3/3: "Schiedsgerichte sind heute obsolet"
LTO: Kann man sie denn einfach streichen? Würde das nicht wiederum den legitimen Investitionsschutzinteressen der Unternehmen verhindern, so dass die Verträge letztlich nicht durchsetzbar wären?
Fischer-Lescano: Nein, diese Gefahr besteht nicht, denn man braucht die Schiedsgerichte heutzutage überhaupt nicht mehr.
In den den 50er Jahren wurden die Schiedsgerichte primär zu dem Zweck eingerichtet, in den Zielstaaten der Investitionen willkürliche Enteignungen zu verhindern. Da man die Gerichte der Zielstaaten für potentiell befangen hielt, wurden spezielle Schiedsgerichte eingesetzt.
Heute haben wir aber eine andere Situation: Insbesondere die Einbeziehung der staatlichen Rechtsordnungen in Systeme des überstaatlichen Menschenrechtsschutzes macht die zusätzliche institutionelle Absicherung von Investitionen obsolet. Mit den Menschenrechtsgerichtshöfen gibt es überstaatliche Gerichte, die staatliche Willkürmaßnahmen verhindern und - anders als die Investitionsgerichte - keine rein wirtschaftliche Ausrichtung haben, sondern Individual- und Kollektivgüter in einer ausgewogenen Breite sichern Diese Ausgewogenheit fehlt bei den Schiedsgerichten.
LTO: Die Schiedsgerichte werden auch wegen ihrer angeblichen Intransparenz kritisiert. Man befürchtet, sie würden im Geheimen verhandeln, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Was ist dran an diesen Vorwürfen?
Fischer-Lescano: Sie verweisen tatsächlich auf ein Problem der bestehenden Rechtspraxis. Für CETA und TTIP sind aber Verbesserungen geplant. Insgesamt muss man sagen, dass dieser Punkt unter allen bestehenden Legitimationsproblemen der transnationalen Schiedsgerichtsbarkeit das geringste Übel darstellt.
"Das BVerfG kann dem deutschen Vertreter im Rat die Zustimmung verbieten"
LTO: Was kann man im Vorfeld dagegen unternehmen, dass das Abkommen in der aktuellen Version unterzeichnet wird? Und gibt es insoweit einen Unterschied zwischen CETA und TTIP?
Fischer-Lescano: CETA sollte eigentlich bereits im Oktober für ratifikationsreif erklärt werden. Das scheiterte aber und derzeit werden sowohl CETA als auch TTIP durch die neue EU-Kommission auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft. Daher gibt es noch alle Möglichkeiten. Insbesondere können der EuGH und das BVerfG noch jederzeit die Unterzeichnung des Vertrages verbieten.
Das Europäische Parlament oder die Mitgliedstaaten könnten den EuGH im Gutachtenverfahren anrufen oder eine Nichtigkeitsklage erheben. Schließlich steht auch eine Subsidiaritätsklage offen. Beim BVerfG ist insbesondere an eine Verfassungsbeschwerde oder ein Organstreitverfahren zu denken. Im Rahmen dieser Verfahren hätte das BVerfG die Möglichkeit, beispielsweise dem deutschen Vertreter im Rat die Zustimmung zu verbieten. Derzeit ist aber noch keine Klage erhoben und mir sind keine konkreten Pläne dahingehend bekannt.
Das gilt nicht nur für CETA sondern - wenn die bislang veröffentlichten Texte nicht mehr entscheidend geändert werden - auch für TTIP.
LTO: Herr Professor Fischer-Lescano, vielen Dank für das Interview!
Professor Dr. Andreas Fischer-Lescano lehrt Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht in Bremen. Er ist geschäftsführender Direktor des Zentrums für Europäische Rechtspolitik.
Anne-Christine Herr, Gutachten zum Freihandelsabkommen CETA: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13775 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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