Gerade erst hatte man das Transplantationsgesetz reformiert, auf dass die Deutschen ihre Organe freigiebiger spenden würden. Der Skandal um den Lebertransplanteur wirkt da wie Gift. Langjährige Fundamentalkritiker des deutschen Organspendesystems fühlen sich bestätigt. Doch dazu taugt der Fall gerade nicht, meint Torsten Verrel.
Der Göttinger Organspendeskandal offenbart kein Versagen der zuständigen Stellen. Weder die Koordinierungsstelle Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) noch die Vermittlungsstelle Eurotransplant und erst recht nicht die bei der Bundesärztekammer angesiedelten Regulierungs- und Überwachungsgremien sind gescheitert. Vielmehr zeigt sich, dass es in diesem wie auch in jedem anderen Organspendesystem Mediziner geben kann, die in einer bislang nicht für möglich gehaltenen Dreistigkeit und Skrupellosigkeit fälschen und manipulieren, um Organe für ihre Patienten zu erhalten.
Es war ein anonymer telefonischer Hinweis, der bei der DSO einging und über Unregelmäßigkeiten bei der Transplantation einer Leber im Universitätsklinikum Göttingen informierte. Die Koordinierungsstelle leitete den Anruf umgehend an die zuständigen Überwachungskommissionen bei der Bundesärztekammer weiter.
Die dortigen, mit erheblichem Aufwand durchgeführten Ermittlungen ergaben, dass für die Organzuteilung entscheidende Daten nicht an Eurotransplant übermittelt oder regelrecht gefälscht worden waren. So hatte der Göttinger Arzt zum Beispiel darüber getäuscht, dass ein alkoholabhängiger Patient lange genug abstinent gewesen ist, und Dialysebehandlungen behauptet, die gar nicht stattgefunden hatten.
Systematische Fälschungen in mindestens 20 Fällen
Daraufhin schalteten die Überwachungskommissionen nicht nur die Staatsanwaltschaft ein wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und der Bestechlichkeit, sondern informierten auch die zuständigen Ministerien, die Landesärztekammer sowie die Göttinger Klinikumsleitung.
Eurotransplant suchte in seinen Datensätzen nach Anhaltspunkten für weitere Manipulationsfälle des verantwortlichen Chirurgen. Bei einer dann von den Überwachungskommissionen im Klinikum Göttingen durchgeführten Überprüfung stellte sich heraus, dass der Arzt systematisch, nämlich in mindestens 20 Fällen, falsche Patientendaten gemeldet und so eine Dringlichkeit für eine Organzuteilung simuliert hatte, die in Wahrheit nicht bestand.
Derselbe Mediziner war Jahre zuvor dadurch aufgefallen, dass er einer jordanischen Patientin, die angeblich in einem deutschen Krankenhaus lag, eine Leber transplantiert hatte. In Wahrheit befand sich die Patientin in Amman und wurde auch dort operiert. Der Arzt reiste unmittelbar nach der Transplantation wieder nach Deutschland zurück, die Patientin verstarb kurze Zeit später. Auch diese Vorgänge wurden seinerzeit von der Bundesärztekammer überprüft und in einem akribischen Bericht sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Krankenhausaufsicht mitgeteilt. Sanktionen folgten jedoch nicht.
Schonungslose Transparenz notwendig
Wie die gesundheitspolitische Sprecherin der Partei Die Linke angesichts dieser Sachlage zu dem Schluss kommt, dass die Organspende bei DSO, Bundesärztekammer und Eurotransplant "offenkundig" nicht in den allerbesten Händen sei, ist unerfindlich. Wohl aber zeigen die Vorgänge in aller Deutlichkeit, wie wichtig es ist, die Krankenhäuser intensiver zu kontrollieren als bisher.
Die im neuen Transplantationsgesetz (TPG) in § 11 Abs. 3 erstmals geregelte Pflicht der Transplantationszentren, der Überwachungskommission Akteneinsicht und Auskunft zu geben, hat dafür eine wichtige rechtliche Grundlage geschaffen. Folgen müssen jetzt flächendeckende verdachtsunabhängige Kontrollen einer personell entsprechend ausgestatteten Kommission.
Bisher fanden derartige Untersuchungen auf freiwilliger Basis statt und führten durchaus zu verwertbaren Resultaten, da sich die Transplantationszentren sehr wohl bewusst sind, dass ihre Mitwirkung wichtig und schonungslose Transparenz notwendig ist. So hat auch das Klinikum Göttingen die Aufklärung durch die Kommissionen von Anfang nachhaltig unterstützt. Nunmehr ist endgültig klar, dass es sich kein Transplantationszentrum leisten könnte und dürfte, bei der Aufklärung von Auffälligkeiten nicht zu kooperieren.
Chefarzthierarchien müssen abgebaut werden
Die Leitung nicht nur des Uniklinikums Göttingen muss sich allerdings fragen lassen, ob sie mit der von ihren Ärzten verlangten und sogar mit einer Leistungsvereinbarung forcierten Steigerung der Transplantationszahlen auf dem richtigen Weg ist. Aber auch, wie es kommen kann, dass Manipulationen in einem solchen Ausmaß so lange nicht ruchbar geworden sind. Die Täuschungen können anderen Klinikumsmitarbeitern kaum verborgen geblieben sein. Einschüchternde Chefarzthierarchien und -mentalitäten müssen endlich abgebaut und praktikable Meldesysteme installiert werden.
Der Göttinger Organspendeskandal offenbart also keine prinzipielle Schwäche des derzeitigen Systems, wohl aber eine Schwachstelle, der es besser als bisher beizukommen gilt. Diese Differenzierung muss trotz aller verständlichen Erregung gemacht werden und sollte nicht im parteipolitischen Getöse und Medienrummel untergehen.
Eine Zäsur für die Organspende in Deutschland markieren die Ereignisse aber in jedem Fall. Ein seines Berufsstandes nicht würdiger Arzt hat es geschafft, die ganze Transplantationsszene in Verruf zu bringen. Das Vertrauen der Spender ist in hohem Maße geschädigt worden. Leittragende sind die Patienten, die dringend auf Organe und damit auf die Spendebereitschaft der Menschen angewiesenen sind. Darin liegt die eigentliche Verwerflichkeit des Verhaltens des Göttinger Arztes.
Der Autor Prof. Dr. Torsten Verrel ist Geschäftsführender Direktor des Kriminologischen Seminars der Universität Bonn und Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation.
Göttinger Organspendeskandal: . In: Legal Tribune Online, 13.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6822 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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