Inhaber von EU-Führerscheinen mit deutschem Wohnsitzeintrag dürfen in Deutschland auch dann nicht mit Anerkennung rechnen, wenn sie im Straßenverkehr bis dato unauffällig waren, ihnen insbesondere keine deutsche Fahrerlaubnis entzogen wurde. Michael Pießkalla über ein überraschend strenges Luxemburger Urteil, das mit Erwägungen der Verkehrssicherheit kaum zu begründen ist.
Das Thema Führerscheintourismus ist seit Jahren ein Dauerbrenner in der juristischen Praxis. Zumeist geht es dabei um folgenden Fall: Einer in Deutschland ansässigen Person wird die deutsche Fahrerlaubnis entzogen, zum Beispiel wegen Alkohol- oder Drogenkonsums.
Für die Rückgabe des "Lappens" verlangen die Behörden oft genug eine medizinisch-psychologische Begutachtung (den so genannten Idiotentest). Ein Ausweg für die Betroffenen scheint der Erwerb einer EU-ausländischen Fahrerlaubnis zu sein: Schnell, günstig, ohne größere Begutachtung der Fahreignung.
Die deutschen Behörden betrachten dieses Treiben seit Jahren mit Argwohn. Der Gesetzgeber tut ebenfalls alles, diese als potenziell gefährlich eingestuften Personen von deutschen Straßen fernzuhalten.
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) diesem Ansinnen zumeist Grenzen gesetzt. Das Stichwort lautet "Anerkennungspflicht": Jeder EU-Mitgliedstaat hat die von einem anderen EU-Land ausgestellte Fahrerlaubnis grundsätzlich ohne Formalitäten anzuerkennen.
Bislang war Wohnsitzverstoß nicht ausreichend
Von diesem Grundsatz gibt es nur wenige Ausnahmen. So hat der Gerichtshof vor einigen Jahren geurteilt, dass Deutschland einen ausländischen Führerschein dann nicht anerkennen muss, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Zum einen muss dem Inhaber zuvor die deutsche Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung entzogen, beschränkt oder ausgesetzt worden sein. Zum anderen musste ein "erwiesener Wohnsitzverstoß" vorliegen, also ein deutscher Wohnsitz im ausländischen Führerschein eingetragen sein.
Die Entscheidung vom 19. Mai 2011 betrifft einen grundsätzlich anderen Fall. Hier hatte die Klägerin noch nie zuvor eine deutsche Fahrerlaubnis besessen. Sie erwarb einen tschechischen Führerschein, in diesem war ein deutscher Wohnsitz eingetragen. Die Frage lautete nun, ob auch in diesem Fall bislang "unauffälliger" Fahrer eine Nichtanerkennung gerechtfertigt ist (Rechtssache C-184/10 – Mathilde Grasser).
Die Mehrheit in der Fachliteratur und deutschen Rechtsprechung hat sich für eine Anerkennungspflicht ausgesprochen: Gründe der Verkehrssicherheit sprächen nicht gegen die Anerkennung, schließlich haben sich Personen wie die Klägerin zuvor nichts zuschulde kommen lassen.
Unbescholtene Verkehrsteilnehmer müssen um Fahrberechtigung bangen
Der EuGH sieht das nun anders. Die Luxemburger Richter nehmen Bezug auf das Wohnsitzerfordernis in Art. 7 der Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG und betonen, dass es möglich sein muss, auch Ersterwerber effektiv zu überwachen. Dies erfordere eine Mindestaufenthaltsdauer im Ausstellerstaat. Dass die Führerscheinrichtlinie in Art. 8 Abs. 4 die Nichtanerkennung an das Vorliegen einer vorangegangenen Negativmaßnahme, das heißt Entziehung, Beschränkung oder Aussetzung geknüpft hat, hält das Gericht dabei überraschenderweise nicht von seiner Entscheidung ab.
Der isolierte Wohnsitzverstoß ist stellt sich damit ab Verkündung des Urteils als ein eigener Nichtanerkennungsgrund dar. Einzige Voraussetzung ist, dass sich der Verstoß aus dem Führerscheindokument ergibt.
Die Entscheidung kommt unerwartet ob der bislang sehr liberalen Rechtsprechung des EuGH. Inhaber von EU-Führerscheinen mit deutschem Wohnsitzeintrag haben demnach keinen Anspruch auf Anerkennung. Das Geld, das sie in Tschechien oder anderen Ländern der EU in einen vermeintlich preiswerten Führerschein investiert haben, war somit umsonst aufgewendet.
Dabei erscheint die Entscheidung aus Gründen der Verkehrssicherheit kaum gerechtfertigt. Denn auch jahrelange Teilnehmer am deutschen Straßenverkehr ohne jeden Punkt in Flensburg büßen ihre Fahrberechtigung ein - und das schon aufgrund der Rechtslage, ohne jede Verwaltungsentscheidung. Wer als Betroffener der oben genannten Rechtsprechung weiter ein Kraftfahrzeug führt, erfüllt den objektiven Tatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Der Autor Dr. Michael Pießkalla ist Rechtsanwalt in München und befasst sich unter anderem mit Fragen des Europarechts.
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Führerscheintourismus: Und wieder soll der EuGH entscheiden
EuGH zu ausländischen Fahrerlaubnissen: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3319 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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