Examensspezial Klimaproteste Teil I: Zivil­recht­liche Fragen und Ant­worten zu Kli­ma­pro­testen

Lehrstuhl Prof. Marc-Philippe Weller / Universität Heidelberg

23.01.2023

Gibt es Schadensersatz wegen Straßenblockaden? Haften Aktivisten gegenüber Museen? Wie ist die Rechtsnatur der "Letzte Generation"? In Teil 1 des Prüfungsspezials "Klimaproteste" bereiten Zivilrechtsexperten die Rechtsprobleme auf.

Die Klimaproteste von "Letzte Generation" werfen viele Fragen auf – auch in rechtlicher Hinsicht. Ein interessantes Feld auch für die (mündliche) Examensprüfung. LTO wird in drei Examensprüfungs-Spezials Rechtsfragen zu Klimaprotesten beleuchten.

Wir beginnen mit dem Zivilrecht. Neben der strafrechtlichen Verfolgung der Aktivistinnen und Aktivisten mehren sich auch Diskussionen um Schadensersatzansprüche Privater. Die Berliner FDP hat sogar eine digitale Plattform ins Spiel gebracht, auf der Geschädigte ihre Schadensersatzansprüche gegen die Klimaaktivistinnen und Aktivisten anmelden sollen. 

Prof. Dr. Marc-Philippe Weller, Dr. Sophia Schwemmer, Camilla Seemann und Dr. Anton Zimmermann vom Institut für ausländisches und inländisches Privat- und Wirtschaftsrecht an der Universität Heidelberg bereiten die zivilrechtlichen Rechtsprobleme zum Komplex "Zivilrecht und Klimaproteste" auf und skizzieren mögliche Antworten.

Die Rechtsnatur ist für die Frage von Relevanz, ob die "Letzte Generation" als Haftungssubjekt in Betracht kommt und ob ihre Mitglieder haften.

Die auf der Website der "Letzte Generation" verfügbaren Informationen nennen keine Rechtsform. Im Impressum und der Datenschutzerklärung wird nur eine natürliche Person angegeben. Jedoch scheint es ein durchaus beachtliches Maß an Organisationsstrukturen zu geben, was einen rechtlich fassbaren Zusammenschluss des Bündnisses nahelegt. Da die "Letzte Generation" nicht in einem Register eingetragen ist und (offensichtlich) kein Handelsgewerbe betreibt, bleiben für die Einordnung des Kollektivs im Grunde zwei gesellschaftsrechtliche Optionen: Der nichtrechtsfähige (Ideal-)Verein, § 54 BGB, und die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), §§ 705 ff. BGB.

Die besseren Gründe sprechen für eine Einordnung als Verein. Das entscheidende Kriterium dafür besteht in der körperschaftlichen Organisation einschließlich der Unabhängigkeit des Bestandes der Organisation vom Wechsel der Mitglieder. So ist etwa in der Rubrik "Unsere Werte" von einer funktionellen Hierarchie die Rede (Ziff. 6.), die nicht zur egalitären Kooperationsform der Gesellschafter einer GbR passen würde (Selbstorganschaft und Geschäftsführungsbefugnis aller GbR-Gesellschafter, § 709 BGB). Im "Aktionskonsens" der "Letzte Generation" findet sich zudem die Angabe, ein Ausstieg sei jederzeit möglich (Ziff. 7.) – offenbar ohne dass dadurch der Fortbestand der Bewegung in Zweifel gezogen werden soll, was jedoch bei einer GbR der Fall wäre (vgl. §§ 723 ff.).

 

Die Gründung eines Vereins ist ein Rechtsgeschäft, das an den §§ 134, 138 BGB zu messen ist. Sofern eine Personenvereinigung einen verbotswidrigen Zweck verfolgt, kommt nach der Rechtsprechung in Extremfällen eine Nichtigkeit des gesamten Gründungsgeschäfts in Betracht.

Mit einer Nichtigkeitsfolge sollte man aber schon deshalb zurückhaltend sein, weil man damit etwaigen Gläubigern die Vereinigung als solche als Schuldnerin entzöge und deren Mitglieder und Organe letztlich begünstigte, weil sie einen verbotswidrigen Zweck verfolgen.

