Folgen der Justizreform in Polen: Richter nur noch poli­tisch berufen

Gastbeitrag von Oscar Szerkus

02.05.2018

Zwangsrente für Richter und neue Ernennung nur mit politischer Duldung: Die regierende PiS-Partei in Polen sezierte die Justiz und traktierte sie mit drei Reformen. Jetzt werden die Folgen spürbar, erklärt Oscar Szerkus.

Um zu sehen, dass Reformen nicht immer Gutes verheißen, muss man nicht ins Ausland reisen. Kann man aber, etwa nach Polen. Dort spüren Bevölkerung und Juristen die Auswirkung der Justizreformen, die dem Land ein Sanktionsverfahren wegen der Gefährdung von Grundwerten durch die EU-Kommission eingebracht haben. Es ist das erste Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags (EUV) in der Geschichte der Gemeinschaft. Nicht nur aus Sicht der Kommission höhlen die Justizreformen die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung in Polen aus.

Präsident Duda hatte mit einem Veto noch versucht, das Schlimmste zu verhindern, doch viel brachte das nicht. Die Regierungspartei verabschiedete im Dezember Reformen, im Januar traten die ersten neuen Vorschriften in Kraft, mit denen nun der Nationale Richterrat (KRS – Krajowa Rada Sądownictwa) kalt gestellt ist. Die KRS ist ein Verfassungsorgan, dem u.a. die Überwachung der Richterausbildung und -ernennung sowie die Durchführung von Disziplinarverfahren oblegen hat. Mit der Reform ging das einst der Richterschaft vorbehaltene Recht zur Wahl von KRS-Mitgliedern ans polnische Parlament, den Sejm.

Richterernennung nur noch Politik

Die KRS besteht weiter – unpolitischen und leistungsabhängigen Einfluss auf die Besetzung der Richterstellen nehmen kann sie aber nicht mehr. Damit sind die Richter in Polen künftig ausschließlich politisch bestellte Ausführungsorgane der Regierungspartei – eine unabhängige Judikative existiert nicht mehr. Gerade die neugeschaffene Abhängigkeit der KRS-Zusammensetzung von der Legislative sei der größte Verfassungsbruch, so der alte Richterrat in einer Mitteilung vom 11. Januar 2018. Er appellierte an die Politiker und vor allem die amtierenden Richter, "dem richterlichen Eid treu zu bleiben" und nicht bei der Wahl der neuen Mitglieder für die KRS mitzuwirken. Geholfen hat es nichts. Am 6. März wählte der Sejm mit Stimmen der PiS den neuen Richterrat. Nach Regierungsangaben hatten sich 18 Richter für eine Kandidatur bereit erklärt – die nach Presseberichten allesamt aus dem Umfeld des Justizministers und Generalstaatsanwalts Zbigniew Ziobro stammen.

Angesehene polnische Juristen wie Adam Strzembosz und Andrzej Zoll mahnen, die Entscheidungen der neuen KRS seien aufgrund der Verfassungswidrigkeit des Gremiums nichts weiter als ein rechtliches Nullum. Ähnliche Töne spielt die Warschauer Anwaltskammer: Es bestünden "ernsthafte Zweifel" über die Richterwahl zur KRS und damit auch über die Urteile der Richter, die durch diese KRS zugelassen werden. Unbeschadet der freilich nur an das Gewissen gerichteten Appelle steht die KRS vor der Aufgabe, über 500 vakante Stellen zu besetzen.

Als Antwort auf die Justizreform trat die Präsidentin des Obersten Gerichts, Małgorzata Gersdorf, Mitte März 2018 als KRS-Vorsitzende zurück. Sie galt stets als unbeugsame Kritikerin der Reform, beteiligte sich an Protestaktionen für mehr Rechtsstaatlichkeit in Polen und wurde dafür in den öffentlich-rechtlichen Medien kritisiert. Gersdorf bleibt jedoch Präsidentin des Obersten Gerichts und muss in dieser Funktion auch die konstituierende Sitzung des KRS einberufen. Wann dies geschehen soll, wird im KRS-Gesetz nicht bestimmt. In den Regierungsreihen sorgte diese Ungewissheit für Unmut: Justizminister und Generalstaatsanwalt Ziobro stellte eine erneute Änderung des Gesetzes in Aussicht, sollte die KRS nicht bald funktionieren. Wie einer späteren Stellungnahme Gersdorfs zu entnehmen ist, werde sie "trotz aller Bedenken" noch im April 2018 die erste Sitzung einberufen, wozu es dann am 27. April kam.

Richter werden durch neue ersetzt

Eine weitere Reform trat am 3. April 2018 in Kraft und betrifft das Oberste Gericht (SN) von Małgorzata Gersdorf: Im kommenden Quartal werden mehr als ein Drittel der Richter am SN in den Ruhestand zwangsversetzt. Grund dafür ist das veränderte Renteneintrittsalter, das für Frauen 60 Jahre und für Männer 65 Jahre beträgt und unabhängig von bestehenden Amtszeiten Wirkung entfaltet. Wer trotzdem drei Jahre weiterentscheiden möchte, kann einen Antrag stellen, über den Präsident Duda selbst entscheidet. Auch alle anderen Richter des SN können sich ganz einfach auf Antrag frühzeitig in den Ruhestand versetzen lassen.


