Gutachten zum Freihandelsabkommen CETA: "XL-Schiedsgerichte unvereinbar mit Verfassung und Unionsrecht"

Interview von Anne-Christine Herr

12.11.2014

2/3: "CETA könnte europarechtswidrige Pflichten normieren"

LTO: Können Sie das konkretisieren?

Fischer-Lescano: Das Ganze ist so formuliert, dass überhaupt nicht klar ist, welcher Standard gelten soll. So verweist CETA beispielsweise auf die völkervertraglichen Verpflichtungen im Hinblick auf Arbeitsrechtsstandards. Die EU unterliegt aber keinerlei solchen Verpflichtungen, weil sie diesen Verträgen, anders als die Mitgliedsstaaten, nicht beigetreten ist.

Auf die bestehenden Pflichten, die sich aus den EU-Verträgen und den nationalen Verfassungen ergeben, nimmt CETA hingegen nicht hinreichend Bezug. Es wird also nicht nur dazu kommen, dass die Standards der Menschen- und Umweltrechte sinken, wenn wirtschaftliche Partialinteressen über Allgemeinwohlinteressen obsiegen, sondern sogar zu der Situation, dass CETA und TTIP zu Maßnahmen verpflichten, die EU-rechts- oder verfassungswidrig wären.

Erforderlich wäre - statt der unklaren Ausnahmeregelungen mit eingebauten Rückausnahmen - eine allgemeine Klausel, die klarstellt, dass Investitionen, die den in den Rechtsordnungen der Parteien gewährleisteten Gemeinwohl- und Individualrechten widersprechen, nicht geschützt werden.

"Schiedsrichter sind mit der Wirtschaft verflochten"

LTO: Ein besonders umstrittener Punkt sind sowohl bei TTIP als auch bei CETA die privaten Schiedsgerichte. Was ist daran problematisch?

Fischer-Lescano: Diese Schiedsgerichte, die den Investitionsschutz institutionell absichern sollen, sind überhaupt nicht vergleichbar mit den Schiedsgerichten, die es seit den 50-er Jahren auch in Deutschland gibt. Es ist zu erwarten, dass die Fallzahlen der Klagen gegen Deutschland massiv steigen werden. Insbesondere durch die Ausweitung des Schutzes auf Finanzdienstleistungen hat das Abkommen eine neue Qualität.

Außerdem sind die Schiedsrichter nicht hinreichend unabhängig, sondern oft vielfach mit der Wirtschaft verflochten. Die Schiedsgerichte sind zudem ihrer Natur nach einseitig auf den Schutz ökonomischer Interessen ausgerichtet. Zur Abwägung mit Belangen des Umweltschutzes, der Menschenrechte oder sonstigen Gemeinwohlbelangen sind sie oft nicht in der Lage. Das ist insgesamt ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die Rechtswissenschaft ist in einer Weise mit dem globalen Schiedsgerichts-Business verflochten, die insgesamt doch sehr unappetitlich ist.

Einige der Befürworter von CETA und TTIP, die sich in den vergangenen Monaten zu Wort gemeldet haben, sind in diese Netzwerke eingebunden. Diese auch  ökonomischen Verstrickungen, gefährden aus meiner Sicht die Unabhängigkeit von Recht, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft massiv.

"Schiedsgerichte hebeln das austarierte System der Gerichtskörperschaften aus"

LTO: Verstößt die Einrichtung solcher Gerichte wegen der wirtschaftlichen Verstrickungen gegen die deutsche Verfassung und das Unionsrecht?

Fischer-Lescano: Im Ergebnis halte ich die neuen XL-Schiedsgerichte für unvereinbar mit Grundgesetz und Unionsrecht, in der Tat.

Unternehmen sollen dort gegen Staaten mit dem Argument vorgehen können, ihre garantierten Investitionsschutzrechte seien durch eine direkte oder indirekte Enteignung verletzt. Die Staaten können dadurch mit horrenden Schadensersatzansprüchen in mehrfacher Millionenhöhe konfrontiert werden.

Schiedsgerichte hebeln das austarierte System der nationalen und internationalen Gerichtskörperschaften aus. Die ökonomische Para-Gerichtsbarkeit gefährdet letztlich das Rechtsprechungsmonopol der ordentlichen Gerichte, welches auch Art. 92 GG absichert. Zwar haben bisher weder der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch das BVerfG zu diesem Schiedsgerichtssystem Stellung genommen. Aber der EuGH hat in einer Reihe von Entscheidungen die Zulässigkeit von Parallelgerichten, die außerhalb der europäischen Gerichtshierarchie stehen, stark beschränkt.

Schließlich - und das ist ein nicht gering zu schätzendes Problem - haben betroffene Dritte, zum Beispiel Wettbewerber von subventionierten Unternehmen, im System der Schiedsgerichte keine Möglichkeit, ihre Rechtsansprüche zu artikulieren. Das ist ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Denn es kann die Situation entstehen, dass eine rechtswidrige Beihilfe als legitime Erwartung eines Investors geschützt und diese zwar zurückzuzahlen ist, der Investor seine Ansprüche dann aber über den Schadensersatz realisieren kann.

Das alles ist rechtlich sehr problematisch. Will man mit TTIP und CETA nicht gerichtlich scheitern, sollte auf die Einrichtung einer Schiedsgerichtsbarkeit ganz verzichtet werden. In der Kommission scheint nach dem Abtritt des Freihandelsextremisten Karel de Gucht diesbezüglich ja auch wieder ein Sinn für die rechtlichen Rahmenbedingungen der Realpolitik eingezogen zu sein.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Gutachten zum Freihandelsabkommen CETA: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13775 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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