Es kommt demnach darauf an, ob der Zweck der "Letzte Generation" in allen Aspekten verboten ist. Ausweislich des Aktionskonsenses zielt diese insbesondere darauf ab, Straßen zu blockieren und "alle staatlichen Konsequenzen in Kauf zu nehmen". Diese Straßenblockaden stellen in der Mehrzahl der Fälle nach h.M. eine strafbare Nötigung dar.

Dennoch erscheint fraglich, ob damit der Gründungsakt der "Letzte Generation" insgesamt nichtig ist. In der Regel erklärt die Rechtsprechung bei auch auf eine verbotene Tätigkeit gerichteten Gründungsvereinbarungen nur den verbotswidrigen Teil für unwirksam. Es bleibt dann bei dem Ergebnis einer wirksamen Gründung, allerdings mit einem entsprechend reduzierten Satzungsinhalt, was sich vor allem im Innenverhältnis des Vereins auswirkt. Anspruchs- und Klagegegnerin könnte die "Letzte Generation" dann durchaus sein – auch soweit verbotswidrige Tätigkeiten betroffen sind. Das setzt aber voraus, dass zumindest ein nicht völlig unwesentlicher Teil ihrer Tätigkeit legal ist. Insofern kommt die auf der Website angekündigte Durchführung von Vorträgen und Trainings in Betracht. Da beide aber in erster Linie der Vorbereitung verbotswidriger Blockaden dienen, erscheint zweifelhaft, ob sie nicht ihrerseits zumindest gegen § 138 Abs. 1 BGB verstoßen. Ähnliches hat der BGH beispielsweise beim Kauf eines Radarwarngeräts angenommen, der nicht per se verboten war, aber offenkundig nur der Vorbereitung verbotenen Verhaltens (Mitführen im Auto) gerichtet war.

Hält man die Gründung dennoch für wirksam, kommt der nichtrechtsfähige Verein – der entgegen seinem irreführenden Namen durchaus (teil-)rechtsfähig ist – als Haftungssubjekt in Betracht. Ihm kann nach Maßgabe des § 31 BGB das Verhalten einer deliktisch handelnden Person zugerechnet werden, so dass nicht nur die Person, sondern auch die "Letzte Generation" als juristische Person haftet und verklagt werden kann.

Soweit man von einem nichtrechtsfähigen Verein ausgeht, scheint eine Haftung aller Mitglieder bei einem ersten Blick in das Gesetz klar: Gemäß § 54 S. 1 BGB findet das Recht der "Gesellschaft" Anwendung, womit die GbR gemeint ist. Dort ist inzwischen anerkannt, dass die Gesellschafter analog § 128 HGB persönlich mit ihrem gesamten Vermögen für Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, die auch aus unerlaubten Handlungen anderer Gesellschafter (§ 31 BGB analog) erwachsen können.

Jedoch gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass die Verweisung auf die GbR in § 54 S. 1 BGB bei nichtrechtsfähigen Vereinen korrekturbedürftig ist, soweit sie – wie die "Letzte Generation" – keinen wirtschaftlichen, sondern einen ideellen Zweck verfolgen (sog. Idealverein). Der nichtrechtsfähige Idealverein liegt nämlich deutlich näher an einem eingetragenen Idealverein (e.V.) als an der GbR: Das betrifft die nichtwirtschaftliche Natur der Betätigung (§ 21 BGB) ebenso wie die Organisationsstruktur, die dem einzelnen Mitglied deutlich weniger Einfluss auf die Führung des Vereins als den Gesellschaftern einer GbR einräumt (§ 26 BGB). Deshalb erscheint auch die Haftungsverfassung des e.V. sachgerechter als diejenige der GbR.

Der darin liegende Bruch mit dem Gesetzestext ist zwar nicht zu leugnen. Er lässt sich indes damit rechtfertigen, dass der auf die Kaiserzeit zurückgehende Gesetzeszweck, Vereine zur Eintragung zu drängen und damit der staatlichen Kontrolle zu unterwerfen (im Fokus standen damals vornehmlich Gewerkschaften und Parteien), aus der Zeit gefallen ist. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) wird das Problem ab 2024 behoben werden, vgl. § 54 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. Im Ergebnis haften Mitglieder der "Letzte Generation" daher nicht für Aktionen anderer Mitglieder.