Die Novelle sieht zudem eine außerordentliche Beschwerde gegen bereits rechtskräftige Urteile vor, soweit dies "für die Sicherung der sozialen Gerechtigkeit notwendig ist." Sollte die Fünf-Jahres-Frist überschritten sein, kann sich das Oberste Gericht auf eine bloße Feststellung beschränken, das angefochtene Urteil sei "ungerecht" gewesen.

Misstrauisch beäugt wird von der Richterschaft insbesondere die neue "Kammer für Disziplinarsachen". Der Spruchkörper besteht aus Berufsrichtern und Schöffen, die vom PiS-dominierten Senat gewählt werden. Es herrscht die Befürchtung, die Kammer werde vorwiegend zur Disziplinierung politisch unbotmäßiger Richter eingesetzt werden.

In der Bewertung der Justizreformen geht es in erster Linie nicht um einzelne, wenngleich fragwürdige Änderungen. Von unermesslicher Bedeutung ist das Gesamtbild, das sich von der polnischen Justiz zeichnet und das auf die Einstellung gegenüber Polen als Rechtsstaat negative Auswirkungen hat. Dies bezeugt eine Gerichtsentscheidung aus Irland, die so in der EU keinen Präzedenzfall hat. Wie die Irish Times berichtet, zeigte sich das Gericht besorgt über die Unabhängigkeit der polnischen Justiz und stoppte aus diesem Grund die Auslieferung eines mit europäischem Haftbefehl gesuchten Mannes nach Polen. Es sei nämlich zu befürchten, dass in Polen rechtsstaatliche Mindeststandards nicht eingehalten werden.

Interne Kritik nur zur Beruhigung

Ab und zu spürt man auch in den eigenen Reihen der Regierungspartei PiS einen Hauch von Kritik gegenüber der Justizreform, vor allem bei Kontakt mit ausländischen Medien oder der EU. Das Tagegeschehen in Polen zeigt jedoch, dass es sich dabei bloß um einen imageorientierten Versuch handelt, die Gemüter zu beruhigen. Man müsse sich über die negativen Medienberichte nicht echauffieren, sondern die positiven Folgen abwarten. Zumal, so Premierminister Morawiecki, immer noch Richter tätig seien, "die bei harschen, politisch motivierten Urteilen während des Kriegszustandes der 80er Jahre mitwirkten." Nun werde die Richterschaft endlich entpolitisiert.

In der Bevölkerung hingegen herrscht eine verständigungshindernde Dreispaltung die so manches Familientreffen zum Schauplatz aggressiver Wortgefechte entstellt: Neben den Akolythen der "guten Veränderung" und den Befürwortern der "totalen Opposition" gibt es sog. Symmetristen, für die die aktuellen Machenschaften nicht schlimmer aber auch nicht besser sind als diejenigen aus der Vergangenheit; sie seien eben gleich, symmetrisch. Sie erinnern etwa an die Abhöraffäre in den Jahren 2014/2015, als hochrangige seinerzeitige Regierungspolitiker – heute in der Opposition – in einem Warschauer Restaurant von Angestellten im Auftrag unbekannter Dritter abgehört wurden. Die aufgezeichneten Gespräche zeugten von Selbstherrlichkeit und eklatantem Mangel an Empathie der Regierungselite, deren ungezügelte Wortwahl kaum als Salonfähig erachtet werden kann. Die "Täter hinter den Tätern" verbleiben immer noch anonym.

Für Symmetristen gilt das politisierte Talionsprinzip: "Ihr habt das Land ausgebeutet, jetzt sind eben die anderen an der Reihe." So sei es gerecht. Vorwürfe werden insbesondere gegen die bis 2015 regierende Bürgerplattform (PO) erhoben. In den Augen des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński sei die alte Regierung mitverantwortlich für eine Flugzeugkatastrophe bei Smolensk vom 10. April 2010, in der u.a. der damalige Präsident und Bruder des PiS-Vorsitzenden ums Leben kam. Bei der Frage nach Rechtsstaatlichkeit verweisen die Symmetristen immer häufiger auf die Unlösbarkeitsformel ignoramus et ignorabimus ("Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen"): Wenn sich schon Juristen über die Justizreform streiten, sei die Sache vielleicht gar nicht so eindeutig. Verfassungswidrigkeit oder -mäßigkeit seien gleichberechtigte Ansichten, die ohne Konsequenzen bleiben. Viele vergessen dabei, dass demokratische Regierungen interimistisch sind. Und auch, dass Rechtsstaatlichkeit nicht nur durch elegant verfasste Kodizes verwirklicht wird.

Der Autor Oscar Szerkus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsche und Europäische sowie Vergleichende Rechtsgeschichte der Freien Universität Berlin. Er promoviert über die Sondergerichtsbarkeit des Polnischen Untergrundstaates in der Zeit des Zweiten Weltkrieges.

Zitiervorschlag

Folgen der Justizreform in Polen: . In: Legal Tribune Online, 02.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28393 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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