2/2: Urteile inhaltlich unklar
Die Urteile des EuGH, wie zuvor schon jene des EuG, die die Ablehnung des Widerspruchs durch die EU-Kommission kassiert hatten, behandeln allein die Frage, ob ein Umweltverband gegen die Ablehnung der Überprüfung einer Verordnung sowie gegen die Schadstoffgrenzwert-Ausnahme überhaupt mit Widerspruch und Klage vorgehen darf. Woher der materielle Anspruch eines Umweltverbands auf Überprüfung einer Verordnung kommen könnte, wird nicht erörtert. Ebenso wenig wird geklärt, unter welchen Voraussetzungen die EU-Kommission Ausnahmen von Umweltgrenzwerten, die in EU-Richtlinien angelegt sind, tatsächlich genehmigen darf. Beides wären sehr interessante und komplizierte Rechtsfragen gewesen.
Die Erkenntnisse der Urteile konzentrieren sich letztlich darauf, ob der umstrittene Art. 9 Abs. 3 AK den Umweltverbänden trotz Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1367/2006 eine Widerspruchs- und Klagemöglichkeit gibt. Es geht also darum, ob das Völkerrecht das Europarecht zwingt, eine Widerspruchs- und Klagemöglichkeit der Verbände auch dann zu akzeptieren, wenn es nicht um Verwaltungsakte geht, denn einen Verwaltungsakt verlangt Art. 9 Abs. 3 AK nicht ausdrücklich. Und in der Tat dürfte weder die verweigerte Überprüfung einer Verordnung noch die Bestätigung einer generellen Richtlinienausnahme ein Verwaltungsakt sein.
Die Urteile in erster und zweiter Instanz sind diesbezüglich und insgesamt recht unklar verfasst. Erwägungen zur Zulässigkeit und zur Begründetheit scheinen durcheinanderzugehen. Teilweise klingt es gar so, als sei Art. 9 Abs. 3 AK ein inhaltlicher Maßstab für das behördliche Handeln, obwohl die Norm definitiv nur den Zugang zu Rechtsbehelfen regelt, also eine prozessuale Frage klärt. Klar wird eigentlich nur: Der EuGH hält Art. 9 Abs. 3 AK für zu unbestimmt, um Widerspruchs- und Klagemöglichkeiten gegen EU-Institutionen zu erzwingen, auch wenn die EU die AK ratifiziert hat.
EuGH benachteiligt Mitgliedsstaaten gegenüber EU-Institutionen
Die Feststellung des EuGH, dass Art. 9 Abs. 3 AK offen formuliert sei, trifft durchaus zu. Das erklärt aber nicht das seltsam widersprüchliche Verhalten des EuGH, der Umweltschutzklagen von Verbänden und Bürgern gegen einzelne Mitgliedsstaaten immer weiter zulässt, zugleich aber bei Klagen gegen die EU-Institutionen enge Grenzen zieht. Wenn der EuGH in seinen neuen Urteilen in wenig klaren Worten ausführt, dass man gerade beim Völkerrecht die Reichweite innerhalb des EU-Rechts immer genau durch Auslegung bestimmen müsse, so ist das sicher richtig. Doch warum führt dies bei unterschiedlichen Klagegegnern zu unterschiedlichen Ergebnissen?
Bei Klagen gegen die Mitgliedstaaten wie im Braunbär-Fall hat der EuGH die Klagebefugnis aus Art. 9 Abs. 3 AK über ein Zusammenspiel mit dem EU-primärrechtlichen Effektivitätsprinzip gerechtfertigt: Das Umweltrecht der EU müsse wirksam werden und daher einklagbar sein (Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09). Doch warum sollte diese Überlegung nicht auch gegenüber der EU-Kommission zutreffen? Denn nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Kommission selbst versucht zuweilen, bestimmte als zu streng erlebte Vorgaben der EU-Gesetzgebung im Nachhinein zu unterlaufen.
Hier macht sich, wie so oft, der vor allem am Ergebnis orientierte Charakter der EuGH-Rechtsprechung bemerkbar. Hilfreich wäre es für die Zukunft, die Klagebefugnis weniger von der Staatlichkeitsebene als vielmehr von den Schutzzielen her zu interpretieren. Beispielsweise kommen die grundrechtlichen Umweltschutzgarantien für Leben und Gesundheit bisher in Gesetzgebung und Verwaltung oft schlechter zum Tragen als die Wirtschaftsgrundrechte. Dies könnte ein systematisches Argument sein, um Umweltkläger zu stärken, seien es Individuen oder Verbände, die stellvertretend Umweltbelange wahrnehmen.
Der Autor Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., ist Jurist, Philosoph und Soziologe an der Universität Rostock und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig und Berlin. Er ist politikberatend zu Nachhaltigkeitsfragen tätig und arbeitet vor allem in den Bereichen deutsches, europäisches und internationales Energie-, Klimaschutz-, Landnutzungs- und Verfassungsrecht sowie transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung.
Felix Ekardt, EuGH begrenzt Klagerecht von Umweltverbänden: . In: Legal Tribune Online, 22.01.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14447 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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