Reparaturkosten für beschädigte Exponate sind als Schaden aus einer Eigentumsverletzung (Verunreinigung einer zuvor intakten Sache gilt als Substanzverletzung) nach § 823 Abs. 1 BGB ersatzfähig. Darüber hinaus käme noch ein Anspruch aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB in Frage, sofern die Klimaaktivisten eine Eintrittskarte gelöst und insofern ein Vertragsverhältnis mit dem Museum begründet haben. Die Rücksichtspflicht des § 241 Abs. 2 BGB läuft – parallel zu den Pflichten, die sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben – ebenfalls auf einen Schutz des Eigentums hinaus.

Auch der durch die Schließung des Museums entstandene Schaden ist durch das Verhalten der Aktivistinnen und Aktivisten adäquat kausal verursacht worden und objektiv zurechenbar, da die kurzzeitige Schließung des Museums eine vorhersehbare Folge des gezielten Angriffs auf die Exponate ist. Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Museum eine Obliegenheit zur Minderung des Schadens gem. § 254 Abs. 2 BGB trifft. Danach muss das Museum ggf. mit einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens gem. § 254 Abs. 2 BGB rechnen, wenn die Schließung über das erforderliche Maß hinausgeht.

In der Elbphilharmonie konnte das Konzert mit wenigen Minuten Verspätung wie geplant stattfinden, weil die Aktivistinnen und Aktivisten schnell aus dem Saal entfernt wurden. In einem solchen Fall wird es regelmäßig an einem ersatzfähigen Schaden fehlen. Muss die Veranstaltung dagegen ausfallen, werden den Veranstaltern regelmäßig Gewinne entgehen (§ 252 BGB): Wegen des Fixschuldcharakters einer Veranstaltung müssen die Veranstalter ihren Besuchern gemäß §§ 326 Abs. 1 und Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB regelmäßig den Eintrittspreis erstatten.

Gleichzeitig werden die Veranstalter aber meist die Kosten für Saalmiete, Marketing, Personal und Künstlergagen tragen müssen. Typischerweise werden sie sich nämlich nicht kurzfristig von den eingegangenen Verpflichtungen lösen können und gegenüber ihren Dienstleistern die Gefahr für die Störung tragen müssen (vgl. §§ 537, 615, 644, 645 BGB).

Diese Kosten und den entgangenen Gewinn können Veranstalter jedenfalls als Schadensersatz aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB geltend machen, wenn die Aktivistinnen und Aktivisten selbst Eintrittskarten für die Veranstaltung erworben haben. Anderenfalls bleiben nur deliktische Ansprüche. Sofern die Aktion der Klimaaktivistinnen und -aktivisten nicht zu einer Substanzverletzung am Eigentum bzw. berechtigten Besitz des Veranstalters führt, kommen vor allem Ansprüche aus § 826 BGB oder wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB) in Betracht. Ein betriebsbezogener Eingriff dürfte, auch wenn die Blockade zeitlich begrenzt ist, zu bejahen sein, da ein Konzert wegen begrenzter Verfügbarkeit von Künstlern und Veranstaltungsstätten nicht ohne Weiteres nachholbar ist. Daher liegt eine unmittelbare Beeinträchtigung des Betriebs des Veranstalters vor. Problematischer ist, ob eine Rechtswidrigkeit des Eingriffs festgestellt werden kann. Hier kommt es auf eine Interessen- und Güterabwägung unter Beachtung der Grundrechte an. Zumindest wenn die Schwelle eines Straftatbestandes nicht überschritten wird, können die Aktivistinnen und Aktivisten sich auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 und 8 GG) berufen, so dass eine Rechtfertigung in Betracht kommt. Daneben kommt eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB in Betracht. Einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz haben die Aktivistinnen und Aktivisten.

Mit Blick auf das altruistische Fernziel der Klimaschutzes als Rechtsgut mit Verfassungsrang könnte man aber die Sittenwidrigkeit der Schädigung verneinen. Dem wird in der Debatte allerdings entgegengehalten, dass die gezielte Schädigung Dritter auch mit ehrenwerten Fernzielen nicht gerechtfertigt werden könne und die "Spielregeln des demokratischen Rechtsstaats" verletze (so z.B. Michael Heese in seinem Beitrag auf LTO).

Sittenwidrige Schädigung?

