Reform des europäischen Gesellschaftsrechts: Unter­nehmen ein­fach online gründen?

von Dr. Jens Wagner

29.05.2017

2/2: Es wird auch Diskussionen geben

Auch wenn die Zustimmung aller Wahrscheinlichkeit nach überwiegt, wird es auch kritische Stimmen geben. Das betrifft insbesondere die Online-Gründung von Gesellschaften.

Der für seine Technikaffinität bekannte Universitätsprofessor Ulrich Noack hat auf dem Rechtsboard des Handelsblatts ein Bild gezeichnet, das nicht jedem auf Anhieb gefallen dürfte: Die Online-Gründung von Gesellschaften und andere registrierungspflichtige Vorgänge als Anwendungsbereiche für automatisierte Legal-Tech-Produkte. Keine Ehrfurcht einflößende Beurkundung in den vornehmen Räumen eines Notars, sondern Massengeschäft über das Internet – das klingt nach LawDroid, dem Chatbot, der in Kalifornien bereits Unternehmer bei der Gründung einer Gesellschaft unterstützt.

Noack hat in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, was mit dem in Deutschland etablierten System aus notarieller Mitwirkung an der Gründung beziehungsweise Satzungsänderung und der gerichtlichen Registerkontrolle bei Eintragung dieser Vorgänge passieren soll.

Vielleicht lässt sich hier ein Mittelweg finden: Wer für seine Zwecke mit einem Standardgesellschaftsvertrag auskommt und das Stamm- beziehungsweise Grundkapital in bar aufbringt, der kann die Gesellschaft selbst online Gründen und zur Eintragung anmelden. Auch die Anmeldung neuer Geschäftsführer oder andere Standardvorgänge ließen sich über Online-Tools durchführen – dank der eIDAS-Verordnung mittels elektronischer Signaturen auch europaweit mit der notwendigen Rechtssicherheit.

Es wäre eine erhebliche Erleichterung, wenn der ausländische Geschäftsführer der deutschen Tochtergesellschaft eines multinationalen Konzerns Anmeldungen beim Handelsregister selbst am Bildschirm vornehmen könnte und dafür nicht mehr extra nach Deutschland reisen müsste. Wer allerdings komplexere Anliegen hat, könnte auch künftig zum Notar gehen.

Hauptversammlung neu gedacht

Mancher althergebrachte Formalismus kann nach den Plänen aus Brüssel vielleicht sogar gänzlich durch eine zeitgemäße Alternative ersetzt werden. Wer schon immer der Meinung war, die Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen seien eine Farce, der darf mit Blick auf die künftige EU-Gesetzgebung schon einmal träumen.

Heute finden sich auf den Anteilseignerversammlungen der Publikumsgesellschaften überwiegend private Kleinaktionäre. Deren Anteil am Grundkapital ist meist minimal. Dennoch entfällt auf sie der ganz überwiegende Anteil der Redebeiträge und damit der für die Aussprache zur Verfügung stehenden Zeit. Institutionelle Investoren sind häufig nur über einige wenige Vertreter präsent. Nur sehr wenige ergreifen in der Versammlung das Wort. Viele, gerade ausländische Investoren, bleiben der Hauptversammlung sogar ganz fern und lassen auch ihre Stimmrechte nicht vertreten. Zu fremd sind vielen die Abläufe rund um eine deutsche Hauptversammlung.

Eine grundlegende Reform und eine noch stärkere europäische Angleichung sind hier durchaus geboten. Den Aktiengesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Aktionäre zu identifizieren und anzusprechen, ist eines der Ziele der eingangs erwähnten Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie. Zusammen mit weiteren Maßnahmen auf EU-Ebene könnte ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der allen Aktionären, namentlich auch den ausländischen Investoren, die aktive Teilnahme an der Hauptversammlung beziehungsweise an deren Beschlussfassungen nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch ermöglicht.

Aktionäre müssten dafür nicht mehr an einem Ort zusammenkommen. Die im Rahmen der Konsultation von der Kommission gestellten Fragen gehen hier in eine richtige und spannende Richtung.

Der Autor Dr. Jens Wagner ist Counsel bei Allen & Overy LLP in München. Er berät börsennotierte Gesellschaften in Fragen der Corporate Governance, bei Hauptversammlungen sowie in Streitigkeiten mit Aktionären. Er ist zudem Mitglied einer kanzleiinternen Arbeitsgruppe für Legal-Tech.

Zitiervorschlag

Reform des europäischen Gesellschaftsrechts: . In: Legal Tribune Online, 29.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23040 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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