüllung ihrer unterschiedlichen Aufgaben in den Gewässern von Nord- und Ostsee eng zusammen.

Die Einsätze, die im Rahmen dieser koordinierten Zusammenarbeit im Seegebiet stattfinden, steuert ein Maritimes Sicherheitszentrum von Cuxhaven aus.

Schiffe sind auch nur Verkehrsmittel – bald "Punkte" für Kapitäne?

Neben den vielen speziell seerechtlichen Herausforderungen gibt es auch im Schiffsverkehr ganz normale verkehrsrechtliche Konstellationen: So müssen Kapitäne und Steuerleute, wenn ab 2012 auf Hoher See die 0,5-Promillegrenze gilt, auf Alkoholkontrollen gefasst sein – nicht anders als Kraftfahrer im Straßenverkehr.

Die EU-Kommission denkt unterdessen über die Einführung einer Fischereisünderkartei nach, die nach Flensburger Vorbild Verstöße gegen Fischereibestimmungen registriert.

Zu differenzieren ist übrigens auch bei der Zuständigkeit für schifffahrtspolizeiliche Vollzugsaufgaben: Auf den Binnengewässern (Flüssen und Seen) bleibt es bei der Kompetenz der deutschen Länder und ihrer Wasserschutzpolizeien.

Das Havariekommando bei Unfällen auf See

Die Aufklärung von Seeunfällen erfordert besondere nautische und technische Kenntnisse. Den Tod, die schwere Verletzung oder das Verschwinden von Menschen in Verbindung mit der Seefahrt, mit Schiffbruch oder einem Schiffsuntergang und allerlei andere ernste Gefahren für Menschen oder Schiffe untersucht die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung mit den Seeämtern in Rostock, Kiel, Hamburg, Bremerhaven und Emden.

Noch vor diesen Untersuchungen steht aber die Notwendigkeit, akut eingetretene und meist komplexe Schadenslagen auf See zu bewältigen, also den Eintritt weiterer Schäden zu verhindern. Der Bund und die Küstenländer haben in Cuxhaven ein Havariekommando (HK) aufgestellt, das seit 2003 für das Notfallmanagement in solchen Fällen zuständig ist.

Das HK sorgt beispielsweise dafür, dass Schadstoffe wie etwa ausgelaufenes Öl schnell und wirksam bekämpft werden. Hierfür werden in absehbarer Zeit seegangsunabhängige Ölskimmer eingesetzt werden können. Das HK kümmerte sich auch darum, das am Wochenende auf der "Lisco Gloria" ausgebrochene Feuer zu löschen und den Schiffsrumpf des Havaristen abzukühlen, damit Spezialisten an Bord gehen und Ermittlungen betreiben, das heißt die Untersuchungen nach der Ursache überhaupt erst beginnen konnten.

Last but not least: Der Umweltschutz

Bei all ihrer Größe: Die Weltmeere sind keine unerschöpflichen Reservoirs.

Meeresverschmutzungen und ihre Vermeidung bilden den Gegenstand völkerrechtlicher Abkommen wie zum Beispiel des Oslo-Übereinkommens von 1972 oder des MARPOL-Abkommens von 1973. Mit ihnen sollen Verschmutzungen durch Öl und andere schädliche Stoffe, Schiffsabwässer und Schiffsmüll verhindert werden.

Neben der Bundespolizei, die für die Verfolgung von Verstößen gegen Umweltschutzvorschriften auf Hoher See zuständig ist, überwacht das Marinefliegergeschwader 3 in Nordholz den Luftraum über der Nord- und Ostsee, um Verursacher zu ermitteln, Beweise zu sichern, Schadstoffe zu klassifizieren und Bekämpfungsmaßnahmen einzuleiten.

Zivile Organisationen suchen und retten

Die Pflicht, Personen in Seenot und Schiffbrüchigen Hilfe zu leisten, beruht zum einen auf Völkergewohnheitsrecht, zum anderen auf dem Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See von 1979.

Den Seenot-, Such- und Rettungsdienst SAR ("Search and Rescue") nimmt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) wahr. Die Seenotleitung Bremen ist berufen, Such- und Rettungsmaßnahmen in Seenotfällen zu koordinieren.

Dabei kann sie erforderlichenfalls auf die Unterstützung der Bundeswehr zurückgreifen. Beim "Lisco Gloria"-Unfall halfen Militärhubschrauber mit Wärmebildkameras bei der Suche und Bergung von Menschen.

Wie die Bewältigung des Brandes auf der "Lisco Gloria" bewiesen hat, funktioniert das Sicherheitskonzept, im Notfall auch über die deutschen Grenzen hinaus. Stetes Ziel aller Bemühungen, die Sicherheit auf den Meeren zu optimieren, ist es, Schäden an Leben, Umwelt und Sachgütern so weit wie möglich zu vermeiden.

Aber die unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft der Seefahrer weiß auch, dass auf sie das Sprichwort ganz besonders zutrifft, dass man sich auf Hoher See in Gottes Hand befindet. Gerade im Herbst werden Küstenstriche und das ihnen vorgelagerte Meer oft von heftigen Stürmen heimgesucht. Wie der Unfall bei schwerem Seegang ausgegangen wäre und ob selbst die beste menschliche Organisation dazu in der Lage gewesen wäre, schlimmste Folgen zu verhindern – darüber mag man lieber nicht nachdenken.

Der Autor Dr. Dr. Ebert ist Ministerialrat und Vertreter des öffentlichen Interesses beim Thüringer Innenministerium. Er war Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung und Leiter der Polizeiabteilung im Thüringer Innenministerium.

Zitiervorschlag

Frank Ebert, Katastrophen auf See: . In: Legal Tribune Online, 12.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1691 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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