Als Anspruchsgrundlage dürfte mangels Rechtsgutsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB und mangels Verletzung eines auf den Schutz der Besucher zielenden Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) allenfalls § 826 BGB in Betracht kommen. Die Aktivistinnen und Aktivisten nehmen auch die Schädigung der Besucher:innen billigend in Kauf. Auch hier kommt es also auf die soeben aufgeworfene Frage der Sittenwidrigkeit der Schädigung an.

Schadensersatz wegen entgangenem Kulturgenuss?

Wenn man den Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung bejaht, stellt sich weiter die Frage nach einem ersatzfähigen Schaden. Die Konstellation gleicht dem umstrittenen Lehrbuchfall einer wegen einer Verletzung des Besuchers nicht genutzten Theaterkarte. Nach der Differenzhypothese ist der Geschädigte so zu stellen, wie er stünde, wenn das schadensbegründende Ereignis nicht eingetreten wäre. Der Kauf der Eintrittskarte steht allerdings eben gerade nicht in einem Kausalzusammenhang zu der Aktion der Klimaaktivistinnen und -aktivisten, da die Vermögensdisposition zeitlich vorher getroffen worden ist.

Allerdings kommt ein Nutzungsausfallschaden nach § 249 Abs. 1 BGB in Betracht. Bei nicht erwerbswirtschaftlich genutzten Gegenständen zieht die Rechtsprechung dem Nutzungsausfallschaden aber enge Grenzen: Es muss sich um eine Sache handeln, "deren ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenserhaltung typischerweise von zentraler Bedeutung ist" (Wohnung, Auto, Fahrrad, nicht dagegen Luxusgüter). Ferner muss in den Gegenstand des Gebrauchs selbst eingegriffen werden.

Dies passt bei "frustrierten" Aufwendungen für Eintrittskarten nicht. Sie sind Luxusgüter und keine Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs und es erfolgt auch kein Eingriff in ihre Substanz, da diese unversehrt bleiben. Auf die weitere Voraussetzung, wonach es sich um einen "fühlbaren" Schaden handeln muss, also hypothetische Nutzungsmöglichkeit und Nutzungswille hinsichtlich des Gegenstandes vorliegen müssen, kommt es daher nicht mehr an.

Unabhängig davon liegt ein immaterieller Schaden vor, der gem. § 253 Abs. 1 BGB nur bei gesetzlicher Anordnung ersatzfähig ist. Jedoch fällt der Kulturgenuss nicht unter die nach § 253 Abs. 2 BGB ausnahmsweise ersatzfähigen immateriellen Schäden. Manche wollen gleichwohl Ersatz für entgangenen Kulturgenuss gewähren, indem sie diesen über den Kommerzialisierungsgedanken zu einem Vermögensschaden umqualifizieren. Näher liegt jedoch eine Parallele zur Fallgruppe der entgangenen Urlaubsfreuden: diese sind nur im Rahmen eines Pauschalreisevertrages ersatzfähig (§ 650n BGB); wird der Urlauber dagegen durch einen Dritten deliktisch geschädigt und kann er deswegen den Urlaub nicht antreten, versagt der BGH einen immateriellen Schadensersatz gemäß § 253 Abs. 1 BGB (Urt. v. 11.01.1983, Az. VI ZR 222/80).

Der Energiekonzern RWE hat angekündigt, von Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die das Braunkohlekraftwerk Neurath blockiert haben, Schadensersatz in Höhe von 1,4 Millionen Euro einklagen zu wollen, da ein Block eines Kraftwerkes wegen einer Aktion vermeintlich vom Netz genommen werden musste. Die FBB GmbH, Betreiberin des Flughafens BER, und die Lufthansa AG haben angekündigt, Schadensersatzklagen wegen einer Blockade des Flughafens BER am 24.11.2022 zu prüfen.

Das Deliktsrecht des BGB kommt – anders als das Öffentliche Recht mit seinen "verhältnismäßigen Lösungen" – mit seinem Alles-oder-Nichts-Ansatz sehr schneidig daher: Ist ein Deliktstatbestand der §§ 823 ff. BGB verwirklicht, löst dies die volle Schadensersatzfolge der §§ 249 ff. BGB aus. Zu ersetzen wäre dann auch ein entgangener Gewinn (§ 252 BGB), der bei einem lahmgelegten Großbetrieb (Flughafen, Multifunktionshalle) in Form des Betriebsausfallschadens schnell in die Millionen gehen kann.

Eigentumsverletzung?

