Einheimischenmodelle und die EU-Grundfreiheiten: Schutz armer Bevölkerung erforderlich

Wohnen wird immer teurer, ein eigenes Haus für den Normalverdiener nahezu unerschwinglich. Gemeinden in Metropol- und Urlaubsregionen versuchen daher seit Jahrzehnten, günstiges Bauland nach sozialen Kriterien zu vergeben. Nun liegen diese Modelle auf dem Tisch der EuGH-Richter. Das Schlussplädoyer des Generalanwalts gibt ein positives Signal für die deutschen Modelle, meint Herbert Grziwotz.

In dem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht es aktuell um ein Dekret der flämischen Region in Belgien. Der Ausgang des Rechtsstreits könnte sich aber auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland auswirken, in dem es um Einheimischenmodelle deutscher Kommunen geht. Klären müssen die Richter in Luxemburg, ob die Modelle gegen die Grundfreiheiten verstoßen.

Das flämische Dekret versucht in Gemeinden, in denen der Preis für Baugrundstücke besonders hoch ist, den Kauf und die Miete von Immobilien davon abhängig zu machen, dass zwischen den neuen Bewohnern und der Gemeinde eine Bindung besteht. Mindestens sechs Jahre sollen sie ohne Unterbrechung in der Gemeinde oder der unmittelbaren Nachbarschaft gelebt, dort gearbeitet oder aus anderen Gründen eine enge Bindung zu der Gemeinde aufgebaut haben.

Flämisches Dekret schützt nicht wirklich arme Einheimische

Der Generalanwalt Ján Mazák hält diese Bedingung für eine Beschränkung der Grundfreiheiten. Zu den Voraussetzungen der Ausübung der Grundfreiheiten gehört der Zugang zur Wohnung und zu anderen Immobilien für alle europäischen Bürger. Faktisch verbietet das Dekret bestimmten Personen, an beliebten Orten Häuser zu kaufen oder dauerhaft zu mieten. Eine derartige Beschränkung der Grundfreiheiten kann nur durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt werden und muss verhältnismäßig sein.

Den Hausbau wenig betuchter Einheimischer zu fördern, kann aber in der Tat ein raumordnungspolitisches, gesellschaftliches Ziel sein. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 25.01.2007. Az. C-370/05).

Allerdings schützten die Kriterien des flämischen Dekrets nicht wirklich die weniger kapitalkräftige einheimische Bevölkerung. Dafür wären beispielsweise Kaufprämien, Preisregulierungen oder behördlich beschlossene Begleitmaßnahmen zum Schutz der einheimischen Bevölkerung nötig, die auch nicht zwangsläufig auf ein Erwerbs- und Mietverbot für Fremde hinauslaufen würden.

Modelle sind "wichtiger Bestandteil der kommunalen Siedlungs- und Sozialpolitik"

In Deutschland lässt § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Baugesetzbuch städtebauliche Verträge zugunsten Ortsansässiger und ärmeren Bevölkerungsgruppen ausdrücklich zu. Die Vorschrift soll Einheimischenmodellen, wie sie vor allem bayerische Kommunen bereits praktiziert hatten, eine gesetzliche Grundlage geben.

Wie in Belgien will man damit verhindern, dass in Ballungszentren und in Urlaubsgebieten die weniger kapitalkräftige Bevölkerung durch finanziell potentere Immobilienerwerber verdrängt wird und Orte außerhalb der Urlaubszeiten veröden.

Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, sieht in den in vielen europäischen Ländern üblichen Einheimischenmodellen denn auch einen "wichtigen Bestandteil der kommunalen Siedlungs- und Sozialpolitik". Sie gefährdeten den europäischen Binnenmarkt nicht und sollten von der Europäischen Union akzeptiert und unterstützt werden.

Generalanwalt gibt positives Signal für deutsche Modelle

Als Bedingung für die Ausweisung neuer Baugebiete verlangen deutsche Kommunen mittlerweile regelmäßig, dass eine bestimmte Anzahl der neuen Bauplätze zu ermäßigten Konditionen an Erwerber veräußert wird, die von den Gemeinderäten festgelegte Kriterien erfüllen. Zu diesen gehört neben der Dauer des Aufenthalts in der Gemeinde meist auch die Zahl der Kinder und die Höhe des Einkommens, so dass tatsächlich die ärmere, einheimische Bevölkerung geschützt wird.

Die EU-Kommission hat gleichwohl ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der Modelle der Gemeinden Selfkant, Bernried, Seeshaupt, Weilheim und Vohburg an der Donau eingeleitet. Allerdings scheint der Schlussantrag des Generalanwalts diese Ausgestaltung der Einheimischenmodelle zu befürworten.

Das ist ein positives Signal für die zunehmende Zahl von Menschen, die hilflos dem Treiben auf dem Immobilienmarkt zusehen und erfolglos ein bezahlbares Eigenheim suchen. Die Kommunen müssen bei der Gestaltung ihrer Einheimischenmodelle allerdings darauf achten, dass sie versteckte Diskriminierungen von Unionsbürgern vermeiden, denn sonst hat der EuGH das letzte Wort.

Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen, Mitglied des Instituts für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg und Autor zahlreicher Fachpublikationen u. a. zum städtebaulichen Vertragsrecht.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Einheimischenmodelle und die EU-Grundfreiheiten: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7342 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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