EuGH zur Beugehaft für Amtsträger: Knast für die Umwelt?

von Tanja Podolski

03.09.2019

Müssen bayerische Politiker ins Gefängnis, weil der Freistaat Gerichtsentscheidungen nicht umsetzt? In einem von der DUH betriebenen Verfahren befasst sich der EuGH ab Dienstag mit der Frage nach Beugehaft für Politiker.

Gerichtsurteile einfach auszusitzen, funktioniert nach deutschem Recht in der Regel nicht. Anders läuft es bisher in Bayern: Dort weigert sich die Landesregierung, gerichtliche Entscheidungen umzusetzen. Sie hat sogar im Kabinett beschlossen, keinen Luftreinhalteplan aufzustellen, obwohl diverse Gerichtsentscheidungen genau das vorsehen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte daraufhin das Land verklagt und mehrfach die Festsetzung von Zwangsgeld bewirkt, um die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen. Getan hat sich nichts.

Am Dienstag beginnt nun das Verfahren vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in eben dieser Angelegenheit (Az. C-752/18). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat den Fall den Richtern in Luxemburg vorgelegt. Er möchte wissen, ob er auch Beugehaft gegen staatliche Amtsträger verhängen darf, wenn diese sich weigern, gerichtliche Entscheidungen umzusetzen. Die Regierung verspürt in dieser Hinsicht nämlich keinen Druck: Das Innenministerium bezahlt das Zwangsgeld, das wiederum an das Justizministerium geht; es bleibt unterm Strich also in der Kasse der Bayern.

Eine Beugehaft könnte das Verhalten im Freistaat beeinflussen, eine solche sieht die einschlägige Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) allerdings nicht explizit vor. Dort ist lediglich das Zwangsgeld ausdrücklich geregelt, darüber hinaus sind die Normen der Zivilprozessordnung anwendbar, heißt es in § 167 Abs. 1 VwGO. Juristisch zu klären ist also, ob eine Inhaftierung von Amtsträgern möglich ist, wenn es dafür keine eindeutige Ermächtigungsgrundlage gibt – oder ob aufgrund des Verweises die Regelungen aus der Zivilprozessordnung (ZPO) ausreichend sind.

Den Schwarzen Peter Europa zuschieben?

Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz von der Universität Bonn ist davon überzeugt, dass der EuGH genau diese Frage allerdings gar nicht unmittelbar entscheiden wird: "Der EuGH hat längst entschieden, dass die nationalen Verwaltungen verpflichtet sind, die Luftreinhaltepläne aufzustellen", erklärt der Rechtsprofessor. "Die Luxemburger Richter werden also zwei Aspekte zu prüfen haben, das Effektivitätsgebot und das Äquivalenzgebot." Das Effektivitätsgebot besagt, dass nationale Regelungen des Verfahrens die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts nicht behindern dürfen. Anders ausgedrückt: Es muss in Deutschland überhaupt wirksame Vollstreckungsregelungen gegen Amtsträger geben - und das ist der Fall. Nur muss das nicht unbedingt Zwangshaft sein, denn die gibt es auch in einigen anderen europäischen Ländern nicht. Angesichts der großen Unterschiede der Entscheidungsfolgen in den EU-Mitgliedstaaten ist auch nicht damit zu rechnen, dass der EuGH unvermittelt gemeinsame europäische Standards aufstellten wird.

"Entscheidend kommt es also auf das Äquivalenzgebot an, welches besagt, dass die Durchsetzung von unionsrechtlichen Rechtspositionen nicht ungünstiger ausgestaltet sein darf als bei entsprechenden nationalen Klagen", so Gärditz. Es muss in Deutschland also genauso möglich sein, die europäische Vorgabe der Festsetzung eines Luftreinhalteplanes durchzusetzen, wie es möglich sein muss, den Baustopp eines Atomkraftwerkes in einem deutschen Wohngebiet zu erreichen. Ob dies aber nur per Zwangsgeld oder auch über Zwangshaft oder sonstige Vollstreckungsinstrumente zu erreichen ist, sei eine Frage des nationalen Rechts, das insoweit autonom Urteilswirkungen und Vollstreckungsverfahren regele, sagt Gärditz. Und weiter: "Damit stehen wir wieder am Anfang: Sieht das deutsche Recht die Zwangshaft gegenüber Amtsträgern vor oder eben nicht?"

Die Bayerischen Richter hätten den Schwarzen Peter wohl gerne nach Europa weitergereicht, um die unangenehme Entscheidung, ob es nun Beugehaft für Amtsträger geben kann oder nicht, nicht selbst treffen zu müssen. "Diese VwGO-Frage wird aber der EuGH nicht von den Schultern der bayerischen Richter nehmen können", so der Bonner Professor.

DUH-Anwalt: Zwangshaft systematisch betrachtet möglich

Gerichtliche Entscheidungen gibt es zu dieser Frage bisher nicht, Juristen streiten sich um die Auslegung der entsprechenden Normen aktuell lediglich im Schrifttum. Eine herrschende Meinung gibt es dabei soweit ersichtlich nicht. Gärditz jedenfalls meint, dass es richtigerweise keine Möglichkeit gibt, Zwangshaft gegen Amtsträger zu verhängen: "Die Zwangshaft ist wegen der persönlichen Eingriffsfolgen für die Amtswalter ein sehr starkes Vollstreckungsinstrument, für die das deutsche Verfassungsrecht kraft Grundrechtswesentlichkeit eine explizite und differenzierte Regelung verlangt", meint er. Den pauschalen Verweis auf die ZPO hält er für unzureichend und eher auf die ganzen formalen Regelungen gemünzt als auf eine mögliche Haft.

Die gegenteilige Ansicht vertritt der Anwalt der DUH, Remo Klinger. Er verwies im Interview mit LTO auf die Vorschrift des § 888 ZPO, die für unvertretbare Handlungen, also etwa auch das Aufstellen eines Luftreinhalteplans durch eine Behörde, ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro oder die Verhängung von Zwangshaft vorsehe. Wären die §§ 172 ff. VwGO abschließend gemeint, dann liefe der § 167 VwGO mit seiner Öffnungsklausel komplett ins Leere, so Klinger.

"Die juristische Diskussion ist spannend, entscheidend sind aber die politischen Dimensionen", sagt Gärditz: "Der EuGH kann hier unfreiwillig in die Rolle des hyperaktiven Gerichts gedrängt werden, obwohl er in diesem Fall überhaupt nicht hätte angerufen werden müssen. Und es stellt sich die Frage, welches Rechtsstaatsverständnis die Bayerische Staatsregierung offenbart, wenn sie bindende Entscheidungen der Judikative nur nach politischer Opportunität befolgt."

Damit ist die bayerische Regierung in Sachen Luftreinhaltepläne übrigens nicht mehr allein: Auch im Streit mit der baden-württembergischen Landesregierung hat die DUH einen Antrag auf Zwangshaft gestellt. In dem Verfahren wurde dem Land Baden-Württemberg eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen eingeräumt, die nach Angaben des Verwaltungsgerichts Stuttgart noch nicht verstrichen ist. Ob das Verfahren bis zu einer Entscheidung des EuGH ausgesetzt oder ruhen gelassen wird, ist nicht bekannt.

Zitiervorschlag

EuGH zur Beugehaft für Amtsträger: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37401 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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