Die Blockade einer Rollbahn oder Veranstaltungsbühne könnte eine Eigentumsverletzung darstellen, die nach § 823 Abs. 1 BGB eine Schadensersatzhaftung nach sich zöge. Seit dem Fleetfall (Urt. v. 21.12.1970, Az. II ZR 133/68) ist höchstrichterlich anerkannt, dass nicht nur eine Substanzbeeinträchtigung, sondern auch eine Nutzungsaufhebung eine Eigentumsverletzung begründen kann. Erst kürzlich hat der BGH bestätigt, dass es insofern nicht zwingend auf die zeitliche Dauer der Nutzungsaufhebung ankommt. Vielmehr sei die Intensität maßgeblich, sodass auch eine kurzzeitige vollständige Nutzungsaufhebung ausreichend sein kann (Urt. v. 27.09.2022, Az. VI ZR 336/21). Dabei ging es um durch einen Unfall blockierte Straßenbahngleise, was einen Schadensersatzanspruch des Straßenbahnbetreibers begründet. Im entschiedenen Fall war der Straßenbahnbetreiber Eigentümer der Gleise.

Es liegt in der Logik der Rechtsprechung, den Schutz auch auf den berechtigten Besitz an einer Sache (z.B. infolge eines Miet- oder Pachtverhältnisses) zu erstrecken.  Dies wird relevant, wenn der Geschädigte nicht Eigentümer der blockierten Sache ist, wie dies etwa aufgrund einer Konzernaufspaltung zwischen Betriebs- und Immobiliengesellschaften bei einer (angemieteten) Rollbahn häufig der Fall sein wird. Um Wertungswidersprüche zwischen Besitz- und Eigentumsschutz zu vermeiden, müssten dabei laut BGH aber dieselben hohen Verletzungsanforderungen gelten.

Vollständige Nutzungsaufhebung?

Eine Eigentumsverletzung bzw. Verletzung des berechtigten Besitzes setzt auch nach der jüngsten BGH-Entscheidung weiterhin eine vollständige Nutzungsaufhebung der gesamten Sache (hier: Rollbahn) voraus. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn nur die Möglichkeit ihrer Nutzung vorübergehend eingeengt bzw. nur die Mehrzahl ihrer Verwendungsmodalitäten oder -zwecke ausgeschlossen sind, die das Einsatzpotenzial der Sache aber nicht vollständig erschöpfen.

Die Aktivistinnen und Aktivisten haben mit ihrer Blockadeaktion zwar das Starten und Landen von Flugzeugen auf der Rollbahn und damit die wichtigste Art der Nutzung der Rollbahn vorübergehend unmöglich gemacht. Jedoch konnte die nur punktuell mit Aktivistinnen und Aktivisten beklebte Rollbahn in ihren freien Teilen noch ohne Weiteres zum Parken, Betanken und Rangieren von Flugzeugen oder zum Transport von Passagieren, Gepäck und Treibstoff genutzt werden. Eine vollständige Nutzungsaufhebung liegt damit bei der Rollbahn, anders als im Fall der blockierten Straßenbahngleise, nicht vor.

Die Blockade von öffentlichen Zufahrtsstraßen im Hinblick auf die Verletzung der Eigentumsrechte an einem an die Straße angrenzenden Betriebsgrundstück ist differenziert zu beurteilen. Erstens kommt es darauf an, ob es mehrere Zufahrtsstraßen gibt, der Betrieb also trotz einer blockierten Zufahrt weiterhin noch erreichbar ist.

Zweitens kann eine Eigentumsverletzung hier nicht ohne weiteres bejaht werden, weil zum einen gerade keine unmittelbare Einwirkung auf eine Sache im Privateigentum (Betriebsgrundstück) vorliegt, auch wenn deren wirtschaftliche Nutzung wegen der blockierten Straße vorübergehend eingeschränkt wird (Urt. v. 9.12.2014, Az. VI ZR 155/14).

Drittens spielt bei einer nur mittelbaren Beeinträchtigung – anders als bei dem vorgenannten Straßenbahnfall, wo die im Privateigentum stehenden Gleise unmittelbar blockiert wurden – die zeitliche Komponente eine Rolle. So verneint der BGH eine Rechtsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB, wenn die öffentliche Infrastruktur zeitlich nur kurzzeitig durch einen Anrainer nicht nutzbar ist (Urt. v. 21.6.1977, Az. VI ZR 58/76).

