Gesetzesflut und Steuerchaos: Standort Deutschland in Gefahr

von Prof. Dr. Wolfgang Blumers

23.04.2012

Das deutsche Steuerrecht ist, auch im Vergleich zu Steuerrechten vergleichbarer Industrieländer, durch extreme Komplexität und fehlende Planungssicherheit geprägt. Prof. Dr. Wolfgang Blumers über Ursachen, Symptome und Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die Gesetzesflut nimmt seit Jahrzehnten geradezu inflationär zu. Der berühmte Ottmar Bühler beklagte dies bereits 1952. Klaus Tipke, der große alte Mann des Steuerrechts, legte schon 1971 die Abhandlung vor "Steuerrecht – Chaos, Konglomerat oder System" vor und der Verfassungsrichter Rudolf Mellinghoff begründete 2003 den katastrophalen Zustand des Steuerrechts mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust des parlamentarischen Gesetzgebers. Joachim Lang, prominenter Tipke-Schüler und häufiger Gutachter der Bundesregierung, hat 2008 das bezeichnende Schlagwort vom immer schneller werdenden Stakkato der Steueränderungs-Gesetzgebung geprägt.

Dabei geht es nicht nur um Gesetze, sondern auch deren Anwendungsregeln, die immer umfangreicher werden, angesichts der zunehmenden Komplexität des Steuerrechts aber unverzichtbar sind. Hier spielt der deutsche Föderalismus eine zusätzlich problematische Rolle; diese Regeln werden jeweils zwischen den Finanzministerien vom Bund und 16 Ländern abgestimmt. Das erfordert unendlich viel Zeit. So erschien der Erlass zum Umwandlungssteuergesetz 2006 am 11.11.2011. Unakzeptabel ist, dass dabei rechtlich besonders problematische Ansichten bewusst aus der Anwendungsregel herausgelassen wurden.

Das deutsche Steuerrecht hat auf diese Weise eine solche Komplexität erlangt, dass schon objektiv seine Systematik nicht mehr gewährleistet ist. Erkennbar wird dies an den zunehmenden Wertungswidersprüchen steuerrechtlicher Regeln. Gleiche Sachverhalte führen nach unterschiedlichen Regeln zu abweichenden Ergebnissen. Daraus folgt ein Problem von verfassungsrechtlicher Tragweite: Ist damit noch die gleichmäßige Anwendung des Gesetzes gewährleistet?

Andererseits führt diese Komplexität dazu, dass die Beamten der Finanzverwaltung mit dem Steuerrecht zunehmend schlechter fertig werden, obwohl sie jeweils nur für ein beschränktes Regelungsgebiet zuständig sind. Dies hat der neue Präsident des Bundesfinanzhofs, Prof. Rudolf Mellinghoff, kürzlich in einem Interview der FAZ gerügt und dort ebenfalls auf das Problem gleichmäßigen und damit gerechten Gesetzesvollzugs hingewiesen.

Werkzeugkasten zur Befriedigung von Fiskalinteressen

Komplexität und der schnelle Wechsel anwendbarer Regeln gehen aber vor allem zu Lasten der Planungssicherheit des deutschen Steuerrechts. Darunter leidet besonders das Unternehmenssteuerrecht.

Bestand es bis Mitte der 90er-Jahre noch aus einem in sich schlüssigen Konzept, das eine gleichmäßige Besteuerung der laufenden Unternehmenstätigkeit ebenso förderte wie steuerneutrale Veränderungen im Rahmen unternehmerischer Tätigkeit, so hat die Spitze der Finanzverwaltung seit 1997 die Regeln, die Deutschland zu einem akzeptablen Holdingstandort machten, systematisch abgebaut und aus dem stimmigen Steuersystem einen Werkzeugkasten zur Befriedigung von Fiskalinteressen gemacht. Axel Nawrath, der zuständige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium erklärte noch kürzlich, die Planungs-Unsicherheit sei angesichts der Globalisierung einer der neuen Grundsätze der deutschen Steuerpolitik.

Für ausländische Investoren ist die Komplexität einer der wesentlichen abschreckenden Aspekte des Standorts Deutschlands. Dieser wird deshalb nur noch aus strategischen Gründen gewählt. Im Inland tätige und ausländische Unternehmen versuchen, im maximalen Umfang durch Auslagerung von Aktivitäten dem deutschen Fiskus und seinem nicht mehr kalkulierbaren Zugriff zu entgehen.

Dennoch ist eine Abhilfe nicht in Sicht. Die Reformentwürfe der jüngsten Vergangenheit sind schon angesichts der Komplexität des aktuellen Steuerrechts gescheitert. Vereinfachungsvorschläge aus der Politik setzen nur an den Symptomen an. Angesichts dieser Situation kann man nur der Aussage des bisherigen Präsidenten des Bundesfinanzhofs, Wolfgang Spindler, nur zustimmen, eine machbare Reform läge schon in der Rückführung unseres geltenden Ertragssteuerrechts auf seine ursprünglichen Grundsätze. Dies würde allerdings die Beseitigung aller Ausnahmeregeln voraussetzen, die die Wirtschaft, aber auch die anderen Teilnehmer am wirtschaftlichen Verkehr wie Gewerkschaften, Kirchen etc. zu ihren Gunsten durchgesetzt haben. Dieser Schritt wird also nicht erfolgen, solange die extreme Abhängigkeit der Politik von ihrer Klientel nicht beseitigt wird.

Prof. Dr. Wolfgang Blumers ist Seniorpartner der Sozietät Blumers & Partner, Stuttgart, und ordentlicher Professor für Steuerrecht. Sein spezielles Interesse gilt der Umwandlung von Unternehmen vor allem in internationale Strukturen.

Zitiervorschlag

Gesetzesflut und Steuerchaos: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6015 (abgerufen am: 25.11.2024 )

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