Das Freihandelsabkommen CETA zwischen der EU und Kanada gilt als Blaupause für TTIP. Für Attac hat Andreas Fischer-Lescano ein Gutachten erstellt. Im LTO-Interview erklärt er, wieso er die Kompetenzen der EU für begrenzt hält und warum den Staaten für Maßnahmen des Verbraucher- und Umweltschutzes Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe drohen.
LTO: Herr Professor Fischer-Lescano, worum geht es bei dem europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA und worin bestehen die Gemeinsamkeiten mit dem bekannteren US-amerikanischen Pendant TTIP?
Fischer-Lescano: Die Unterschiede zu TTIP sind nicht besonders groß. CETA wird oft als die Blaupause für TTIP bezeichnet, weil es zeitlich etwas früher in Kraft treten könnte. Beide Abkommen verfolgen das gleiche Ziel, nämlich eine Handelsliberalisierung und -harmonisierung, die für die beteiligten Wirtschaftsräume Wachstumsschübe zur Folge haben soll. Es geht vornehmlich darum, Handelshemmnisse abzubauen - durch die Aufhebung von Zollmaßnahmen und durch einen Investitionsschutz, der durch eine Schiedsgerichtsbarkeit durchgesetzt werden soll.
"Der deutsche Gesetzgeber muss zustimmen"
LTO: Derzeit möchte die EU das Abkommen ohne Beteiligung der nationalen Parlamente ratifizieren. Sie bezweifeln in Ihrem Gutachten, dass das möglich ist. Müssten Bundestag und Bundesrat zustimmen?
Fischer-Lescano: Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung kann die Union im Verhältnis zu den nationalen Gesetzgebern beschließen, wozu ihr die Kompetenz explizit durch die Nationalstaaten zugewiesen wurde.
Die EU hat durch den Vertrag von Lissabon in Art. 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Kompetenz, Handelsabkommen zu schließen. Das umfasst auch den Schutz von Direktinvestitionen, also Vermögensanlagen im Ausland, die regelmäßig auf die Kontrolle der Geschäftstätigkeit zielen.
Portfolioinvestitionen, das heißt gestreute Investitionen, die nicht auf die Kontrolle der Geschäftstätigkeit zielen, sind von dieser Kompetenz aber nicht umfasst. Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) schon in der Lissabon-Entscheidung ziemlich klar gesagt. Weil CETA und TTIP aber unter anderem Regelungen zum Schutz von Portfolioinvestitionen vorsehen, muss hier der nationale Zustimmungsprozess parallel laufen.
Daneben gibt es noch eine Reihe andere Bereiche im CETA, für welche die EU keine Kompetenz hat. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein vom Bundeswirtschaftsminister in Auftrag gegebenes Gutachten des Kollegen Franz C. Mayer.
"Fast jede politische Maßnahme kann Schadensersatzpflichten auslösen"
LTO: Im Rahmen des Investitionsschutzes sollen auch Finanzdienstleistungen geschützt werden. Was genau ist damit gemeint und was ist daran problematisch?
Fischer-Lescano: CETA geht im Bereich des Investitionsschutzes weit über die Maßnahmen hinaus, die seit den 50er Jahren bestehen. Es schützt das Eigentum in sehr breiter Weise, nämlich erstmals über bloße Investitionen hinaus für den gesamten Bereich der Finanzdienstleistungen wie Versicherungs- und Bankgeschäfte.
In Kombination mit dem weiten Begriff der indirekten Enteignung, vor der das Abkommen schützt, ist der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten für regulative politische Maßnahmen stark eingeschränkt. Jede Steuererhöhung und jedes Gesetz zum Verbraucher- oder Umweltschutz kann potentiell eine schadensersatzauslösende Enteignung darstellen.
Will man der Gefahr begegnen, dass regulative Maßnahmen Schadensersatzpflichten auslösen, sollte man den Schutz vor indirekter Enteignung ganz entfallen lassen. Zudem sollte genau überlegt werden, ob der regulativ hoch sensible Bereich der Finanzdienstleistungen tatsächlich einer Schiedsgerichtsbarkeit unterstellt werden soll.
"Ausnahmeklauseln sollen vernebeln, dass viele Standards ungeschützt bleiben"
LTO: Es gibt in dem Abkommen aber doch Einschränkungen des Investitionsschutzes zugunsten legitimer Regulierungsinteressen der Staaten. Reichen diese Ihrer Meinung nach nicht aus?
Fischer-Lescano: Nur unter gewissen Umständen können gesetzliche Regelungen, die eigentlich unter den Begriff der indirekten Enteignung fallen, keine Pflicht zum Schadensersatz begründen: wenn sie nicht diskriminierend sind, keine legitimen Erwartungen der Beteiligten enttäuschen und der Staat zuvor keine entgegenstehende Zusicherung abgegeben hat.
Die Rechtsbegriffe dieser Ausnahmeregelung sind sehr offen und unbestimmt. Schiedsgerichte haben einen weiten Spielraum, wie sie diese auslegen können.
Zwar gibt es auch Kapitel über Mindeststandards an Nachhaltigkeit, bestimmter Sozialrechte und wohlfahrtsstaatlicher Gesundheitsvorsorge. Dort verliert man sich aber in einem Dickicht von Ausnahmeklauseln, die vernebeln sollen, dass ganz viele Standards ungeschützt bleiben.
Anne-Christine Herr, Gutachten zum Freihandelsabkommen CETA: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13775 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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