Eingriff in den Gewerbebetrieb oder vorsätzliche sittenwidrige Schädigung?

Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, sind ferner Ansprüche aus einem Eingriff in den Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie nach § 826 BGB an hohe Hürden geknüpft.

Zweck des deliktischen Schutzes des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ist es gerade nicht, das Vermögen eines Unternehmens den Wertungen des deutschen Deliktsschutzes aus § 823 Abs. 1 BGB zuwider generell zu schützen. Der Eingriff in den Gewerbebetrieb muss vielmehr betriebsbezogen erfolgen, d.h. diesen insgesamt tangieren; nicht ausreichend ist es u.E., wenn nur eine ablösbare Rechtsposition des Betriebes betroffen ist (z.B. das Eigentum an einem einzelnen Betriebsgegenstand), die bereits als solche deliktischen Schutz genießt. Dies ist bei der Rollbahn eines Flughafens als eigentumsfähige Sache der Fall.

Um eine Haftung aus § 826 BGB begründen zu können ist eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung erforderlich. Hinsichtlich der vorübergehenden Betriebseinstellung dürfte Vorsatz vorliegen.

Ob darüber hinaus auch eine Sittenwidrigkeit zu bejahen ist, ist jedoch umstritten. Man könnte angesichts der zeitlichen Beschränkung der Blockade, des sachlichen CO2-Zusammenhangs zwischen Flughafenblockade und Klimaschutz und des Umstands, dass nicht jedes rechtswidrige Verhalten gleich sittenwidrig ist, die Sittenwidrigkeit verneinen (a.A. Heese, der § 826 BGB bejaht).

 

Ansprüche von Anrainern?

Als Betroffene in Betracht kommen zunächst Anrainer, die aus der Umfahrung der Blockade Schäden an ihrem Eigentum erleiden. Nach der Rechtsprechung haften Unfallverursacher zwar nicht für Eigentumsverletzungen von Anrainern, die im Stau befindliche Verkehrsteilnehmer verursachen, indem sie die Unfallstelle verkehrswidrig umfahren und dabei etwa einen Grünstreifen oder Bürgersteig schädigen (keine Zurechenbarkeit, da außerhalb des Schutzzwecks der Norm; Urt. v. 16.2.1972, Az. VI ZR 128/70).  Der BGH hat allerdings offengelassen, ob dies auch für den Fall gilt, dass jemand rechtswidrig die Straße sperrt.

Ansprüche von Verkehrsteilnehmern?

Neben etwaigen Ansprüchen von Anrainern aus § 823 Abs. 1 BGB könnten auch Ansprüche der im Stau blockierten Verkehrsteilnehmer bestehen. Diese erleiden typischerweise "nur" Vermögensschäden. Da die Vorschriften der StVO, soweit sie den ungehinderten Verkehrsfluss sicherstellen wollen, laut BGH nur öffentliche Interessen verfolgen und insofern kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen, kommen als Anspruchsgrundlagen lediglich § 823 Abs. 2 i.V.m. § 240 StGB und § 826 BGB in Betracht.

Ob die Nötigung ("Zweite Reihe-Rechtsprechung"), welche die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit schützt, von ihrem Schutzzweck darüber hinaus auch staubedingte Vermögensschäden erfasst, wurde noch nicht entschieden.

Will man daher über § 826 BGB gehen, müsste man eine Sittenwidrigkeit der Straßenblockade begründen. Deren Voraussetzungen, siehe auch oben, liegen freilich hoch.

Schädigungsvorsatz?

Sofern man sie bejaht, müsste zudem ein Schädigungsvorsatz der Aktivistinnen und Aktivisten gegeben sein. Dieser müsste sich auf die Vermögensschäden beziehen, was angesichts der Anonymität der Beteiligten nur mit dolus eventualis begründbar erscheint. Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Täter bei § 826 BGB allerdings nicht die Schädigung bestimmter Personen im Auge gehabt haben, sondern es reicht, wenn ihm sowohl die Richtung und Art der Schadensfolgen als auch die mögliche Schädigung Dritter bewusst sind und er dies billigend in Kauf nimmt (Urt.  v. 26.06.1989, Az. II ZR 289/88). Danach würde es ausreichen, wenn die Aktivistinnen und Aktivisten die Schädigung derjenigen Verkehrsteilnehmer in Kauf nehmen, die den blockierten Streckenabschnitt nutzen.

