Wer eine MPU umgehen möchte, kann mittlerweile nicht mehr ganz so einfach seinen Wohnsitz in ein Nachbarland verlegen. Eine findige Bayerin aber, die nie eine Führerscheinprüfung abgelegt hat, darf nun weiter in Deutschland ein Kfz führen. Dabei hat sie gleich zweifach geschummelt. Adolf Rebler über eine deutsche Gesetzeslücke.
Eine Frau aus Niederbayern hatte im Jahr 1998 bei ihrer Heimatbehörde die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse 3 (Pkw) beantragt. Das Verfahren wurde beendet, ohne dass die Frau eine theoretische oder praktische Prüfung abgelegt hatte.
Aber die Fahraspirantin gab sich damit nicht zufrieden. Einige Jahre später wollte sie die fehlende Fahreignung durch Zahlung eines Honorars an einen Führerschein-Vermittler ausgleichen. Die Frau ging auf das Angebot einer Agentur ein, die ihr einen gefälschten philippinischen Führerschein besorgte. Er bescheinigte, sie habe auf den Philippinen 2008 eine Führerscheinprüfung erfolgreich abgelegt. Dieses Dokument tauschte sie in der Folge.in Ungarn unter Angabe eines Scheinwohnsitzes in ein ungarisches Führerscheindokument für die Klassen B, T, M und K um. Die ungarische Behörde befristete die Fahrerlaubnis auf fünf Jahre.
Das ging fast zwei Jahre lang gut, bis die Polizei im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen gegen die Führerschein-Vermittlungsagentur im Jahr 2010 auf den Vorgang aufmerksam wurde und den Führerschein beschlagnahmte. Das Landratsamt Passau stellte in einem für sofort vollziehbar erklärten Bescheid fest, dass die Frau mit dem ungarischen Führerschein keine Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet führen dürfe. Mit ihrem Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, scheiterte die Frau zwar vor dem Verwaltungsgericht in Regensburg in erster Instanz. Vor dem VGH aber hatte sie mit ihrer mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe verbundenen Beschwerde Erfolg (BayVGH, Beschl. v. 03.05.2011, Az. 11 C 10.2938, 11 CS 10.2939, 11 C 10.2940).
BayVGH: Wer zweimal pfuscht, darf weiter fahren
Die Entscheidung der ungarischen Behörde sei nicht nur eine rein formelle gewesen, so die Münchner Richter. Vielmehr zeige unter anderem die Befristung der Fahrerlaubnis, dass die Behörde sich sachlich mit dem Problem der Fahrerlaubnis auseinander gesetzt habe, so die Münchner Richter. Den damit erlassenen eigenständigen ungarischen Verwaltungsakt haben die deutschen Behörden zu akzeptieren - was rechtswidrig ist, ist noch lange nicht ungültig.
So darf die Bayerin weiterhin in Deutschland ein Fahrzeug führen, ohne jemals eine theoretische oder praktische Führerscheinprüfung abgelegt zu haben.
Man mag sich verdutzt die Augen reiben ob des Ergebnisses der Entscheidung. Ihre Begründung aber beruht letztlich auf § 28 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Abs. 1 S. 1 der Vorschrift ermöglicht es Inhabern einer gültigen EU-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben, im Umfang der Berechtigung der ausländischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge auch im Inland führen.
§ 28 FeV setzt die Führerschein-Richtlinie (RiLi 91/439/EWG vom 24. August 1991) in deutsches Recht um, welche die Freizügigkeit der europäischen Bürger erleichtern soll. Letztlich ist es diese Vorschrift, die es der Bayerin nun ermöglicht, ganz legal in Deutschland herum zu düsen.
Kernpunkt der Entscheidung des BayVGH waren zwei Fragen: Verfügte die findige Bayerin über eine EU-Fahrerlaubnis? Und wenn ja, war diese gültig? Dazu prüften die Verwaltungsrichter, ob die ungarischen Behörden nur den philippinischen Führerschein übernahmen oder eine eigenständige Entscheidung trafen.
Von kleinen, aber feinen Unterschieden
Mit anderen Worten: Hätten die Ungaren nur formell einen neuen Führerschein ausgestellt, also lediglich das philippinische Legitimationspapier bestätigt, hätte das der Bayerin nicht geholfen, da ihr keine "EU-Fahrerlaubnis" ausgestellt worden wäre. Die Verwaltungsrichter gingen aber davon aus, dass die Ungaren sich jedenfalls durch die Befristung auch materiell mit der Fahrerlaubnis auseinander gesetzt haben.
Und wer sich nun wundert, dass doch aber, selbst wenn man von der Erteilung einer EU-Fahrerlaubnis ausgehen mag, diese nicht wirksam erteilt wurde, der sei auf den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit von Verwaltungsakten verwiesen.
Selbstverständlich war die Erteilung der Fahrerlaubnis rechtswidrig, da die 46-Jährige auch für Ungarn keine Fahrprüfung nachweisen kann. Aber was rechtswidrig ist, ist noch lange nicht ungültig. Hier gilt für Ungarn nichts anderes als für Deutschland: Nur nichtige Verwaltungsakte sind ungültig und damit unbeachtlich (§ 44 Abs. 1 VwVfG). Und nichtig sind nur Verwaltungsakte, die offensichtlich an einem besonders schweren Fehler leiden. Dass die ungarische Fahrerlaubnis auf einem gefälschten philippinischen Dokument beruht und die Führerscheininhaberin nie eine Prüfung bestanden hat, ist aber nicht offensichtlich. Außerdem kommt nach ungarischem Recht formell gesehen hinzu, dass die Nichtigkeit erst durch verwaltungsrechtlichen oder gerichtlichen Beschluss festgestellt werden müsste.
Keine Möglichkeit, den ungarischen Führerschein zu ignorieren
Das deutsche Recht sieht in § 28 Abs. 4 FeV Möglichkeiten vor, die Anerkennung einer von einem anderen EU-Staat ausgestellten Fahrerlaubnis zu versagen. Die Vorschrift ist vor allem für die Fälle wichtig, in denen jemand im Ausland eine Fahrerlaubnis erwirbt, obwohl er dort nicht wohnt (Wohnsitzerfordernis).
Sie soll dem Führerscheintourismus beispielsweise in den Fällen entgegen wirken, in denen in Deutschland strengere Voraussetzungen gelten als im Ausland, also zum Beispiel in Deutschland eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung nötig wäre, die im Ausland nicht absolviert werden müsste, um die Fahrerlaubnis (wieder) zu erlangen.
Von der in der Richtlinie vorgesehenen Möglichkeit, einer EU-Fahrerlaubnis die Anerkennung zu versagen, die auf Grundlage eines Drittstaaten-Führerscheins erteilt wurde, die Anerkennung zu versagen, hat der deutsche Gesetzgeber aber keinen Gebrauch gemacht. Und solange das nicht passiert, kann jemand mit einem gefälschten philippinischen Führerschein, der in Ungarn umgetauscht worden ist, auch in Deutschland fahren.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen zum Straßenverkehrsrecht.
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Adolf Rebler, Führerscheintourismus: . In: Legal Tribune Online, 21.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3548 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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