Man denke an Kundentermine (Friseur, Krankengymnastik, Beratung), die ins Leere gehen.

Als Anspruchsgrundlage kommt auch hier lediglich § 826 BGB in Betracht. Auch wenn den Klimaaktivistinnen und Aktivisten die konkret versäumten Termine und damit die konkreten Geschäftigen nicht vor Augen stehen, könnte man nach den oben dargelegten Grundsätzen durchaus einen dolus eventualis annehmen. Denn den Aktivistinnen und Aktivisten dürfte klar sein, dass zumindest einige vom Stau Betroffene Termine versäumen werden und damit auch deren Vertragspartner Schäden erleiden. Da es für die Vorsatzkomponente des § 826 BGB ausreicht, wenn ihnen dergestalt Richtung und Art der Schadensfolgen bewusst sind (s.o.), lässt sich ein Anspruch aus § 826 BGB jedenfalls nicht völlig von der Hand weisen. Zusätzlich müsste die Schädigung aber sittenwidrig sein (vgl. s. o.). Sollte der Tatbestand des § 826 BGB aber bejaht werden, könnten die vergeblich auf ihre Kunden wartenden Unternehmer durchaus einen ersatzfähigen Schaden haben:

Zwar gewährt § 642 Abs. 1 BGB dem Werkunternehmer gegen den Besteller einen verschuldensunabhängigen Anspruch sui generis, wenn der Besteller seine Mitwirkungshandlung nicht erbringt, also beispielsweise der Kunde nicht zum Friseurtermin erscheint. Dieser soll aber nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH – wie es auch dem Wortlaut entspricht (nur "Entschädigung") - nicht den während des Ausbleibens der Mitwirkungshandlung entgangenen Umsatz oder Gewinn kompensieren, sondern lediglich für das unproduktive Bereithalten der Produktionsmittel entschädigen (Urt. v. 30.01.2020, Az. VII ZR 33/19).

Anders im Dienstvertragsrecht: Hier behält nach § 615 BGB der Dienstleister seinen Vergütungsanspruch, wenn der Auftraggeber staubedingt in Annahmeverzug gerät; der Dienstleister hat insofern keinen Schaden.

Vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen können für den Schuldner erhebliche Folgen in Zwangsvollstreckung und Insolvenz haben: Gemäß § 850f Abs. 2 ZPO kann der pfändungsfreie Teil des Einkommens (§ 850c ZPO) geringer festgesetzt werden und sich auf das Existenzminium beschränken. Außerdem nehmen Forderungen aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung nach § 302 Nr. 1 InsO nicht an der Restschuldbefreiung teil, können also durch ein Insolvenzverfahren nicht abgeschüttelt werden. Sie können demnach bis zum Ablauf der Verjährungsfrist – im Fall rechtskräftig festgestellter Ansprüche: 30 Jahre (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB) – durchgesetzt werden, selbst wenn sie den Schuldner finanziell überfordern.

Aus Gläubigersicht wäre vor diesem Hintergrund prozessual gegebenenfalls ein Feststellungsantrag von Interesse, dass die Ansprüche "aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung" resultieren. Zwar ermöglicht § 256 Abs. 1 ZPO an sich nur die Feststellung von Rechtsverhältnissen, zu denen der Entstehungsgrund eines Anspruchs nicht gehört. Dennoch lässt die Praxis den vorgeschlagenen Antrag wegen der vorstehend skizzierten Rechtsfolgen zu.

Dr. Sophie SchwemmerDie Autorin Dr. Sophia Schwemmer ist Akademische Rätin und Habilitandin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.

 

 

 

Camilla SeemannDie Autorin Camilla Seemann studiert Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg und ist Mitarbeiterin am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht.

 

 

 

Dr. Anton ZimmermannDer Autor Dr. Anton Zimmermann ist Akademischer Rat und Habilitand am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.

 

 

 

Prof. Dr. Marc-Philippe WellerDer Autor Prof. Dr. Marc-Philippe Weller ist Direktor am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg.

 

 

 

Die Verf. danken Prof. Dr. Georg Bitter, Prof. Dr. Jan von Hein, Theresa Hößl und Prof. Dr. Thomas Lobinger für wertvolle Hinweise.

 

 

Zitiervorschlag

Examensspezial Klimaproteste Teil I: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50827 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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